Stefan Beyerle (Hg.): Apokalyptik
Stefan Beyerle (Hg.): Apokalyptik, Themen der Theologie 15, Tübingen: Mohr Siebeck (UTB), 2024, 300 S., € 24,90, ISBN 978-3-8252-6258-7
Im 15. Band der Reihe „Themen der Theologie“ liefert Stefan Beyerle, Professor für Altes Testament/Hebräische Bibel an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald und Herausgeber des vorliegenden Werkes, eine gesamttheologische Einführung zum Themenfeld der Apokalyptik. Gemeinsam mit fünf anderen Kollegen (M. Frenschkowski, M. Basse, U. H. J. Körtner, D. Pezzoli-Obligati und J. Schneider) soll das Themenfeld aus bibelwissenschaftlicher, systematischer sowie religionswissenschaftlicher und praktisch-theologischer Perspektive erörtert werden. Ganz im Sinne der Reihe „Themen der Theologie“ sollen Überschneidungen innerhalb der verschiedenen Betrachtungsweisen deutlich werden und zum Schluss eine Zusammenschau (255–266) ermöglichen.
Die Einführung von Stefan Beyerle bietet einen Überblick über die religiösen, politischen, kulturellen und theologischen Dimensionen der Apokalyptik. Dabei wird besonders herausgestellt, dass die Apokalyptik nicht auf ein literarisches Genre als solches beschränkt werden könne, sondern ein komplexes System von Symbolen und Vorstellungen sei, das sich durch verschiedene Epochen und Kulturen zieht. Ausgehend von den unterschiedlichen Dimensionen der Apokalyptik wird das Phänomen zunächst bibelwissenschaftlich untersucht.
Stefan Beyerle untersucht im ersten Abschnitt des Bandes die Entwicklung der Apokalyptik im antiken Judentum (29–67). Nach einer hilfreichen Differenzierung zwischen der literarischen Gattung der „Apokalypse“ und dem weiter gefassten Phänomen der „Apokalyptik“ (29–33) wird kurz auf die Trägerkreise eingegangen (33–35). Anschließend beschreibt Beyerle die Ursprünge apokalyptischer Vorstellungen und wie diese sich in den verschiedenen historischen Epochen entwickelt haben (36–45). Beginnend in der Perserzeit und sich fortsetzend bis ins erste und zweite Jahrhundert nach Christus werden verschiedene Aspekte der Apokalyptik nachgezeichnet. Dabei fällt auf, dass apokalyptische Ideen in diesen Jahrhunderten besonders in Zeiten politischer und sozialer Unsicherheit gedeihen, wenn traditionelle Machtstrukturen zusammenbrechen oder bedroht sind. Die apokalyptische Literatur dieser Zeit spiegelt die Hoffnungen und Ängste einer Gemeinschaft wider, die sich in einer Übergangsphase befindet und nach einem neuen Sinn und einer neuen Ordnung sucht.
Marco Frenschkowski analysiert die Apokalyptik im Neuen Testament und im frühen Christentum (74–110). Er legt dar, wie apokalyptische Themen in die grundlegende Verkündigung des Christentums eingeflossen sind und wie diese Ideen von den frühen Christen interpretiert wurden. In der Untersuchung zeichnet sich dabei nicht nur die Vielfalt der apokalyptischen Literatur von der Verkündigung Jesu bis hin zur Johannesoffenbarung ab. Vielmehr werden die historischen Implikationen in den Blick genommen. Im Kontext des frühen Christentums werde dabei apokalyptisches Denken nicht als „negative Weltsicht“ verstanden, sondern als massive Zivilisations-, Gesellschafts- und Sittenkritik beschrieben, verpackt in eine Zukunftsvision.
Michael Basse widmet sich der Rolle der Apokalyptik in der Kirchengeschichte (117–144). Er zeigt, dass apokalyptische Vorstellungen zu allen Zeiten in der Geschichte des Christentums präsent waren, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und mit verschiedenen Ausprägungen. In der Alten Kirche diente die Apokalyptik als Mittel zur Selbstvergewisserung in Zeiten der Christenverfolgungen. In späteren Jahrhunderten wurden apokalyptische Ideen oft mit sozialen und politischen Bewegungen verknüpft, die nach einer radikalen Veränderung der bestehenden Ordnung strebten. Basse macht deutlich, dass die Apokalyptik immer wieder als Werkzeug genutzt wurde, um die Gegenwart zu deuten und die Zukunft zu gestalten.
Das Themenfeld der systematischen Theologie bespricht Ulrich H. J. Körtner (157–177). Dabei beschäftigt er sich zunächst mit der Beziehung zwischen Apokalyptik und Eschatologie. In der christlichen Tradition wird das Ende der Welt oft mit der Wiederkunft Christi und dem Jüngsten Gericht verbunden. Die Apokalyptik, eine spezielle Form der Eschatologie, betont katastrophale Ereignisse und das endgültige Gericht. Anschließend werden verschiedene Entwürfe zur Apokalyptik (Pannenberg, Moltmann, Sauter, Metz) zusammengefasst (160–169). Abschließend findet eine Gesamtbetrachtung unter den Perspektiven von Angst und christlichem Glauben statt: Körtner beschreibt apokalyptisches Denken als Reaktion auf tiefe Ängste, insbesondere die Angst vor der Endlichkeit der Welt. Apokalyptik biete in dieser Hinsicht Trost, indem sie göttliches Eingreifen und einen Neuanfang nach dem Weltuntergang verspricht. Im Gegensatz zur Prophetie, die Umkehr fordert, tröstet Apokalyptik durch die Aussicht auf Rettung in der Endzeit. Sie kann jedoch auch zu Eskapismus führen, der Veränderungen verhindert (174). Der christliche Glaube transformiert diese Sicht, indem er die Welt trotz ihrer Gebrechlichkeit bejaht und Hoffnung in Gottes Liebe setzt.
Das Kapitel von D. Pezzoli-Obligati eröffnet die religionsgeschichtliche Perspektive (181–210). Die Rezeption apokalyptischer Motive, insbesondere aus der Offenbarung des Johannes, in verschiedenen kulturellen Kontexten steht im Vordergrund. Insofern ergibt sich hier eine spannende Rezeptionsgeschichte der Neuzeit. Auffallend ist: Der Begriff „Apokalypse“ hat dabei eine breitere Bedeutung angenommen, die über die ursprüngliche Idee einer Enthüllung hinausgeht. Im Fokus des Kapitels stehen Kommunikationsprozesse in der Religion, die umfassende Weltbilder vermitteln, die oft apokalyptische Elemente beinhalten.
Der Themenband wird mit einer Zusammenschau von Stefan Beyerle abgeschlossen. Die grundlegende Tendenz sei, dass die Unterscheidung zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“ in der Apokalyptik unscharf werde, da apokalyptische Motive sowohl zentrale als auch periphere Rollen in Theologie, Kultur und Philosophie spielen würden. Kanonisch-biblisch sind apokalyptische Texte wie die Johannesoffenbarung und das Danielbuch oft am Rand positioniert, was sich in ihrer marginalen Rolle in Liturgie und Religionsunterricht widerspiegelt.
Historisch betrachtet werden Apokalypsen oft als Reaktion auf Krisen verstanden, deren Bedeutung im Laufe der Zeit schwankt. Die Forschung zeigt, dass Apokalypsen sowohl kosmische Katastrophen als auch literarische Reaktionen darauf umfassen. Krisen, die einst apokalyptische Reaktionen hervorriefen, verlieren mit der Zeit ihre zentrale Bedeutung, wie etwa die religiösen Verfolgungen der Antike oder das Erdbeben in Lissabon (1755). Allerdings kehren Apokalypsen in bestimmten „Erinnerungsräumen“ immer wieder ins Zentrum zurück, wie bei politischen Konflikten des 20. Jahrhunderts oder ideologischen Bewegungen, etwa in Spenglers „Untergang des Abendlandes“ oder der Fin-de-Siècle-Literatur.
Das Sammelwerk liefert einen spannenden Rundflug durch die theologischen Disziplinen. Leider wirken die einzelnen Kapitel selten aufeinander bezogen. Dementsprechend wirkt auch die Zusammenschau angesichts des geringen Bezugs der einzelnen Beiträge recht abgelöst. Insofern findet sich hier meines Erachtens keine Synthese der bisherigen Perspektiven, sondern lediglich eine Bezugnahme auf den Beginn mit Blick auf weitere Dimensionen der Apokalyptik.
Der vorliegende Band schafft es dennoch, in erstaunlicher Kürze den Facettenreichtum der Apokalyptik deutlich zu machen. Von den frühen Anfängen und Deutungen im Vorderen Orient bis zur heutigen Rezeption und Rolle der Apokalyptik bekommt der Leser einen differenzierten Einblick in ein komplexes Themenfeld. Gerade im Zuge der aktuellen Krisen(-besprechungen) kann dieses Werk sowohl für Studierende als auch für Laien als hilfreiche Einführung dienen.
Simeon Redinger (M.A.) Pastor und wissenschaftliche Hilfskraft bei Jun.-Prof. Dr. Jan Rüggemeier an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn