Systematische Theologie

Ingolf Dalferth: Auferweckung. Plädoyer für ein anderes Paradigma der Christologie

Ingolf Dalferth: Auferweckung. Plädoyer für ein anderes Paradigma der Christologie, Forum Theologische Literaturzeitung 39, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2023, Pb., 184 S., € 28,–, ISBN 978-3-374-07360-3


Der emeritierte evangelische Theologe und Religionsphilosoph Ingolf Dalferth knüpft mit seinem vierzehn Kapitel umfassenden, sehr dicht geschriebenen Essay an seine Studie Der auferweckte Gekreuzigte aus dem Jahr 1994 an. Zudem greift er vor allem im hinteren Teil das Verständnis von Menschlichkeit auf, das er bereits in seinem Entwurf Sünde. Die Entdeckung der Menschlichkeit im Jahr 2019 entfaltet hat. Dalferths Ziel liegt darin, das christologische Paradigma der Auferweckung gegenüber dem Inkarnationsparadigma zu stärken und Christologie damit konsequent von der Auferweckung her zu denken. Das Inkarnationsparadigma habe viele „Abirrungen und Sackgassen“ (7) des christologischen Denkens zur Folge gehabt, weil in diesem übersehen wurde, dass die Rede von der Inkarnation immer nur als „hermeneutische Rückprojektion von der Auferweckung des Gekreuzigten her“ (6) geführt werden könne.

Für seine Argumentationsführung zeichnet der Vf. in den Kapiteln I–III nach, wie aus seiner Sicht der Weg vom anfänglich zentralen Auferweckungsbekenntnis zu einer Fokussierung auf eine Kreuzestheologie und die Betonung der Inkarnation verlaufen sei. Er plädiert bereits hier dafür, nicht von Auferstehung, sondern von Auferweckung zu sprechen. Dadurch werde deutlich, dass es sich um ein göttliches Geschehen handle, das allein in Gottes Verfügungsgewalt stehe und sich als Akt schöpferischer Liebe am Gekreuzigten als etwas Neues vollziehe und sodann an allen, die diese Auferweckung bekennen (15–18). Das entscheidende theologiegeschichtliche Problem liege in den Entscheidungen des Konzils von Chalcedon und dessen Formel der zwei Naturen Jesu Christi. Diese ursprünglich als Bekenntnis gedachte Formel, die – wie jedes Bekenntnis – innerhalb ihres historischen, (religions)politischen und gesellschaftlichen Kontexts verstanden werden müsse, habe sich zunehmend zum normativen Dogma entwickelt, womit sich auch die Problematik der zwei Naturen in einer Person zu einer auf das Inkarnationsparadigma fokussierten Christologie verfestigt habe.

Diese Problematik aufgreifend skizziert der Vf. in den Kapiteln IV–VIII die Schwierigkeiten einer auf die Inkarnation fokussierten Christologie und ihrer Folgen für die Soteriologie. Er setzt sich mit der Art und Weise auseinander, wie Bekenntnisse zu verstehen sind, was sie leisten können, wo aber auch ihre Grenzen zu sehen sind. Dies führt ihn zu einer Auseinandersetzung mit Problemen der klassischen Christologie. Er charakterisiert drei Denkrichtungen, die die Schwierigkeiten von Chalcedon zu lösen versuchten: eine erste, in der Jesus Gottmensch ist, eine zweite, die ihn als den wahren Menschen sieht, sowie eine dritte, die ihn als exemplarisches Vorbild sieht. Allen dreien sei gemeinsam, dass sie einen soteriologischen Bezug über die „gemeinsame Menschheit denken, die Jesus Christus mit uns allen teilt“ (89). Diese „Anthropologisierung des Heils“ (94) verdunkle aber, dass es viel weniger um Jesus an sich gehe, schon gar nicht um Fragen rund um den historischen Jesus. Die eigentliche soteriologische Pointe liege darin, dass sich in ihm Gott als erbarmende und schöpferische Liebe offenbare, die für das Heil seiner Schöpfung handle (93).

