Altes Testament

Bernd Janowski: Biblischer Schöpfungsglaube

Bernd Janowski: Biblischer Schöpfungsglaube. Religionsgeschichte – Theologie – Ethik,Tübingen: Mohr Siebeck, 2023, 775 S., € 49,–, ISBN 978-3-16-159326-0


Der 1943 in Stettin geborene und 2012 in Tübingen nach siebzehn Jahren als Alttestamentler emeritierte Bernd Janowski legt mit diesem Buch eine weitere thematische Arbeit aus seinem umfangreichen Wirken vor. Es geht ihm um den Schöpfungsglauben, der sich für Christen aller Konfessionen im Apostolikum als erster Glaubensartikel findet. Dies sei jedoch erst in Reaktion auf Marcion so formuliert, in älteren christlichen Bekenntnissen sei die Schöpfung noch nicht so thematisiert. Angesichts der Fülle der mit dem Schöpfungsthema verbundenen Aspekte und Sichtweisen ist es dem Autor schwergefallen, die Vielfalt zu einem großen Entwurf mit klarer Linie zu bündeln. Er versteht seine Bearbeitung deshalb eher als eine Zusammenstellung exegetischer, theologiegeschichtlicher und religionsgeschichtlicher Materialien wie in einer Ausstellung, in der man von einem Themenraum zum nächsten geht und jeweils die Exponate in beliebiger Reihenfolge auf sich wirken lassen kann (38).

Das Buch gliedert sich in vier Kapitel. Im ersten (1–40) geht es ihm um eine Einführung in das Thema. Gleich eingangs wird dabei nicht über Gott reflektiert, sondern über Evolution und Darwin. Dem Kreationismus und der Theorie des Intelligent Design wird kategorisch vorgeworfen, die Aussageintention der biblischen Schöpfungstexte gründlich misszuverstehen (5, 45, 84). Eine diese Position vertretende Arbeit wird jedoch nicht erwähnt, geschweige denn sachgerecht diskutiert. Kap. 2 (41–127) widmet sich der Urgeschichte in der Genesis. Ausgangspunkt für die Reflektion ist bei Janowski allerdings nicht der gegebene biblische Text, sondern die in der Tradition der Literarkritik des 19. Jahrhunderts konstruierten Textkollagen P bzw. P-Grundschrift sowie Nicht-P-Texte. Eine Kenntnis davon, dass es für solche hypothetischen literarkritischen Konstruktionen seit Jahrzehnten keinen Konsens mehr gibt, ist auf den 775 Seiten nirgends auch nur im Ansatz erkennbar (z. B. R. Rendtorff: Das Überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuchs, 1976). Angesichts der seit einem halben Jahrhundert auch in Deutschland diskutierten „Krise der Pentateuchkritik“ wirkt die trotzige Ignorierung dieser Anfragen wenig überzeugend. Dass sich spätestens seit den 1970er Jahren innerhalb der internationalen Theologie zudem ein Paradigmenwechsel vollzogen hat in Richtung literaturwissenschaftlicher und kanonischer Wahrnehmung und Interpretation der biblischen Bücher und Themen, scheint in dieser Arbeit gar nicht erkannt und ist nicht diskutiert. Dass solche synchronen Zugänge zu den biblischen Texten sich besser an die 2000-jährigen jüdischen und kirchlichen Traditionen anzuschließen vermögen als die im Historismus und Rationalismus des 19. Jahrhunderts generierten fiktiven Hypothesenwelten der Literarkritik, ist andernorts längst beobachtet (vgl. u. a. B. S. Childs: Biblical Theology in Crisis, 1970; L. G. Perdue: The Collaps of History, 1994/2005). Mit seiner unkritischen Fixierung auf die alte Literarkritik offenbart sich die Schwäche des Buches. Die Ausarbeitung geht nicht von der Bibel aus wie sie jeder lesen kann, sondern von aus biblischen Textfragmenten rekonstruierten fiktiven Quellenschichten, deren Umfang und Ausrichtung nur innerhalb von Denkschulen überhaupt diskutabel sind und darüber hinaus wenig Relevanz zeigen. Es geht auch nicht um ein theologisches Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer, sondern um die hypothetische Entwicklung von religionsgeschichtlichen Vorstellungen von der Entstehung des Kosmos in nahöstlichen alten Kulturen.

