Praktische Theologie

Ralph Kunz: Aufbau der Gemeinde im Umbau der Kirche

Ralph Kunz: Aufbau der Gemeinde im Umbau der Kirche, Theologische Studien NF 11, Zürich: TVZ, 2015, 152 S., € 19,90, ISBN 978-3-290-17812-3

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Auch die Schweiz bleibt nicht verschont: Der radikale Umbau der Landeskirche hat begonnen. Auf diesem Hintergrund entsteht die skizzenhafte „Vorstudie“ von Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Die Studie will weder einen Ratgeber noch Maßnamenkatalog zum Umbauprozess der Ev. -reformierten Landeskirche im Kanton Zürich vorlegen, sondern beschäftigt sich mit grundsätzlicheren Fragen. Darum ist das Büchlein, das sich in fünf Kapitel aufteilt (Eröffnung, Erschließung, Erkundungen, Ermittlungen, Ermutigungen) auch inhaltlich länderübergreifend relevant. Es geht um Überlegungen zum Modus einer im Umbau befindlichen Kirche und ihrer zukünftigen Konturen. Methodisch nutzt Kunz das Stilmittel beharrlich provozierender Fragen und setzt auch auf Humor, denn „ein wenig Biss hat der Theologie noch nie geschadet“ (11). Doch wirken die Rückfragen nicht besserwisserisch oder als Propagierung idealistischer Thesen, vielmehr geht es dem Autor darum, eine Kirche zu entwickeln, die „sich auf den hin re-orientiert“, der mit Sündern Gemeinde baut (35). Ausgehend von dieser Grundhaltung regen die Nachfragen lösungsorientierte Diskussionen zur Kirchenreform an und rufen die Akteure des Gemeindeaufbaus zum Umdenken (metanoia) auf. Alles dreht sich elementar um die Gemeinde (101): Wo lebt sie und wie entsteht sie? Wofür steht sie und welche Kräfte halten sie zusammen? Wohin geht sie und wie lebt sie?

„Erkundungen“: Im theologiegeschichtlichen Mittelteil des Buches stellt Kunz auf immerhin 51 Seiten Theologen vor, die er in einem von ihm erstellten Konstrukt der sog. „Zürcher Schule“ zusammenfasst. Es handelt sich dabei um H. Bullinger, A. Schweizer, L. Ragaz, E. Brunner, E. Schweizer, W. Mostert, die eine gewisse Verbundenheit mit der Zürcher Universität aufweisen. Auch wenn sie geschichtlich zum Teil Jahrhunderte voneinander getrennt sind und unterschiedliche Disziplinen vertraten, so ist ihnen dennoch gemeinsam, dass sie sich alle ekklesiologischen Fragen widmeten. In ihren Analysen, die dieses Kapitel wiedergibt, finden sich zweifellos theologisch wertvolle Perlen zum Wesen der Kirche, zum Beispiel folgende Aussage von Mostert: „Das Religiöse ist das Allgemeine und der christliche Glaube das Bestimmte. Wenn wir eine Antwort darauf geben, was Kirche ist, bestimmt der Glaube das Religiöse und nicht das Religiöse den Glauben“ (78). Auch wenn sich die Landeskirchen in der Schweiz und Deutschland ähneln, bestehen dennoch Unterschiede: Während in den deutschen Landeskirchen die ordinierten Wortverkündiger das Sagen haben, spiegelt sich im Gemeindeaufbau der reformierten Schweiz das Gemeinwesen der politisch-kulturellen Schweiz wider: Gemeindebau verläuft „von unten nach oben“.

„Ermittlungen“: Aus den ekklesiologischen Leitlinien der „Zürcher Schule“ möchte Kunz zunächst nicht vorschnell für eine Parochie plädieren (96). Eher – und nun verlässt er das Grundsätzliche und wird konkret – steht ihm die missionale Ekklesiologie der Fresh Expressions of Church vor Augen, die Menschen nicht in bestehende Gemeinden beheimaten, sondern in „kirchenfremden Kontexten“ mit dem Evangelium erreichen will. Dass dadurch enge Beziehungen zur Einwohnergemeinde entstehen, empfindet Kunz als reizvolle Dimension der Öffentlichkeit von Kirche (99f). Daran anknüpfend spricht er vom säkularen Umfeld der Kirche, das eine Gemeinde lesbar und erzählend erleben will (104). Hier ist die Gemeinde eine Lebensform: Glaubensgemeinschaft fällt mit der gesellschaftlichen Lebensgemeinschaft zusammen. Dabei greift Kunz den missiologischen Ansatz der Konvivenz auf, denn „wo nichts erlebt wird, gibt es nichts zu erzählen und wo nichts erzählt wird, lässt sich nichts über das Leben der Gemeinde – und den gelebten Glauben – erfahren“ (105). Eine ganze Kaskade praktisch-herausfordernder Fragen, inspirierender Perspektiven und anregender Praxisfelder folgt unter dem Leitbegriff der „Kommunikation des Evangeliums“ im unterschiedlichen Spannungsbereich zwischen Mission und Inkulturation sowie Inklusion und Mission im Aufbau der Gemeinde (109–117). Hier wagt sich Kunz an missiologisch-ekklesiologische Problemfelder heran, die bisher kaum praktisch-theologisch diskutiert werden. So fragt er beispielsweise nach der „Inklusionskraft der Gemeinde“ (110) und ist doch gleichzeitig realistisch genug, Gefühle der Überforderung und Angst mit zu berücksichtigten. Schließlich argumentiert Kunz für ein notwendig dialektisches Verhältnis in versöhnter Unterschiedlichkeit zwischen dem parochialen Gemeindemodell auf der einen sowie Gemeindegründungen und Fresh Expression-Bewegungen auf der andern Seite. Dennoch lässt er die Risiken des „Wildwuchses“ nicht außer Acht.

Das Buch endet mit Ermutigungen und dem Abschlussplädoyer für einen Umbau der Kirche zur Mission in der Region, ohne die Ortsgemeinden dabei gering zu schätzen (129-149). Leider fehlt der Studie ein Verzeichnis, das die verarbeitete Literatur in den über 360 Fußnoten nachweist. Hervorzuheben ist der leserfreundliche und aphorismenartige Sprachstil. Und wem ist das Buch nun zu empfehlen?: Kirchlichen Leitungsgremien, Haupt- und Ehrenamtlichen …, kurz, allen, die den Aufbau der Gemeinde verheißungsorientiert von Gott erglauben, sich engagieren und ernsthaft mit den Rückfragen auseinandersetzen wollen.

 

Dr. Manfred Baumert, Schulleiter des Theologischen Seminars Adelshofen, Eppingen

 

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