Hannes Bezzel / Uwe Becker / Matthijs de Jong (Hg.): Prophecy and Foreign Nations
Hannes Bezzel / Uwe Becker / Matthijs de Jong (Hg.): Prophecy and Foreign Nations. Aspects of the Role of the „Nations“ in the Books of Isaiah, Jeremiah, and Ezekiel, FAT II/135, Tübingen: Mohr Siebeck, 2022, geb., 230 S., € 84,–, ISBN 978-3-16-161596-2
In der Forschung bisher zu wenig beachtet, aber für die Gesamtbotschaft Jesajas, Jeremias und Ezechiels bedeutend sind die Völkersprüche und die Rolle der Völker. Mit dem vorliegenden Sammelband gerät damit ein wichtiges Thema in den Blick. Das Buch geht auf eine Forschungsgruppe der EABS zurück, die sich mit „Prophecy and Foreign Nations“ bei Jesaja, Jeremia und Ezechiel beschäftigt. Einzelaspekte und Ergebnisse dieser Forschungsgruppe werden nun präsentiert, daher beabsichtigt das vorliegende Werk – trotz des umfassend klingenden Titels – keinen Überblick über die Völkerthematik zu liefern (V). Stattdessen analysieren fast alle Beiträge einen Komplex oder einzelne Völkersprüche im Zusammenhang mit der Botschaft des jeweiligen Prophetenbuches.
In Jesaja untersucht Archibald L. H. M. van Wieringen die Perspektive des textimmanenten Lesers auf Jes 13–23. Er zeigt Fluchtlinien und Orientierungspunkte innerhalb des Völkerspruchkomplexes auf. Zudem betrachtet er 13–23 als Hilfe für den Leser, die assyrische (36–39) und babylonische Krise um den Fall Jerusalems und das Exil zu verstehen, und deutet die Völkersprüche als Brücke zu 40–66.
Uwe Becker analysiert die diachrone Entstehung der Völkersprüche Jesajas, die er im Einklang mit vielen Forschern am Anfang der prophetischen Überlieferung verortet. Er skizziert kurz, aber für den Einstieg in das Thema sehr hilfreich die dazugehörigen Forschungsfragen und grundlegenden diachrone Hinweise in den Texten. Becker sieht in der jesajanischen Prophetie einen typisch heilsprophetischen Charakter der Völkersprüche vorliegen, die später entsprechend der deuteronomistischen Histografie theologisch gedeutet wurde. Eine Verhältnisbestimmung Jahwes zur Völkerwelt sei dann in der anti-assyrischen Redaktion erfolgt, wonach Jahwe als Herr der Völker und Beschützer Zions präsentiert werde.
Burkard M. Zapff untersucht den drastischen, unheilvollen Völkerspruch Jes 63,1–6 und seine Funktion im Jesajabuch, insbesondere im Hinblick auf die scheinbar unpassende Platzierung inmitten positiverer Texte über die Völker in Jes 56–66.
In Jeremia analysiert Eric Peels die unterschiedliche Reihenfolge der einzelnen Völkersprüche in MT und alexandrinischen Textform sowie die Positionierung des Völkerspruchkomplexes im Gesamtwerk. Peels geht davon aus, dass der MT die ältere Komposition bewahrt habe. Dazu untersucht er strukturiert die Über- und Unterschriften, chronologischen Angaben und die Idee hinter den zwei unterschiedlichen Kompositionen. U. a. in der Stellung des Elam-Spruchs zu Beginn des Komplexes in der LXX sieht er eine Anpassung an die historische Situation der persischen Zeit, genauer in die Zeit des persischen Zusammenbruches.
Matthijs J. de Jong sieht in den Völkersprüchen keine eigene Gattung, sondern eine literarische Entwicklung prophetischer Formen vorliegen. Dazu analysiert er den historischen Kontext von Jer 28,8–9 und dessen Zusammenhang mit dem Völkerspruchkomplex Jeremias.
Else K. Holt widmet sich der synchronen Analyse der Berufung Jeremias zum „Propheten für die Völker“ (Jer 1,5). Den Völkern spricht sie vier Funktionen zu: 1) Gerichtsinstrumente Jahwes, 2) Opfer von Jahwes Zorn, 3) Vergleichsobjekte für Israel und 4) Empfänger der göttlichen Gnade. Diese Funktionen sieht sie in entsprechenden Rollen Israels gespiegelt.
Rannfrid I. Thelle betrachtet den Moab-Spruch (Jer 48) synchron im Hinblick auf die Bedeutung Moabs für das Gesamtbuch. Dabei analysiert sie insbesondere die zahlreichen Echos auf andere Prophetien Jeremias über Juda und die Funktion des Spotts, der Ironie, der Empathie und des Mitleids, die im Moab-Spruch eng miteinander verwoben sind. Thelle zufolge werde Moab als Spiegel für Judas Schicksal gebraucht.
Hannes Bezzel untersucht wie Holt die Bestimmung Jeremias zum „Propheten für die Völker“. Er fokussiert sich auf den ersten Ägypten-Spruch Jer 46,2–12, indem er zwei unterschiedliche literarische Schichten feststellt, die er anhand ihrer Terminologie nicht in die Zeit Jeremias verorten kann.
Miklós Kőszeghys Aufsatz bietet einen sehr guten Einstieg in diachrone Forschungsfragen zum Babylon-Spruch Jer 50–51, wobei er sich auf die Spannung zwischen dem Babylon-Bild des Babylon-Spruches und den anderen Buchabschnitten Jeremias konzentriert. Intensiver beleuchtet er dabei die Entstehung und Gedankenwelt von 50–51.
In Ezechiel sieht Andrew Langley die Rechtfertigung Jahwes als zentrales Element des Völkerspruchkomplexes an. Ähnlich wie die Deutung des Moab-Spruches als Spiegel für Juda bei Thelle meint auch Langley, dass die Exilierten Judas in den Völkersprüchen angesprochen würden, denen rhetorisch anhand der Hybris der Völker ihre eigene Sündhaftigkeit, ihre eigene Rebellion gegen Jahwe aufgezeigt werde.
Lydia Lee untersucht text- und literarkritisch die Darstellung des tyrischen Königs (Ez 28,12b–15) in MT und LXX. Sie rekonstruiert verschiedene spätere Ergänzungen. Dessen ungeachtet, meint sie, dass im MT das ursprüngliche Verständnis der Perikope bewahrt worden sei.
R. Sofia Salo analysiert das masoretische Sondergut des Edom-Spruches Ez 35. Verständlich betrachtet sie die einzelnen Stellen und kommt zum Schluss, dass der MT auch nach der Übersetzung des Ezechielbuches ins Griechische noch leicht verändert wurde.
Insgesamt bieten die zwölf Beiträge einen weiten und methodisch unterschiedlichen (stärker diachronen) Beitrag zur Forschung bezüglich der Völkersprüche Jesajas, Jeremias und Ezechiels. Während einige Aufsätze Spezialthemen in den Blick nehmen (bspw. Lee, Salo), eignen sich andere Beiträge auch zum Einstieg in die Forschung zum jeweiligen Völkerspruchkomplex (bspw. Becker, Peels, Kőszeghys).
Christian Hilbrands, Doktorand an der Theologischen Universität Utrecht, Niederlande