Ursula Ulrike Kaiser: Neutestamentliche Exegese kompakt
Ursula Ulrike Kaiser: Neutestamentliche Exegese kompakt. Eine Einführung in die wichtigsten Methoden und Hilfsmittel, UTB 5984, Tübingen: Mohr Siebeck, 2022, kart., 243 S., € 22,−, ISBN 978-3-8252-5984-6
Kaiser (Jg. 1971) ist Professorin für Biblische Theologie und ihre Didaktik am Institut für Ev. Theologie und Religionspädagogik der TU Braunschweig und fügt der Menge deutschsprachiger NT-Exegese-Studienbücher der letzten 15 Jahre ihr eigenes hinzu (Landgraf/Metzger u. a. (2010); Wick/Egger u. a. (6. neu bearb. Aufl. 2011); Schnelle (8. Aufl. 2013); Erlemann/Wagner (2013); Finnern/Rüggemeier (2016); Fee u. a. (übersetzt aus englisch 2018); Ebner/Heininger (4. Aufl. 2018); Nägele (2022); Schart (2024)). Und tatsächlich ist ihr eine für Theologie Studierende (und Interessierte) überaus hilfreiche, verständliche, praktische und didaktisch hervorragend aufgebaute Einführung in die exegetische Methodik und Anleitung für eine exegetische Hausarbeit gelungen.
Das Buch ist nach einer Einführung in 5 Teile eingeteilt, wobei die Teile A-E dem methodisch sinnvollen Schritt-für-Schritt Vorgehen für die Erarbeitung einer exegetischen Hausarbeit entsprechen. Teil F enthält praxiserprobte Hinweise zum Verfassen einer solchen Arbeit (inkl. Antworten auf formale Fragen wie die Handhabung von Abkürzungen, Parallelstellen oder Literaturverzeichnis) und ein Kapitel zu Vorteilen der Arbeit mit Bibelsoftware. Die Autorin ist spürbar auf dem neusten Stand der Digitalisierung und verweist am Ende jedes Kapitels oder bei entsprechenden Hilfsmitteln gleich mit einem QR-Code auf die entsprechende Internetseite. Insgesamt 65 Textbeispiele sind über das ganze Buch eingearbeitet, z. T. und wo sinnvoll, wird ein Beispiel auch mehrmals bei verschiedenen Arbeitsschritten verwendet.
Teil A Textsicherung enthält Unterabschnitte zu „Übersetzung“, „Sachklärung“, „Textkritik“ und „Abgrenzung der Perikope und Einordnung in das textliche Umfeld“. Teil B erklärt unter der Überschrift „Der Text als Ganzes – Vertiefende Textbeschreibung“ die Grammatische, Semantische, Narratologische und Pragmatische Analyse, wobei jeder dieser Schritte am Ende einen Abschnitt „Hilfsmittel“ enthält und durch „Verknüpfung mit anderen Exegeseschritten“ mit diesen verbunden ist. Letzteres ist besonders hilfreich und dankenswert. Denn angesichts der über die klassische historisch-kritische Methodik hinaus meist unverbunden hinzugefügten literarwissenschaftlichen Methodenschritte steht mancher Studierende hilflos vor einem Methodenpluralismus, aus dem man scheinbar nach eigenem Gutdünken auswählen kann. Das verneint Kaiser indirekt, indem sie ein klares und nachvollziehbares Vorgehen vorschlägt, hinter dem ein angemessenes Verständnis von Sprache und Verstehen von Literatur steht. Erst jetzt in Teil C (Der Text im Vergleich mit anderen Texten und Vorstellungen) und D (Der Text und seine Entstehungsgeschichte) folgen die klassischen Schritte der historisch-kritischen Methode. Zu ersterem gehört die Gattungs- und Traditionsanalyse, zu letzterem die Literarkritik und Redaktionsgeschichte. Interessanterweise schließt Kaiser Teil D mit einem 2-seitigen Kapitel zur Frage „Historische Rückfrage – Ist das alles „wirklich“ passiert?“ Die Frage wird mit der Bemerkung, sie sei „auch nicht notwendig Bestandteil einer exegetischen Untersuchung“ beinahe wieder zurückgenommen. Und die Hinweise, „der Text selbst [sei] an dieser Art von historischer Berichterstattung nicht interessiert“ oder die „Frage: ‚Hat sich das wirklich genau so ereignet?‘ ist eher selten die entscheidende.“ (205–206) lassen wohl nicht nur Studierende eher ratlos zurück. Teil E widmet sich schließlich dem Text und seiner Wirkung. Ein nochmals sehr kurzes Kapitel „Interpretation des Textes in seinem ursprünglichen Kontext“ betont, dass alle methodischen Schritte letztlich gemeinsam der Deutung des ganzen Textes dienen sollen und das Ziel eine schlüssige Gesamtdarstellung ist. Das Kap. „Wirkungsgeschichte“ enthält auch eine hilfreiche Einführung in v. a. die deutschsprachigen Kommentarwerke (engl. nur Hinweis auf AncB und ICC).
Kaiser legt eine inhaltlich und didaktisch überaus gelungene Einführung in die ntl. Exegese vor, die sogar für Studierende, die noch kein Griechisch gelernt haben, verständlich und gewinnbringend ist. Gleichzeitig zeugen ihre Kap. zur Textkritik, Übersetzung, Semantik, Grammatik und narratologischen Analyse von großer Kenntnis aktueller Forschung. Die klassischen historisch-kritischen Schritte werden zurückhaltend integriert. So umfasst z. B. das Kap. Literarkritik (inkl 2 Beispiele) nur vier Seiten und ich zweifle daran, ob Studierende nach dem Lesen nachvollziehen können, was sie damit anfangen sollen. Auch die Quelle Q wird zwar vorgestellt, aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um „eine rekonstruierte Quelle“ handelt und „wir uns hier auf stark hypothetischem Terrain“ bewegen (190). Besonders hilfreich, sind jeweils die in Kleindruck gesetzten Textbeispiele, an denen der besprochene Exegeseschritt gleich detailliert angewendet und kommentiert wird. Auffallend ist hier allerdings, dass 63 von 65 Beispielen aus den Evangelien stammen! Der Grund dafür ist mir nicht klar, vielleicht drückt hier noch ein letztes Mal die Einseitigkeit der klassischen historisch-kritischen Methodenschritte durch, die sich fast ausschließlich auf dem Hintergrund der Evangelienexegese entwickelt hatte?
Was könnte man noch verbessern? Beim Kap. „Textkritik“ ist mir nicht klar geworden, warum es erst nach der eigenen Übersetzung aus dem Griechischen angeordnet ist. Dürfte ich wünschen, so würde ich bei den Hilfsmitteln für die eigene Übersetzung bei den Griechisch-englischen wissenschaftlichen Wörterbüchern auch BDAG3 und bei der Grammatik die große von von Siebenthal nennen (sein Kap. 4 zur Textgrammatik könnte Kaisers Kap. zur pragmatischen Analyse weiter befruchten). Im Moment werden beim INTF Münster bereits 141 Papyri geführt (39) und wahrscheinlich kommt man über kurz oder lang nicht darum herum, Studierende das vom selben Institut entwickelte Hilfsmittel der „Coherence-Based Genealogical Method“ vorzustellen. Als Hilfsmittel bei der Grammatischen Analyse würde ich einen Hinweis auf die Reihe „Exegetical Guide to the Greek New Testament“ machen. Der isolierte (und nicht begründete) Hinweis einzig auf Hahns „Theologie des Neuen Testaments“ (189) könnte sicher um einige weitere mehrbändige ergänzt werden. – Das Buch ist drucktechnisch gut gemacht und erschwinglich, das Format von nur 12×18,5 cm gewöhnungbedürftig, aber wohl der Reihe geschuldet. Ein Schmunzeln des Rezensenten – und wohl nur Fragezeichen bei angehenden Theologiestudierenden – hat die völlig kontextlose Bemerkung auf der vorletzten Seite des Buches hervorgerufen: Unter den praktischen Hinweisen zur Bibelsoftware Logos erklärt Kaiser, dass bei Benutzung der Suchfunktion kritische Vorsicht geboten sei, weil Texte Teil des Pakets sind, die sehr alt sind (ohne Lizenz) „oder in eine eher evangelikale Auslegungstradition gehören“ (232). Auch hier könnte man bei einer Neuauflage gerne nachbessern und den Leser aufklären, in welchem Sinne die evangelikale Auslegungstradition ähnlich wie die alten Texte kritische Vorsicht verlangt.
Dr. Jürg Buchegger-Müller, Pfarrer der Freien Evangelischen Gemeinde Wetzikon (Schweiz)