Manuel Herder (Hg.) / Stefan von Kempis (Mitarb.): Der Papst der Bücher. Schlüsseltexte zum Denken Benedikts XVI.
Manuel Herder (Hg.) / Stefan von Kempis (Mitarb.): Der Papst der Bücher. Schlüsseltexte zum Denken Benedikts XVI., Freiburg i. Br.: Herder, 2023, geb., 336 S., € 28,–, ISBN 978-3-451-39213-9
Benedikt XVI. war ein Ausnahmepapst. Das gilt für deutschsprachige Leser nicht nur deshalb, weil er aus Deutschland stammte. Er hat an Gelehrsamkeit und christuszentrierter Frömmigkeit sicher die meisten seiner Vorgänger in den letzten Jahrhunderten übertroffen. Sein hervorragendes Erinnerungsvermögen, das ihm bei Forschung und Amtsführung zugute kam, war legendär. Wenn er sprach, war sein Text druckreif. Auch in den Ansprachen und Predigten seiner Amtszeit in Rom ist er durch und durch Professor geblieben.
Joseph Ratzinger hat das Papstamt nie angestrebt. Er wusste, was für eine Verantwortung der Amtsinhaber hatte. Doch durch seine Amtsführung als Kardinal und durch seine Mitarbeit in der Kurie wie auch als Persönlichkeit war er für dieses Amt prädestiniert wie keiner der anderen Kandidaten.
Über das Leben von Papst Benedikt XVI. ist viel geschrieben worden. Evangelikale Autoren haben zum Ende des knapp achtjährigen Pontifikats das Lebenswerk des deutschen Papstes aus ihrer Sicht gewürdigt: Christoph Raedel (Hg.): Mitarbeiter der Wahrheit. Christuszeugnis und Relativismuskritik bei Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI, Gießen: Brunnen; Göttingen: Edition Ruprecht, 2013. – Der Journalist Peter Seewald hat als ein hervorragender Kenner von Benedikt XVI. mehrere Gespräche mit dem Papst geführt und sowohl diese als auch weitere biographische Werke veröffentlicht. Zuletzt publizierte er eine umfangreiche Biographie: Benedikt XVI. Ein Leben, München: Droemer Knaur, 2020, 1184 S. und eine Untersuchung zu Benedikts Vermächtnis. Das Erbe des deutschen Papstes für die Kirche und die Welt, Hamburg: Hoffmann und Campe, 2023. – Ergänzend ist Joseph Ratzingers Rückblick auf Kindheit, Jugend, Studium und Berufslaufbahn bis zu seiner Ernennung zum Bischof wichtig: Aus meinem Leben. Erinnerungen (1927–1977), München: DVA / Random House, 2015, und eine Zusammenstellung autobiographischer Texte, die im Herbst unter dem Titel Aus meinem Leben in der Reihe Gesammelte Schriften, Bd. 15 bei Herder erscheinen soll.
Manuel Herder stellt in diesem Buch Benedikt XVI. als den „Papst der Bücher“ vor. Aus der nur für den Fachmann überschaubaren Fülle der Veröffentlichungen von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. hat der Freiburger Verleger eine praktische Auslese von „Schlüsseltexten“ ausgewählt. Über diesen könnte das Benedikt-Zitat stehen, das Peter Seewald als Motto seiner Benedikt-Biographie als Motto vorangestellt hat (Benedikt XVI. Ein Leben, 8, unpaginiert): „Mein Grundimpuls war, unter den Verkrustungen den eigentlichen Glaubenskern freizulegen und diesem Kern Kraft und Dynamik zu geben. Dieser Impuls ist die Konstante meines Lebens.“ Als „Kirchenvater unserer Zeit“, so der Mitherausgeber Stefan von Kempis in der vorangestellten Editorischen Notiz (13–16, hier: 14) schreibt Ratzinger zu geistlichen Themen und zu Lehrfragen. Unter dem Titel „Glaube – Hoffnung – Liebe“ eröffnen deshalb die beiden Enzykliken über Liebe (2005) und Hoffnung (2007) zusammen mit einer Regensburger Predigt über den Glauben und das Glaubensbekenntnis (2006) die Textsammlung (17–62). Im zweiten Teil „Jesus Christus begegnen“ sind Abschnitte aus den drei Jesusbüchern zusammengestellt (63–120).
„Acht große Reden des Pontifikats“ bilden die sachlich-theologische Mitte des Buchs (121–177). Mit ihrer Auswahl spannen die Herausgeber Herder und von Kempis den Bogen von den Predigten bei der Eröffnung des Konklaves und beim Amtsantritt 2005 bis zur Ansprache bei der letzte Generalaudienz vor dem Rücktritt 2013. Benedikts Reden in Auschwitz-Birkenau und Regensburg (2006) haben wohl größte Aufmerksamkeit gefunden. Im Bundestag (2011) sprach der Papst über die „innere Identität Europas“, die aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom entstanden ist (160, vgl. zum Thema Europa 284–289). Im Erfurter Augustinerkloster (2011) betonte er vor Theologen verschiedener Kirchen, dass den Christen im ökumenischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte das Gemeinsame bewusst wurde (163). Der Freiburger Vortrag über die „Entweltlichung des Glaubens“ (2011) stellte Benedikts Sicht der Kirche vor. Sie findet durch immer neue Schritte der Säkularisierung zu ihrem eigentlichen missionarischen Auftrag zurück (168f).
Den umfangreichsten Teil des Buchs bildet mit 66 Seiten der Themenkreis „Kirche – Ökumene – Religionen“ (179–245). Der Abschnitt beginnt mit der „evangelischen“ Frage „Was bedeutet Jesus Christus für mich?“ Benedikt antwortet darauf, dass ihm in seinem persönlichen Leben Jesus „von Anfang an“ bekannt wurde als „jemand, der heute lebt und wirkt, dem man heute begegnen kann“ (181). In weiteren Beiträgen erläutert er seine Sicht der Kirche, beschreibt das Zweite Vatikanische Konzil und die Probleme, die es lösen wollte, und er geht auf die Fragen der Ökumene mit Ostkirchen und den evangelischen Kirchen ein. Drei Thesen über Kirche und Religionen (242–245) beschließt den Abschnitt.
Das vorletzte Thema „Den Glauben feiern“ nimmt die katholische Liturgie in den Blick (247–281). Hier wird auch der Text zur Wiederzulassung der römischen Liturgie aus der Zeit vor 1970 als Auszug abgedruckt (280f). Die 34 Seiten dieses Abschnitts seien als geeignete Zusammenfassung denjenigen Theologen empfohlen, die über Grundlagen des katholischen Gottesdienstes noch nicht informiert sind oder nur evangelische Verurteilungen der Reformationszeit über kritikwürdige gottesdienstliche Praktiken kennen.
Im Gegensatz zu evangelischen Modeströmungen, das Abendmahl als Sederfeier „wie zur Zeit Jesu“ zu halten, bemerkt Ratzinger: „Denn der Herr hat das Neue des christlichen Kultes zwar im Rahmen eines jüdischen (Pascha-)Mahles gestiftet, aber nur dies Neue und nicht das Mahl als solches zur Wiederholung aufgetragen“ (277).
Der letzte Satz aus dem Brief zur Wiederzulassung der alten Messliturgie steht pars pro toto für Benedikts Verständnis von Liturgie und Gottesdienstgeschichte: „Es tut uns allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen sind und ihnen ihren rechten Ort zu geben“ (281).
Schließlich besinnt sich Ratzinger in „Gesellschaft und Politik“ auf Fundamente und Gefährdung des westlichen Gesellschaftsmodells (283–326).
Joseph Ratzinger hat ab 1982 vierzig Jahre lang in Rom gelebt. Wer seine Tätigkeit in diese Zeit, besonders sein Pontifikat ab 2005, mitverfolgt hat, wird einige der im vorliegenden Buch abgedruckten Texte schon kennen. Es ist sehr zu loben, dass Verleger Manuel Herder diesen Band herausgegeben hat. Hier kann jeder den genauen Wortlaut nachlesen, wenn die Erinnerungen verblassen. Es darf mit Recht vermutet werden, dass das Werk weitere Auflagen erleben wird.
Pfarrer Dr. Jochen Eber, Schriesheim