In den verbleibenden Kapiteln IX–XIV entfaltet Dalferth nun sein Verständnis des Auferweckungsparadigmas, wobei ihm das Paradigma der Inkarnation weiterhin als Hintergrundfolie dient, von der er sich kritisch abgrenzt. Er entwickelt darin den Leitgedanken, dass nicht die Inkarnation, beschrieben z. B. mit Hilfe historischer Zeugnisse, Gottes Gegenwart erschließe. Vielmehr erschließe Gott selbst seine Gegenwart durch die Auferweckung des Gekreuzigten, womit sich rückwirkend zeige, wie ein Leben aussehe, das so lebt, wie Gott es sich gedacht habe. Vf. nennt dies das menschliche Leben. Mit Verweis auf den häufig für die Begründung der Inkarnation herangezogenen Christushymnus des Philipperbriefs sowie den Johannesprolog formuliert er, dass es dort eben nicht um die Menschwerdung Gottes gehe, sondern um den „Wechsel von der Unmenschlichkeit zur Menschlichkeit“ also der Menschlichwerdung Gottes (105). Das bedeute, dass Jesus sein Leben als Mensch so gelebt habe, wie Gott sich ein menschliches Leben vorstellt. Durch die Auferweckung des Gekreuzigten nun habe Gott den Menschen von der Blindheit für Gott und für das wahre menschliche Leben befreit und damit die Kluft der Sünde überwunden (125–128). Damit zeige das Auferweckungsparadigma, dass „die Möglichkeit der Menschlichkeit [..] Wirklichkeit werden könne“, weil Jesus Christus ganz aus Gottes Gegenwart gelebt habe „und damit anderen den Weg bahnt, auch so leben zu können: ganz aus Gott und ganz für andere“ (174).

Dalferths Entwurf ist äußerst lesenswert. Dabei liegt die Stärke des Essays weniger in der theologischen Überzeugungskraft, als vielmehr in der Herausforderung, tradierte Denkweisen zu überprüfen. Die Unklarheiten bzw. Fragestellungen, die sich aus den Beschlüssen von Chalcedon ergeben, sind ja tatsächlich vorhanden und Dalferth deckt sie schonungslos auf. Auch seine Einordnung der Bekenntnisse und die grundsätzliche Fragestellung, welchen normativen Stellenwert diese haben, müssen ernstgenommen werden. Fraglich erscheint jedoch, ob ein neues Paradigma tatsächlich der einzige Ausweg ist.

Der Essay wirft aber auch eine Reihe von Fragen auf, von denen einige hier genannt werden: Seine exegetischen Erkenntnisse zum Philipperhymnus und dem Johannesprolog scheinen innerhalb seiner hermeneutischen Prämissen schlüssig, stehen aber in Sachen Inkarnation einer größeren Gruppe anderer exegetischer Erkenntnisse entgegen. Seine Kritik an einer Christologie, die Jesus als nachahmenswertes Vorbild des guten Menschen sieht, ist deutlich. Allerdings wird dem Leser nicht völlig klar, wer nun eigentlich der Jesus war, der auf der Erde lebte und woher dieser kam. Zudem muss man fragen, ob sein Ansatz, denkt man ihn konsequent weiter, nicht ebenfalls zu einem Jesus exemplum führt, dessen Leben Gottes Bestätigung in der Auferweckung erfährt und der damit zum Vorbild wird, das der Mensch nach seiner Befreiung von Blindheit nachahmt? Das führt zum größten Einwand, nämlich der Frage nach der zugrunde liegenden Sünden- und Erlösungstheologie. Bei Dalferth liegt die Sünde in der Ablehnung der Geschöpflichkeit des Menschen. Die Folge ist das unmenschliche Leben, aus dem das menschliche Leben Jesu herausführt. Das ist innerhalb von Dalferths System schlüssig, ob es jedoch mit einem biblisch gezeichneten Bild von Sünde und Erlösung in Einklang steht, erscheint fraglich.


Henrik Homrighausen, Oberstdorf, Doktorand an der STH Basel