Praktische Theologie

Frank Albrecht Uhlhorn: Kybernetik

Frank Albrecht Uhlhorn: Kybernetik, Kompendien Praktische Theologie 6, Stuttgart: Kohlhammer, 2023, Pb, 138 S., € 29,–, ISBN 978-3-17-034078-7


Kybernetik ist für Paulus das Charisma der Leitung (1Kor 12,28). Ausgehend davon wird der Begriff oft für dasjenige Teilgebiet in der Praktischen Theologie verwendet, das sich mit Führung und Leitung befasst. Wer das Buch von Frank Albrecht Uhlhorn, Superintendent im Kirchenkreis Göttingen, in die Hand nimmt, merkt sofort: Das ist eine andere Art Kybernetik, in Form und Inhalt. Keine praktischen Hinweise zu leadership, keine Theorie geistlicher Leitung. Stattdessen wendet U. fundiert und sehr anregend die Systemtheorie von Niklas Luhmann auf prakt.-theol. Fragestellungen an. Es gehe in der Kybernetik nicht um Steuerung, sondern um „Beobachtung und Experiment“ (11). Die Leitfrage der Kybernetik formuliert U. so: „Wie funktioniert das Funktionieren?“ (13). Ein solch „zirkuläres Fragen“ fördere das Wissen, als Wissen über das eigene Unwissen.

Die These von U. lautet: Die Kirche ist in der Vergangenheit so gut gesteuert worden, dass die Entscheidung ihrer Mitglieder irrelevant wurden. Sein Reformvorschlag setzt in einem Bereich, nämlich bei den „Stellen der bezahlten Kräfte“ (16), an. Durch eine so veränderte Personalpolitik, die er im letzten Kapitel skizziert, soll auch die „Kommunikationen der Kirche in Deutschland dann wieder anschlussfähiger“ (16) werden. In den historisch orientieren Kapiteln beginnt U. mit Paulus. Das Buch ist ein „Kompendium“, kann also nicht umfassend alle Diskursstränge einflechten. Gleichwohl überrascht die Auswahl des Behandelten und des Übergangenen schon in diesem Kapitel – weder die Charismenlehre, noch etwa andere Schriften der Bibel kommen in den Blick.

Mit Niklas Luhmann sieht U. in der „justizförmigen Regulierung der internen Operationen durch das Kirchenrecht“ (30) den entscheidenden Erfolgsfaktor der Kirche in der Antike. Von dieser Regulierung her hat sich eine schlagkräftige Organisation gebildet, die allerdings nicht mehr auf die innere Zustimmung ihrer Mitglieder angewiesen war (31). Über die Einheit von staatlicher Ordnung und Kirche im Mittelalter arbeitet sich U. zur Reformation vor. Der Buchdruck hätte „Abweichung und Neuheit“ (47) ermöglicht. Aber durch die Organisation als landesherrliches Kirchenregiment wurde wieder keine Entscheidung möglich und nötig. Obwohl genau das eine Forderung im Pietismus wurde, überspringt der Autor diese Epoche und kommt zu Friedrich Schleiermacher und dann im exemplarischen Durchgang zu weiteren kirchentheoretischen und kybernetischen Modellen der letzten 100 Jahre.

An dieser Stelle kann die Auswahl der behandelten Texte und Autoren nicht mehr überzeugen. Warum sämtliche Erträge des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) sowie die dort verantwortete Buchreihe „BEG“, die Dissertationen von Malte Detje “servant leadership” oder von Kolja Koeniger “Gütersphären der Leitung”, ganz zu schweigen von zahllosen kirchentheoretischen und führungswissenschaftlichen Impulsen von Michael Herbst völlig übergangen oder als „evangelikal“ (68) verunglimpft werden, ist nicht nachzuvollziehen.

U. stellt fest, dass „die Organisation Kirche ihre eigene Organisationsstruktur nicht mehr in eine zweiseitig kontingente Relation zur Umwelt bringen kann“ (113), um dann in der Folge einen eigenen Vorschlag zu präsentieren, der bei der Personalpolitik des Kirchenamtes ansetzt.

Das Buch bietet sehr dichte und aufmerksam zu lesende Zusammenfassungen kirchentheoretischer und kybernetischer Entwürfe. Gewohnte Denkweisen werden durch die präzise Sprache und viele Verweise auf Werke von Niklas Luhmann herausgefordert. U. lädt ein, es sich nicht zu leicht zu machen und sich von der Idee zu verabschieden, dass ein kausal-linearer Durchgriff in komplexen Systemen möglich ist. Die gewählten Beispiele (CSD-Parade, diakonisches Handeln) zeigen aber, dass der Verfasser selbst in konventionelleren Bahnen denkt. Neuere Gemeindeformen und Erprobungsräume etwa kommen als kontingente Ermöglichungen, als gelungene Anpassung an die präzise geschilderten Herausforderungen, nicht in den Blick.


Pfarrer Bernhard Schröder, Theologischer Referent beim Institut zur Erforschung von Mission und Kirche (IMK) der evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Attersee