Stanley E. Porter/Andrew W. Pitts: Fundamentals of New Testament Textual Criticism
Stanley E. Porter/Andrew W. Pitts: Fundamentals of New Testament Textual Criticism, Grand Rapids: Eerdmans, 2015, Pb., XVI+202 S., $ 22,–, ISBN 978-0-8028-7224-1
Das zu rezensierende Lehrbuch hat den Anspruch, neutestamentliche Textkritik auf einem mittleren Niveau zu vermitteln. Dazu sollen bewusst weniger Details geboten werden als in den Standardwerken von Aland/Aland und Metzger. Gleichzeitig besteht der Anspruch, mehr Informationen zu präsentieren als andere vergleichsweise niedrigschwellige Lehrbücher (xiii).
Das kurze erste Kapitel (1–8) beschreibt zwei verschiedene Zielsetzungen der Textkritik. Während der traditionelle Ansatz idealerweise die Rekonstruktion der Autographen zum Ziel hat, möchte der vor allem mit dem Namen Bart Ehrmann verbundene sozio-historische Ansatz die handschriftliche Überlieferung und die damit verbundenen theologischen Tendenzen historisch nachverfolgen, wobei die Suche nach einem „Urtext“ zweitrangig ist. Porter und Pitts bekennen sich zum traditionellen Ansatz, da die Exegese neutestamentlicher Texte auf einem rekonstruierten Urtext basieren sollte (6).
Das zweite Kapitel (9–32) über den neutestamentlichen Kanon bietet eine Überraschung im Vergleich mit anderen Werken über Textkritik. Die Autoren wollen nämlich plausibel machen, dass die Textkritik einen Beitrag zur Erforschung des Kanons liefern kann. Dies tun sie vor allem durch den Hinweis auf Manuskripte aus dem 2. Jh. wie ?46 und ?75, die eine große Anzahl der neutestamentlichen Schriften bereits enthalten (14–17). Allerdings ist die knapp präsentierte Vermutung, dass bereits Paulus und seine Mitarbeiter die paulinischen Schriften sammelten (14–15), nicht überzeugend. Zudem tragen die Ausführungen über Kanonlisten und spätere Konzilien (21–28) nichts zur eigentlichen Thematik des Buches bei.
Im dritten Kapitel (33–53) präsentieren die Autoren grundlegende Informationen über Bücher, Schreibmaterialien und -techniken sowie über die erstaunlich hohe Anzahl neutestamentlicher Textzeugen. Das vierte Kapitel (54–72) thematisiert griechische Manuskripte, Versionen und Kirchenväterzitate, allerdings ohne die Überlieferungsproblematik der Versionen zu thematisieren (was bei den Kirchenvätern aber geschieht). Im (zu kurzen) fünften Kapitel (73–79) werden die neutestamentlichen Texttypen eingeführt, und die Frage nach der Priorität des Mehrheitstextes wird problematisiert, wobei sich die Autoren auf die Seite derer stellen, die den Mehrheits- bzw. byzantinischen Text für einen späten Text (nicht vor dem 4. Jh.) halten, der nicht unkritisch übernommen werden sollte (77–78). In Kapitel 6 (80–87) klassifizieren die Autoren verschiedene Arten textlicher Varianten entsprechend der morphologisch-syntaktischen Ebene, auf der sie angesiedelt sind. Die Unterscheidung, ob es sich um eine Variante auf Wortebene, auf Ebene der Wortgruppe oder auf Satzebene handelt, erscheint dem Rezensenten an dieser Stelle des Buches nicht relevant, da aussagekräftige Beispiele erst ab Kapitel 9 präsentiert werden.
