Altes Testament

Karin Finsterbusch / Norbert Jacoby: MTL-Ez 11,25–48,35 und LXX967-Ez 11,25–48,35

Karin Finsterbusch / Norbert Jacoby: MTL-Ez 11,25–48,35 und LXX967-Ez 11,25–48,35. Synoptische Übersetzung und Analyse der Kommunikationsstruktur, WMANT 172, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2023, geb., VII+526 S., € 100,–, ISBN 978-3-525-56082-2

Karin Finsterbusch / Norbert Jacoby: MTL-Ez 11,25–48,35 und LXX967-Ez 11,25–48,35. Synoptische Leseausgabe des hebräischen und des griechischen Textes, WMANT 172, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2023, geb., VII+194 S., € 50,–, ISBN 978-3-525-56083-9


Das Ezechielbuch existiert in zwei Editionen: In einer masoretischen Fassung (MT) und in einer Old Greek Fassung (LXX). Als die beiden wichtigsten Textzeugen für Old Greek gelten Papyrus 967 (LXX967) aus dem 2./3. Jh. und Codex Vaticanus (LXXB) aus dem 4. Jh. Diese beiden Textzeugen unterscheiden sich erheblich, was in der Regel auf den Einfluss der Hexapla des Origenes im 3. Jh. zurückgeführt wird, der die LXX dem MT angeglichen hat. Während die nachhexaplaische LXX rund 4–5% kürzer ist als der MT, unterscheidet sich der vorhexaplaische Textzeuge LXX967, von dem Ez 11,25–48,35 erhalten ist, noch weitergehend vom MT: Einerseits dadurch, dass das Kapitel Ez 37 der Gog-Magog-Perikope nachgestellt ist (36–38–39–37–40), andererseits auch durch das Fehlen einiger Passagen (u. a. der sehr bekannten Passage 36,23b–38, wo ein neues Herz und ein neuer Geist verheißen werden). Nach der überwiegenden Mehrheitsmeinung (der sich auch Finsterbusch/Jacoby anschließen) bietet LXX967 eine ältere Textfassung als MT.

Nachdem Karin Finsterbusch und Norbert Jacoby bereits eine zweibändige synoptische Übersetzung von MT-Jeremia und LXX-Jeremia vorgelegt haben (2016: Jer 1–24; 2017: Jer 25–52), folgt nun in zwei Bänden eine synoptische Übersetzung und eine synoptische hebräisch-griechische Leseausgabe von MT-Ez (in der Textgestalt des Codex Leningradensis, der auch der BHS und BHQ zugrunde liegt) und LXX967-Ez. Damit wird eine wichtige Lücke geschlossen, gibt es von LXX967-Ez doch bisher keine Übersetzung (weder deutsch noch englisch) und auch nur Teileditionen des griechischen Textes.

In einer konzisen Einleitung im ersten Band werden die Textzeugen kurz vorgestellt. Zuerst wird LXX-Ez charakterisiert als eine insgesamt literale Übersetzung, in vieler Hinsicht der griechischen Übersetzung des Jeremiabuches ähnlich. Die These eines Übersetzerwechsels wird diskutiert und mit guten Gründen abgelehnt. Aus der originalgetreuen Übersetzung schließen die Herausgeber, dass der Übersetzer(kreis) nicht tiefgreifend in die Sinneinheiten des Ezechielbuches eingriff und darum eine von MT abweichende hebräische Vorlage benutzt haben muss. Die hebräischen Handschriften vom Toten Meer (Fragmente von sieben Ezechiel-Rollen) bieten freilich keine Belege für eine solche Vorlage, drei lassen sich nicht klassifizieren, zwei sind als proto-masoretisch, zwei als semi-masoretisch einzustufen. Die masoretische Kapitelabfolge 36–40 ist in MasEzek aus Masada belegt (1. Jh. v./n. Chr.). Einige Ezechiel-Zitate aus der frühjüdischen Literatur weisen aber auf die Existenz einer nicht-masoretischen hebräischen Vorlage hin. Kleine Eigenheiten in der griechischen Übersetzung lassen vermuten, dass die Übersetzung eher in Ägypten (Alexandrien) als in Palästina angefertigt wurde. Auch MT-Ez wird kurz eingeführt: Seine Textstruktur wird im Vergleich zu LXX967-Ez als Erweiterung durch proto-masoretische Redaktoren gedeutet, während dem MT auf der Mikroebene auch gegenüber LXX ältere Lesarten zugestanden werden. Als Entstehungszeit des proto-masoretischen Textes wird vorsichtig die frühe hellenistische Zeit angenommen.

Anschließend bietet die Einleitung aus dem ersten Band Erläuterungen zur synoptischen Übersetzung (verwendete Textausgaben, Charakter der deutschen Übersetzung, Anordnung der Texte, Markierungssystem bezüglich der Unterschiede, Gliederung und Kommunikationsstruktur), bevor auf knapp 500 Seiten die synoptische Übersetzung geboten wird. Diese ist sehr sorgfältig und übersichtlich angefertigt. In der Übersetzung selbst sind Textunterschiede kursiv markiert, Textüberschüsse (auf beiden Seiten) grau hinterlegt. Damit kann man sich zu jedem Text schnell einen Überblick verschaffen. Zahlreiche Fußnoten bieten Erläuterungen zur Übersetzung, zu möglichen hebräischen Vorlagen der LXX, zu möglichen Gründen für die Textunterschiede, zu Varianten innerhalb der MT- bzw. LXX-Überlieferung, etc. In zwei Anhängen wird auch noch eine Synopse von MTL-Ez 37 und LXX967-Ez 37 geboten (die im Lauftext aus oben genannten Gründen nicht nebeneinanderstehen) sowie eine Synopse von MTL-Ez 1,1–4 und LXXB-Ez 1,1–4. Drei Beispiele aus der Synopse:

–   MTL-Ez 24,18 formuliert: „Und ich redete zum Volk am Morgen. Und meine Frau starb am Abend.“ LXX967 dagegen formuliert: „Und ich redete zum Volk am Morgen, eben wie er mir befohlen hatte am Abend.“ Da vorher nie von Ezechiels Frau die Rede ist, sondern lediglich von der „Lust deiner Augen“ (24,16), führt dies dazu, dass in LXX967 wohl gar nicht vom Tod von Ezechiels Frau die Rede ist, sondern die „Lust deiner Augen“ den Tempel meint (vgl. 24,21).

–   MTL-Ez 28,14 formuliert: „Du (warst) ein Kerub…“, LXX967-Ez 28,14 dagegen „Du – mit einem Kerub habe ich dich gesetzt.“ Ob der König von Tyrus mit dem Kerub gleichgesetzt wird oder nicht, ist ein wichtiger Bedeutungsunterschied.

–   Nach LXX967-Ez 46,24 sollen (gegen LXXB-Ez 46,24 und MTL-Ez 46,24) in den Häusern der Kochstellen die Opfer der Völker (Pl.), nicht des Volkes (Sg.) gekocht werden. In der Fußnote wird vermutet, dass LXX967 hier sekundär sei und die Pilger aus der Diaspora im Blick habe.

Der zweite Band bietet sodann nach einer sehr kurzen Einführung eine synoptische Leseausgabe des hebräischen und des griechischen Textes von MTL-Ez und LXX967-Ez, wobei hier noch einmal zu unterstreichen ist, dass es sich beim griechischen Text von LXX967-Ez um die erste zusammenhängende Veröffentlichung des Ezechieltextes von P967 handelt, der bisher nur in Teilpublikationen zugänglich war.

Die ausgezeichnete Einführung im ersten Band und die vielen Anmerkungen in den Fußnoten beider Bände geben eine Interpretationshilfe für den textlichen Befund, doch die Edition erlaubt es natürlich auch, sich ein eigenes Bild zu machen und gelegentlich zu abweichenden Einschätzungen zu kommen.

Zusammenfassen kann man den Wert dieser zweibändigen Ausgabe vielleicht am besten mit einem Gedanken, der mir bei der Lektüre immer wieder durch den Kopf gegangen ist: Hätte es diese Ausgabe doch schon gegeben, als ich mein Ezechiel-Buch geschrieben habe! Karin Finsterbusch und Norbert Jacoby ist herzlich zu danken für dieses überaus hilfreiche und wertvolle Hilfsmittel für das schriftgelehrte Ezechielstudium!


Prof. Dr. Benjamin Kilchör, Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel