Henri Blocher: La doctrine de l’Église et des sacrements. Tome 1
Henri Blocher: La doctrine de l’Église et des sacrements. Tome 1, Collection Didaskalia, Vaux-sur-Seine: Édifac, 2022, Pb., 312 S., € 25,–, ISBN 978-2-904407-83-3
Henri Blocher ist der zweifellos bekannteste französische protestantische Theologe in der weltweiten Szene der evangelikalen Theologie. Er ist ein produktiver Autor, der unzählige Artikel und mehrere bedeutende Bücher geschrieben hat, darunter Révélation des origines. Le début de la Genèse (Charols: Excelsis, 1979, 22018), übersetzt als: In the Beginning. The Opening Chapters of Genesis, Leicester: InterVarsity, 1984, und Le mal et la croix. La pensée chrétienne aux prises avec le mal, Charols: Excelsis, 1990, 22012, übersetzt als: Evil and the Cross. An Analytical Look at the Problem of Pain, Grand Rapids: Kregel, 1994. Sein neuestes, lange erwartetes Werk ist der erste Band seiner Lehre von der Kirche und den Sakramenten. Dieses erste Buch ist der Kirche gewidmet; das zweite, das demnächst erscheinen soll, wird sich auf die geistlichen Ämter und auf die Sakramente konzentrieren. Professor Blocher ist für seinen Gedankenreichtum bekannt. Seine Methode besteht darin, ausgehend von der Exegese der biblischen Texte Lehrsätze im Dialog mit der Geschichte des christlichen (und nicht-christlichen) Denkens, sowie mit aktuellen Denkern zu erstellen. Obwohl er in vielerlei Hinsicht konservativ ist, ist er für seinen Irenismus und seine Dialogfähigkeit bekannt.
Das Buch, um das es hier geht, besteht aus vier Kapiteln: Das erste befasst sich mit den biblischen Daten, die folgenden mit drei bedeutenden Kirchenverständnissen: zuerst katholisch, dann reformiert und schließlich freikirchlich. In diesem Sinne verfährt er wie der anglikanische Theologe Lesslie Newbigin.
Im ersten Teil stellt Henri Blocher einen bemerkenswerten Überblick über den biblischen Fundus unter Beweis und legt eine echte biblische Theologie (verstanden als diachrone Geschichte der Offenbarung) des Themas „Kirche” in den beiden Testamenten vor. Viele Autoren hätten sich schwergetan, eine so reichhaltige Synthese auf so wenigen Seiten anzubieten. Professor Blocher hingegen nimmt diese Herausforderung mit einer verblüffenden Leichtigkeit an. Sein Überblick beschränkt sich nicht darauf, die Lehre der Heiligen Schrift mit wenigen Worten zu wiederholen, sondern nimmt bereits notwendige Unterscheidungen vor, die den verschiedenen ekklesiologischen Verständnissen Nahrung geben werden.
Natürlich nimmt er sich auch die Zeit, auf Schlüsseltexte wie die ersten beiden Erwähnungen des griechischen Begriffs ekklesia in Matthäus 16 und 18 genauer einzugehen. Einen nicht unerheblichen Teil seiner Darstellung widmet er einer viel diskutierten neutestamentlichen Kirchenmetapher: dem Leib Christi. Blocher weist zunächst auf eine Reihe von Beobachtungen hin, die von Systematikern oft zu wenig beachtet werden: es handelt sich um eine rein paulinische Metapher, die sich erst mit der Zeit entwickelt: die Hinzufügung des Gedankens von Christus als Haupt erfolgt erst mit den Gefangenschaftsbriefen.
In den folgenden drei Kapiteln werden drei große ekklesiologische Modelle ausführlich vorgestellt und kritisch bewertet. Das Fehlen eines Kapitels über die östliche Orthodoxie oder die lutherische Theologie mag überraschen, erklärt sich jedoch dadurch, dass Blocher eine Typologie anbietet, die sich an den drei folgenden großen biblischen Metaphern orientiert: dem Leib Christi (katholisches Modell, das neben der römisch-katholischen Kirche auch die Orthodoxie und den Anglikanismus umfasst, denen er einige Seiten widmet), dem Volk Gottes (reformiertes Modell, das die lutherische Theologie einschließt) und dem Tempel des Geistes (freikirchliches Modell, „La conception ‚professante‘“ (223), beispielsweise der Baptistengemeinden).
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Professor Blocher in erster Linie und vor allem als französischer Theologe schreibt. Frankreich wurde lange, ob man dem zustimmt oder nicht, als die älteste Tochter der römisch-katholischen Kirche betrachtet.
Weit entfernt von den Karikaturen, die leider allzu oft protestantische Darstellungen durchziehen, weist er auf die genialen Züge und die inneren Dualismen dieser reichen Tradition hin. Als guter Protestant richtet er vier Hauptkritikpunkte an die römisch-katholische Auffassung: (a) Die allzu menschliche Erhöhung des Menschlichen: Neben der unverhältnismäßigen Stellung des Heiligenkults und der katholischen Hierarchie weist Blocher auf spätgeschichtliche Entwicklungen hin, die im Widerspruch zur Heiligen Schrift stehen. Darüber hinaus zeigt er, dass die römisch-katholische Tradition in wichtigen Punkten wie der Unbefleckten Empfängnis, die selbst von Thomas von Aquin abgelehnt wurde, nicht einstimmig war. (b) Der Angriff auf das Recht Gottes: Dies ist das Gegenstück zur vorherigen Kritik. Blocher schreibt: „Die Ausweitung der göttlichen Vorrechte macht die Verherrlichung Gottes zunichte“ (149). (c) Die monophysitische Versuchung: Blocher prangert die inkarnationistische Tendenz des Katholizismus an, wobei die Kirche als fortgesetzte Inkarnation Christi verstanden wird, die dazu neigt, die Grenze zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf zu verkleinern. (d) Die Schwächung des „Ein für alle Mal“: Die biblische ephapax des Werkes Christi wird in der Verwirklichung geschwächt, da die Himmelfahrt vernachlässigt wird.
Blocher wuchs zwar in einem Land auf, das noch immer vom Katholizismus dominiert wird, er entwickelte sich jedoch weitgehend im Dialog mit der presbyterianischen Tradition, zwischen Anziehung und Unterscheidung. Während er den lehramtlichen Reformern und ihren Nachfolgern große Verdienste zuerkennt, übt Blocher auch deutliche Kritik an einigen ihrer Schwächen. Am meisten scheint ihn die Nivellierung der Unterschiede zwischen dem Alten und dem Neuen Bund und die damit einhergehende „de jure“-Zugehörigkeit der Kinder zur sichtbaren Kirche zu stören. Außerdem findet er, die einheitliche Tendenz („tendance unitaire“, 221) des reformierten Denkens, das auf die Erhabenheit und die Souveränität des einen Gottes besteht, habe zur Folge, dass die eigentliche Aufgabe des Geistes vernachlässigt und die Bedeutung des persönlichen Glaubens der Gläubigen geschwächt werde.
Im letzten Kapitel entwickelt Blocher sein eigenes Verständnis der Kirche, das freikirchliche Kirchenverständnis. Es geht hier um eine Tradition, die in der Schrift ihre Wurzeln hat und im Zuge der radikalen Reformation und der reichen Geschichte der evangelischen Erweckung zum Ausdruck kommt. Es überrascht nicht, dass die Anzahl der Fußnoten und der historischen Verweise abnimmt, da die Vertreter dieser Sichtweise weniger Literatur als die vorherigen hervorgebracht haben. Trotz des unbestreitbaren Reichtums der Ausführungen, die sich sehr stark auf die Exegese der Heiligen Schrift stützen, kann man sich darüber wundern, dass Blocher es nicht für nötig hält, die Gründungsdokumente der Baptistenväter heranzuziehen. Ebenso wenig nimmt er sich die Zeit, einen Dialog mit Miroslav Volf, einem der anregendsten Autoren dieser Tradition, zu führen. Schließlich scheint es ihm schwer zu fallen, die Translokalität der Kirche zu artikulieren, ein Thema, das in letzter Zeit immer mehr in den Vordergrund gerückt ist.
Trotz dieser Kritikpunkte stellt Henri Blochers Werk unbestreitbar einen Wendepunkt hinsichtlich des Aufbaus einer konfessionellen Ekklesiologie dar. Sowohl formal als auch inhaltlich handelt es sich um ein Buch von hoher Qualität, das von Pastoren, Theologiestudenten und Theologen jeglicher Couleur gelesen werden sollte. Wir warten also sehr gespannt auf Band 2!
Matt Moury ist Pastor der Eglise Evangelique Baptiste in Argenteuil