Die nächsten vier Kapitel führen konkret in die textkritische Methodik ein. In Kapitel 7 (88–99) werden zunächst die verschiedenen methodischen Ansätze einander gegenübergestellt. Die Autoren kritisieren eine methodische Priorisierung des Mehrheitstextes als nicht überzeugend (90–91) und den „Thoroughgoing Eclecticism“ als zu einseitig (93–94). Mit der Mehrheit der Forscher bewegen sie sich im Rahmen eines „Reasoned Eclecticism“, wie im nächsten Kapitel deutlich wird (101), sind aber auch grundsätzlich offen für eine Methodik, die auf einer diplomatischen Textausgabe unter Verwendung des Codex Sinaiticus beruht (95–96). Positiv ist zu würdigen, dass auch die erst in den letzten Jahren in Münster vorangetriebene „Kohärenz-basierte genealogische Methode“ vorgestellt wird. Diese wurde auf der Grundlage des stemmatischen Ansatzes der klassischen Philologie, wo oft nur wenige Manuskripte eines Werkes existieren, entwickelt und lässt sich nur durch computer-basierte statistische Methoden auf die großen Mengen neutestamentlicher Manuskripte übertragen. Zu bedauern ist an diesem Kapitel, dass die meisten Kritikpunkte an den dargestellten Ansätzen in Fußnoten versteckt sind.
Kapitel 8 (100–109) beschreibt die externe Evidenz für die Bevorzugung von Lesarten (Datierung und geographische Verteilung der Handschriften, Zugehörigkeit zu Familien). Vor allem die Problematik der Definition von Handschriftenfamilien wird hier gut erklärt. In Kapitel 9 und 10 (110–136) geht es dann um die interne Evidenz, aufgeteilt in die Bereiche „transcriptional probabilities“ (mögliche Änderungen der Schreiber) und „intrinsic probabilities“ (zu erwartender Wortlaut der neutestamentlichen Autoren). Die Ausführungen zur erstgenannten Thematik sind insgesamt gut verständlich, allerdings hätte das Beispiel zu einer längeren Auslassung durch Homoioteleuton nicht konstruiert werden müssen (114), da Mt 5,19–20 ein schönes Beispiel liefert. Hier ist auch eine längere Auseinandersetzung mit den Thesen von Bart Ehrman (Misquoting Jesus: The Story Behind Who Changed the Bible and Why, San Francisco 2005) enthalten (119–126), die apologetisch wertvoll ist, aber nur wenig zur textkritischen Methodik im engeren Sinne beiträgt. Die Ausführungen zu „intrinsic probabilities“ überzeugen nicht wirklich, da, wie die Autoren selbst einräumen, Stil, Theologie und Quellenbenutzung neutestamentlicher Autoren schwer fassbare Größen sind (130, 132, 135).
Kapitel 11 (137–145) beschreibt knapp und präzise die kritischen Editionen des NT von der Complutensischen Polyglotte bis zu Nestle-Aland und Greek New Testament (27./28. bzw. 4./5. Aufl.), bevor in Kapitel 12 (146–176) in die Benutzung dieser beiden Ausgaben eingeführt wird. Dieses sehr ausführliche Kapitel referiert hauptsächlich, was auch im Vorwort der beiden Ausgaben zu lesen ist. Hilfreich ist die Kritik am „Rating System“ textkritischer Entscheidungen („A, B, C, D“) im Greek New Testament, das auch in Metzgers Textual Commentary verwendet wird und das bei Erscheinen neuer Auflagen immer „optimistischer“ wurde (172–173).
Kapitel 13 (177–189) über das Thema „Bibelübersetzung“ wirkt etwas überraschend in einem Lehrbuch über Textkritik. Die wichtigen Fragen nach der Textgrundlage einer Übersetzung und nach der Darstellung textkritisch fraglicher Stellen (wie des Markusschlusses) in einer Übersetzung sind recht schnell abgehandelt (181–184). Die Relevanz der Abschnitte über die Geschichte der englischen Bibel und über Übersetzungsprinzipien hat sich dem Rezensenten allerdings nicht erschlossen. Der Anhang (190–196) nennt Ressourcen für weiterführendes Arbeiten, unter anderem Webseiten mit Fotos von Manuskripten.
Jedes Kapitel endet mit einem „Summary“, einer als „Key Terminology“ bezeichneten Liste sowie mit bibliographischen Angaben. Das Lehrbuch ist ausführlich genug (teilweise etwas zu ausführlich) und didaktisch gut aufbereitet. Biblische Beispiele werden leider erst sehr spät (Kapitel 9) präsentiert. Dennoch kann das Buch als Begleitlektüre zu Vorlesung oder Seminar empfohlen werden, denn die meisten der 13 Kapitel bieten hilfreiche Informationen für Studierende, die sich erstmalig mit der Thematik auseinandersetzen.
Dr. Carsten Ziegert, Hochschuldozent für Biblische Sprachen und Übersetzungstheorie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen
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