Altes Testament

Tobias Häner: Ironie und Ambiguität im Ijobbuch

Tobias Häner: Ironie und Ambiguität im Ijobbuch, FAT 179, Tübingen: Mohr Siebeck, 2024, Pb., XVI+473 S., € 159,–, ISBN 978-3-16-162402-5


Mit seiner Monografie (als leicht überarbeitete und aktualisierte Fassung der Habilitationsschrift) untersucht Häner das Buch Hiob in der thematischen Blickrichtung auf die poetischen Stilmittel Ironie und Ambiguität. Denkvoraussetzend legt er eine kanonisch intertextuelle Herangehensweise zugrunde, literaturwissenschaftlich hermeneutisch einen rezeptionsästhetisch wirkungsästhetischen Ansatz.

In alle dem setzt Häner die „textgenetischen Schichten“ als Polyfonie „einzelner Stimmen im Buch“ (17) voraus. So sollen einerseits die Ironie „als Modus der Infragestellung“ (17) von Stimmen durch andere Stimmen, andererseits die Ambiguität (Mehrdeutigkeit) als Sichtbarmachung nebeneinander verlaufender kontrastierender Stimmen erkenntnisleitende Mittel der Texterschließung sein. Auf linguistischer Ebene nähert sich Häner neben anderem einem sprechakttheoretischen Ansatz.

Als Ergebnis formuliert Häner vier Grundmerkmale des Ironiebegriffs (83–84): 1. Verdecktheit (Ironie hält im Gesagten das Gemeinte verdeckt), 2. Wertung (Das Gemeinte impliziert ein (meist kritisches) Werturteil.), 3. Gewichtung (das Gewicht der Botschaft liegt mehr auf dem Gemeinten), 4. Intentionalität (die Intention des Textes strebt auf das Gemeinte hin). Davon abgeleitet schlägt Häner für die Texte des Alten Testaments drei Kategorien vor (84–89, 111–125): 1. rhetorische Ironie (unterteilt in Antiphrase und simulierte, auch pragmatische Unaufrichtigkeit), 2. Anspielungsironie, 3. dramatische Ironie.

Für die Ambiguität bringt Häner die folgenden Grundmerkmale in Anschlag (109–111): 1. Unterscheidbarkeit (von zwei oder mehr Bedeutungen eines Abschnitts oder Begriffs), 2. Unvereinbarkeit (der unterschiedlichen Bedeutungen), 3. Unentscheidbarkeit (für eine bestimmte Bedeutung), 4. Intendiertheit (die Mehrdeutigkeit ist bewusst gesetzt). Am Ende (111–125) formuliert Häner eine Methodik zur Ergründung von Ironien und Ambiguitäten in biblischen Texten.

Als eindrücklich begegnen (mit Kapitel 3) die Darlegungen über die mehrfältig (aber nicht beliebig) mögliche Positionierung des Buches Hiob innerhalb des jüdischen und christlichen kanonischen Gefüges. Darin vermag sich das Angelegtsein des Buches auf Vielstimmigkeit und Ambiguität zu erweisen.

Mit Kapitel 4 beginnt die eigentliche Näherung an das Buch, beginnend mit dem Prolog Hi 1–2. Mit Blick auf die Eingangsszene (Hi 1,1–5) geht Häner mit anderen davon aus, dass die Charakterisierung der Einzigartigkeit Hiobs als Merkmal der pragmatischen Unaufrichtigkeit eine Übertreibung abbildet. Insgesamt arbeitet Häner heraus, dass der Prolog vom gleichzeitigen Lauf unvereinbarer Ambiguitäten geprägt ist.

Die mit Kapitel 5 erfolgende Untersuchung des Dialogteils (einschließlich der Reden Elihus) geschieht desgleichen in Unterscheidung der intradiegetischen (Hiobs erwidernde Ironien auf die Worte der Freunde) und der extradiegetischen (intertextuellen) Ebene. Im Einzelnen wird zunächst die Einleitungsklage Hi 3 intradiegetisch als übersteigerte Klage gelesen. Extradiegetisch wird der (ironisch umkehrende) Bezug zum Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,4a gesehen, wobei etwa das es werde Licht von Gen 1 zum es werde Finsternis von Hi 3 verkehrt wird usw.

Entsprechend dem Zugrunde-Gelegten erweisen exemplarisch die Redeeröffnungen Hiobs ironische Zuspitzungen und Stichwortverknüpfungen und erweisen die Redeeröffnungen im Allgemeinen ironisch polemische Paraphrasen (252–257). Gleich Elihu begegnen betreffende Paraphrasen in Hi 4–31 auch an vielen weiteren Stellen (257–277).

