Systematische Theologie

Markus Hoffmann (Hg.): Weil ich es will. Homosexualität – Wandlungen – Identität – 39 Lebensberichte

Markus Hoffmann (Hg.): Weil ich es will. Homosexualität – Wandlungen – Identität – 39 Lebensberichte, Basel: Fontis, 2023, kt., 424 S., € 30,–, ISBN 978-3-038-48258-1


„Weil ich es will“ sagen 39 Frauen und Männer über ihren Weg und ihre Geschichte. Das Buch bietet 39 individuelle und unterschiedliche Erzählungen von Menschen, die im Spannungsfeld ihrer Identität und sexuellen Orientierung leben. Hier kommen Menschen zu Wort, die sonst nicht gehört werden. Wer im 21. Jahrhundert seinen Gefühlen und Empfindungen nicht das letzte Wort über seine Identität gibt, steht außerhalb des Mainstreams. Das bedeutet auch, dass diese Menschen „quer zu queer“ stehen. Herausgegeben und zusammengestellt wurden die Beiträge von Markus Hoffmann, Sozialarbeiter und Entwicklungspsychologe, auch bekannt als Leiter des Instituts für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung (IdiSB e. V.), Prior der „Bruderschaft des Weges“, Begründer der entwicklungssensiblen Sexualpädagogik ESSP und der emotiv-schema-theoretischen Seelsorge. Aus diesen Arbeitsfeldern scheint Hoffmann die nötige Fachkompetenz zu besitzen, um diese Berichte zu sammeln und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Die 39 Berichte werden von Hoffmann mit einer Übersicht und einer Lesehilfe eingeleitet. Abschließend kommt Dr. Dominik Klenk als Herausgeber mit einem Nachwort zu Wort. Dieses Buch bietet neben spannenden Einblicken in das Ringen von Menschen mit homosexuellen Empfindungen auch eine Einladung, und zwar eine Einladung zu einem differenzierten Dialog. Denn es kommen Menschen zu Wort, die in ihrer sexuellen Orientierung eben nicht einfach nur akzeptiert werden wollen, sondern in ihrer Orientierung und Anziehung konkrete Fragen, Nöte und Lebenssituationen erleben. Zusammengestellt wurden die Berichte von fünf beratenden und seelsorgerlichen Wegbegleitern. Nach vielen Gesprächen und Interviews haben die 39 Autoren ihren individuellen Beitrag zum Buch verfasst.

Das Buch richtet sich konkret an vier Zielgruppen (12). Zum einen ist es den Autoren ein Anliegen, Betroffenen einen Überblick über mögliche Wege zu geben. Besonders wichtig ist jedoch der Hinweis, dass Betroffene keine Antwort auf die Frage nach der Veränderung der Orientierung erhalten werden. So schreibt Hoffmann: „Denn Veränderung ist nicht einfach möglich. Wer das behauptet, ist unseriös und leitet Menschen in die Irre“ (13). Es geht also nicht um den einen Weg aus einer homosexuellen Empfindung in eine heterosexuelle. Das Buch ist aber eine Einladung, den Schritt zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen zu wagen. Dabei gibt es Antworten auf wichtige Fragen wie: Wer kennt meine tiefsten Bedürfnisse? Weiß meine Gemeinde von meiner gleichgeschlechtlichen Anziehung? Wie lebe ich meinen Glauben? Wenn ich mich vorerst oder langfristig für den zölibatären Lebensstil entscheide, wie gestalte ich darin mein Leben und meinen Glauben? Wie gehe ich mit der Spannung um, wenn ich in meiner verschiedengeschlechtlichen Beziehung weiterhin homoerotische Gefühle erlebe?

Zum anderen richtet sich das Buch an Seelsorger. Die Autoren werden diesen insbesondere helfen, einen differenzierten Blick auf das Thema Homosexualität zu gewinnen. Ab dem Erscheinen dieses Buches liegt es in ihrer Hand, sich auf diese oft noch unbekannten und ungehörten Lebenssituationen einzulassen. Dabei sollen sich alle Leser bewusst sein: „Dieses Buch sagt nicht: ‚Wir haben die Wahrheit!‘ Es sagt lediglich: Diese Wirklichkeit und dieses Erleben gibt es auch“ (14). Damit liefert das Buch praktische Impulse für die Beratung von Menschen, die sich vielleicht nicht in der gleichen, aber in einer ähnlichen Situation befinden. Ganz nah an dieser Zielgruppe sind Menschen, die sich oft gerade nicht beruflich, sondern in privaten Beziehungen zu solchen Wegbegleitern zählen können. Freunde, Geschwister und Eltern, denen sich jemand mit seinen gleichgeschlechtlichen Neigungen anvertraut hat. Auch für sie gilt: Sie werden in diesem Buch keine Antwort auf die Frage finden, was sie dem Betroffenen am besten raten sollen. Sie finden aber Anregungen und Tipps, wie Sie Betroffene in der bestehenden Beziehung in einem geschützten Rahmen begleiten können.

Schließlich richtet sich das Buch auch an Kritiker. Es ist dem Herausgeber gerade bei diesem kontroversen Thema wichtig: Die hier beschriebenen Lebensstile wollen keinen anderen Weg diskriminieren. Die Autoren geben einen ehrlichen Einblick in ihr Erleben und ihre Lebensbewältigung. Nicht jeder Leser wird allem zustimmen. Das ist auch nicht der Wunsch des Herausgebers, sondern ins Gespräch zu kommen, auch mit Andersdenkenden. Hoffmann wünscht sich einen breiteren Dialog als den Status quo: „Denn eine Frage wird vom derzeitigen Diskurs nicht beantwortet: Wo haben Menschen mit den hier dargestellten Lebensthemen ihren Platz unter dem Regenbogen?“ (16). Denn in der LGBTQIA+-Bewegung haben Menschen, die ihrer sexuellen Lust, Orientierung und Identität nicht das letzte Wort geben, (noch) keinen anerkannten Platz. Es ist ein Anliegen des Herausgebers, dass dieses Buch ein Türöffner in diese Richtung sein kann.

Dieses Buch bietet tiefe und ehrliche Einblicke in das, was es bedeutet, von existentiellen Konflikten betroffen zu sein. Die Autoren stellen ihr Leben im Licht der Bibel bewusst unter die Gnade Gottes und laden dazu ein, es ihnen gleichzutun. Sie sprechen oft von Veränderungen auf einer ganzheitlichen Ebene. Diese Veränderungen sind gerade nicht pauschal und zwingend mit einer „Heilung“ oder „Befreiung“ von homosexuellen Gefühlen verbunden.

Vielmehr erleben die Autoren das, was laut Paulus jeder Christ erleben darf durch das Wirken des Heiligen Geistes: „Wen Gott nämlich auserwählt hat, der ist nach seinem Willen auch dazu bestimmt, seinem Sohn ähnlich zu werden“ (Röm 8,29). Wenig später schreibt er an dieselben Adressaten: „lasst euch von Gott verändern, damit euer ganzes Denken neu ausgerichtet wird“ (Röm 12,2). Es gibt keine wichtigere und grundlegendere Veränderung als diejenige, dass Menschen durch ihren Glauben zu einem gerechtfertigten, heiligen und neuen Menschen verwandelt werden. Von dieser stetigen Veränderung in das Bild von Christus redet die Bibel, dieses Buch und die christliche Tradition seit 2000 Jahren.


Joshua Ganz ist Pastor und Armeeseelsorger, Winterthur, Schweiz.