Altes Testament

Louis C. Jonker: Defining All-Israel in Chronicles

Louis C. Jonker: Defining All-Israel in Chronicles. Multi-levelled Identity Negotiation in Late Persian-Period Yehud, FAT 106, Tübingen: Mohr Siebeck, 2016, XVII+358 S., € 124,–, ISBN 978-3-16-154595-5

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Louis Jonker rückt mit diesem Buch die Frage von „social identity“ in den Blickpunkt einer Lektüre der Chronikbücher. In seiner Einführung rekapituliert er wichtige Aspekte der bisherigen Erforschung der Bücher (1–24), in der textbezogene und historische Fragen von besonderem Interesse waren. Der Aspekt der Identität kam dabei immer wieder zu kurz.

Jonkers Methode für die Beschäftigung mit den Chronikbüchern wird aus verschiedenen Quellen gespeist (25–64). Mit „Utopian Studies“ verweist er auf Aspekte, die mit diesen Texten die Zukunft(sperspektive) einer Gruppe gestalten wollen. „Social Memory Studies“ unterstreichen, dass die Chronikbücher von vorhandenen Perspektiven und Überzeugungen ausgehen und diese dann anpassen und verändern. In seiner Anwendung von „Social-psychological Studies“ legt Jonker großen Wert darauf, dass Identität konstruiert wird und dies im Austausch mit und in Abgrenzung von anderen geschieht. Literatur spielt dabei eine wichtige Rolle. Angesichts von „Postcolonial Studies“ hält er fest, dass all diese Prozesse von verschiedenen Seiten her umkämpft waren. Ein Leben in Südafrika mag für viele Aspekte dieser Untersuchung auf besondere Art und Weise sensibilisieren. Angesichts dieser Quellen für seine Lektüre wird deutlich, dass die besondere Herausforderung für Jonker und gleichzeitig der bemerkenswerte Beitrag seines Buches darin besteht, diese Vielfalt an methodischen Perspektiven in Anschlag zu bringen. Das ist aus meiner Sicht gelungen, auch wenn ich nicht mit allen Ergebnissen übereinstimme. Die Fruchtbarkeit dieser Vielfalt wird auf jeden Fall immer wieder deutlich. Ich würde sogar behaupten, dass mit Jonkers Buch eindrücklich klar wird, dass man bei der Beschäftigung mit den Chronikbüchern eine Vielfalt an methodischen Perspektiven benötigt, um diesem komplexen literarischen Korpus gerecht zu werden. Es ist ein angemessenes und inspirierendes Eingeständnis, dass man diese biblischen Texte nicht einfach nur von einer oder zwei exegetischen Perspektiven her betrachten kann (vgl. 63).

Jonker gelingt es auf diese Weise viele Aspekte eines Prozesses von „negotiating social identity“ zu beschreiben. Die Methode beschäftigt sich mit einer sehr wichtigen Fragestellung. Jonker ist dafür offensichtlich sensibilisiert und spürt einer Dynamik nach, die – von allem was wir wissen (können) – eine große Rolle im nachexilischen Juda gespielt hat. Hier muss soziale Identität (wieder) gefunden oder neu bestimmt werden. Veränderte Umstände fordern zu einer Klärung der Verankerung und Beschreibung von Identität heraus. Die Chronikbücher sind hier sicherlich ein bedeutender Zeuge für wichtige Aspekte dieser Dynamiken und Prozesse. Man muss nicht von allen Aspekte und Schlussfolgerungen überzeugt sein, um sowohl den Wert der Methodik (oder vielleicht besser der methodischen Perspektiven) und ihre Ergebnisse wert zu schätzen. Man kann sicher über vieles Grundlegende diskutieren wie beispielsweise die (nahezu ausschließlich) konstruktivistische Perspektive auf Identität oder das Ausmaß und Gewicht von utopischen Aspekten in den Chronikbüchern. Jonkers Buch öffnet auf jeden Fall Türen für weiteres Lesen und inspiriert, viele Aspekte anders oder weiter zu denken. Somit ist dieses Buch m. E. ein wertvoller Beitrag für die Erforschung der Chronikbücher.