Auch die vier Reden Elihus, die einer möglichen, das gesamte Buch Hiob kommentierenden Retardation dienen und die „den Sprecher auf Augenhöhe mit Ijob argumentieren“ (322) lassen, scheinen im Letzten einen epistemologischen Vorbehalt zu spiegeln – und dies im Besonderen durch das ambig semantische Oszillieren „zwischen wörtlicher und ironischer Sinnebene“. (317–322)

Bereits Hi 38,1 als Einleitung in die Gottesreden (Kapitel 6) transportiert ein mögliches ironisches Anspiel an den Ironiker Hiob und dessen Weisheit, der Gottes Intention zur Antwort (zumindest auch) bestritt. Mit Hi 38,2.3 wird die Reihe antiphrastischer Ironien von insgesamt rund 60 rhetorischen Fragen eröffnet.

Hi 38,2 als „Vorwurf, Ijob habe ohne Kenntnis gesprochen“ und Hi 38,3b als die „dazu im Widerspruch stehende Aufforderung zur Belehrung“ geben „die vorrangige Zielrichtung der rhetorischen Ironien“ – und dem aufruhend der Ambiguitäten – in der gesamten ersten Rede Gottes vor: Hiobs Mangel an Erkenntnis (aus erster Hand) und an Fähigkeiten mit Blick auf JHWH und die Schöpfungsordnung (359–360).

Die zweite Rede reagiert, ausgehend von der zentralen Stelle Hi 40,8 und deren Rechtsbegriffen, in leichter Akzentverschiebung vornehmlich auf den „in 9,15–24 und 27,2–6 geäußerten Vorwurf, dass Gott die gerechte Vergeltung nicht zur Durchsetzung bringe und gegen ihn – Ijob – Unrecht verübe“ (378). Vor allem aber wird Hiob – und dem Menschen im Allgemeinen – vermittelt, dass er nicht „angemessen über JHWHs Vergeltungshandeln und Weltenlenkung“ bzw. „Rechtsausübung“ (40,8) zu urteilen vermag (378–380, 395). Diese Botschaft wird mittels der kontrastiv anmutenden Ambiguitäten der beiden Wesenheiten Behemot (potentielle Gefährlichkeit und Friedfertigkeit) und Leviatan (potentielle Gefährlichkeit und Bewunderungswürdigkeit) unterstrichen (379–380). JHWHs creatio (עצה, 38,2, erste Rede) und gubernatio („Lenkung“, משפט, 40,8) stellen sich der begrenzten Erkenntnisfähigkeit des Menschen als „unhintergehbar widersprüchlich“ (380) und damit als niemals zur Gänze erschließbar dar.

Der Epilog (Hi 42,7–17) bestätigt die innere Verflochtenheit des Buches Hiob, indem er deutliche Rückbezüge auf Prolog und Dialog, auf Hiob und die Freunde, erkennen lässt – und dies mehrfach in anspielend ironischer Unterlegung und ambigem Charakter. So erweist der Epilog die Wirkung von Opfer und Gebet Hiobs, das im Prolog mit Blick auf die zehn Kinder Hiobs im Zuge der Vereinbarung mit Satan plötzlich nicht wirkte.

In der theologischen Selbstreflexion (Kapitel 8) sieht Häner allerdings nicht, dass das Buch Hiob mit Blick auf Ironie und Ambiguität allein auf dem Weg einer negativen Theologie erfasst werden kann, indem man dort endigt, dass man über Gott im letzten nicht sprechen, sondern lediglich zu ihm sprechen kann. Vielmehr gewahrt Häner die Möglichkeit einer privativen Theologie, einer „personalen Begegnung“ mit Gott, die (im Gegensatz zu notierbarem propositionalem Wissen) nichtpropositionales Wissen als Teilhabe an einer (wirkungsästhetischen) Erfahrung auslöst.

Die Arbeit zeichnet sich des Weiteren darin aus, dass sie auf der ersten und zweiten Kapitelebene je zusammenfassend ausblickend erklärt, was im Folgenden erörtert wird. Ferner bietet jedes Hauptkapitel zu Beginn ein Zitat aus der (Fach-)Literatur, passend zu Kapitelüberschrift und Inhalt. Desgleichen gewährleisten die durchgängig begegnenden Fazits und die beschließende Konklusion die Wahrung des Überblicks.

Insgesamt eröffnet Häners Monografie eine neue Perspektive des Buches Hiob in seiner (möglichen) Vielstimmigkeit und intra- und extradiegetischen Verwobenheit. Dies unterstreicht die Integrität des gesamten Buches. Desgleichen erhalten die Leser neben der umfassenden Beantwortung der Forschungsfrage eine umfassende Schau der nicht allein aktuellen Forschungsdebatte zum Buch. Im Einzelnen bleibt es aber den Lesern und Leserinnen selbst überlassen, ob sie den abgeleiteten konkreten Zuordnungen folgen, oder nicht.


Dr. Jakob Böckle, Akademie für Kirche und Gesellschaft, Wien, Research Associate am Department of Old Testament and Hebrew Scriptures, University of Pretoria