In Kap. 3 (129–450) werden ausgehend von diesem literarkritischen Ansatz Themenfelder angesprochen, die einen Bezug zur Schöpfung haben. Vor allem poetische Texte in Psalmen, Weisheit und Propheten werden ausgewertet. Gesprächspartner bei allen Themen sind religionsgeschichtlichen Quellen der Umwelt. Unter Punkt 1 wird „Schöpfung und natürliche Lebenswelt“ behandelt sowie „Schöpfung und Menschenbild“ und „Schöpfung und Tierwelt“. Punkt 2 diskutiert unter der Überschrift „Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt“ die Beziehung von „Schöpfung und Königtum“ sowie „Schöpfung und Geschichte“. Der Punkt 3 sammelt als „Aspekte des religiösen Symbolsystems“ Materialien zu den Themen „Schöpfung und Tempel“, „Schöpfung und Chaos“ und „Schöpfung und Weisheit“.

Kap. 4 (451–481) bündelt die bisherigen Überlegungen zu einem Resümee. Es beginnt mit der postulierten geschichtlichen Entwicklung, die von früheren Schöpfungsaussagen in der älteren Spruchweisheit ausgeht, die wichtigsten und zentralen Texte seien jedoch exilisch-nachexilisch zu verorten. Der Gedanke von der Gründung der Erde verdanke sich möglicherweise mesopotamischen oder ägyptischen Vorstellungen (460). Der Leser erfährt, dass das Motiv vom Himmel als Wohnort Jhwhs erst exilisch überhaupt bekannt sei. Theologisch sei bedeutsam, die Erde als Lebensraum nicht nur für den Menschen, sondern auch für Pflanzen und Tiere wahrzunehmen und sie zu bewahren. Angesichts der Herausforderungen des Anthropozäns gelte es, eine Ethik der Mitgeschöpflichkeit zu entwickeln.

Das Buch bietet ferner drei Anhänge mit Quellenmaterial. Im ersten (485–505) werden zentrale Texte aus dem AT in eigener Übersetzung zugänglich gemacht, versehen mit knappen Anmerkungen. Sie sind gegliedert nach Pentateuch, Propheten und Psalmen/Weisheit. Der Anhang II (507–651) dokumentiert eine Fülle nichtbiblischer Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie aus der Umwelt: Ägypten, Mesopotamien, Kleinasien, Ugarit/Nordsyrien, Iran, Palästina/Israel, Griechenland, Rom, Antikes und Rabbinisches Judentum, Neues Testament und Antikes Judentum, Koran. Im Anhang III sind Texte zur Tier- und Umweltethik zusammengestellt (653–669).

Die Literaturliste umfasst 74 Seiten. Überraschend auffällig ist, dass unter den angegebenen Kommentaren bei Janowski ausschließlich deutschsprachige der Erwähnung Wert geachtet worden sind. Und in der Rubrik „Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel“ sind ca. 1500 Titel gelistet, nur knapp hundert davon – also prozentual im einstelligen Bereich – nicht in deutscher Sprache. Diese hier sichtbare sprachliche Provinzialität in einem wissenschaftlichen Werk steht parallel zu der eingangs angesprochen Engführung des Denkrahmens in den ausgetretenen Spurenrillen der literarkritischen Sondierungen deutscher Provenienz des 19. Jahrhunderts, die heute nicht nur dem Rezensenten als theologische Sackgasse erscheint. Es hätte der Arbeit sicher gutgetan, wären jüdische und synchron arbeitende Werke zum Thema konsultiert worden. So bleibt die Fülle der verarbeiteten Quellenmaterialien beeindruckend, der theologische Ertrag jedoch deutlich hinter den Möglichkeiten zurück.


Dr. Herbert H. Klement, Prof. em. für Altes Testament an der STH Basel und der ETF Leuven