Jonker zeichnet die Chronikbücher in vier Ebenen einer sozio-historischen Realität ein: das persische Reich („The Persian Period in Yehud“, 65–114; „Speaking in the Imperium“, 115–150), das Leben in einer Provinz inmitten von anderen Provinzen („Not Alone in this Provincial World“, 151–192), die Stammesbeziehungen zwischen Juda und Benjamin („Tribal Rivalries of Old“, 193–225) und schließlich die verschiedenen kultischen Dynamiken am Tempel in Jerusalem („Defining the Jerusalem Cult“, 227–276). Die Zusammenfassung der Ergebnisse wird um einen Ausblick ergänzt, wie sein methodisches Vorgehen auch für andere Texte / Textkorpora der Hebräischen Bibel fruchtbar werden kann (277–296).

Der Blick auf das persische Reich betont die Beziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen und den Einfluss dieser Perspektive auf die anderen. Das Ringen um Identität innerhalb des persischen Imperiums schließt mit der Geschichtsschreibung an die Vergangenheit des judäischen Königtums an, stellt aber die Gedanken „Jahwe zu suchen“ und „sich auf ihn zu stützen“ heraus. Somit wird die Identität als Gemeinschaft, die Jahwe verehrt, bestimmt. „All-Israel“ verkörpert dabei in den Chronikbüchern für Jonker etwas Utopisches, ein vereinigtes davidisches Königreich: zentriert auf Jerusalem und den Kult, mit einer exklusiven Jahwe-Verehrung, mit kritischen Spitzen gegen die persischen Herrscher, ohne revolutionäre Impulse und doch mit einer weiten Perspektive der Bedeutung Judas und der Bedeutung und Stellung seines Gottes.

Spannungen werden herausgearbeitet wie beispielsweise die judäische Perspektive (da das Nordreich praktisch keine Rolle spielt) im Verhältnis zu dem Gedanken von Einheit zwischen den verschiedenen Stämmen Israels (vgl. 280). Die Komplexität vieler Aspekte und ihre Dynamik werden beleuchtet. Damit ist dieses Buch eine beständige Erinnerung, die Chronikbücher nicht allzu schnell oder allzu einfach auf wenige Gedanken oder Perspektiven zu reduzieren. Dies gelingt Jonker vor allem durch eine aufmerksame Lektüre der Texte und einem angemessenen Abwägen verschiedener Beobachtungen und Aspekte. Er bringt dabei seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen immer wieder ins Gespräch mit anderen Forschungsergebnissen zu den Chronikbüchern. Die entsprechenden Zitate veranschaulichen wiederholt, dass Jonkers Herangehensweise an bisherige Forschung fruchtbringend anschließt und gleichzeitig in ihrer Kombination und der besonderen Fragestellung der Identität Neues formuliert bzw. Bekanntes neu formuliert. Hierdurch kommen auch verschiedene Perspektiven in den Blick. Deswegen kann ich seinem Fazit nur zustimmen: „It has assisted us to acquire a greater appreciation of the complex, and even ambiguous, literary materials of Chronicles“ (284). Seine methodische Reflexion und der damit verbundene Ausblick auf andere Texte / Textkorpora der Hebräischen Bibel regt zu weiterem Nachdenken an: Pentateuchforschung (284–287), Prophetenforschung (287–292) sowie Psalmen- und Weisheitsforschung (292–296). In diesem Nachdenken äußert Jonker die Hoffnung, dass vielleicht dadurch auch eine fruchtbarere Zusammenarbeit zwischen den Spezialisten der verschiedenen Korpora möglich wird. Das würde sicherlich weitere interessante und bedenkenswerte Perspektiven zutage fördern.

 

Prof. Dr. Heiko Wenzel, Professor für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen

 

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