Neues Testament

Brian Neil Peterson: John’s Use of Ezekiel

Brian Neil Peterson: John’s Use of Ezekiel. Understanding the Unique Perspective of the Fourth Gospel, Minneapolis MN: Fortress Press, 2015, Pb., 241 S., $ 39,–, ISBN 978-1-4514-9031-2

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Brian Neil Peterson begibt sich in dieser Studie über die alttestamentlichen Fachbereichsgrenzen hinaus auf neutestamentliches Terrain. Er stellt die These auf, dass die Eigenart des Johannesevangeliums gegenüber den synoptischen Evangelien in thematischer wie struktureller Hinsicht hauptsächlich darin begründet ist, dass Joh bis in die Makrostruktur hinein das Leben Jesu im Lichte des Ezechielbuches deutet.

Die Makrostruktur von Ez ist geprägt durch die drei Visionen der Herrlichkeit Jahwes (Ez 1–3: Offenbarung der Herrlichkeit Jahwes; Ez 8–11: Die Herrlichkeit Jahwes verlässt wegen der Gräuel den Tempel; Ez 40–48: Der wiederhergestellte Tempel und die Rückkehr der Herrlichkeit Jahwes). Diese Makrostruktur, so die Hauptthese, ist in Joh dadurch abgebildet, dass sich in Joh 1 in Jesus Christus die Herrlichkeit Gottes offenbart, dass die Tempelreinigung im Unterschied zu den Synoptikern in Joh 2 am Anfang der Wirksamkeit Jesu steht (Jesus kündigt aufgrund der Verunreinigung des Tempels dessen Zerstörung an), und dass schliesslich in Joh 20 der Tempel in Jesus Christus selbst wiederhergestellt wird und so die Herrlichkeit Gottes zurückkehrt.

Die Beziehungen zwischen Joh 1 und Ez 1–3; Joh 2 und Ez 8–11; sowie Joh 20 und Ez 40–48 behandelt Peterson in den Kapiteln 2, 4 und 7 seines Buches, wobei er verschiedene Bezüge auf Motiv- und Inhaltsebene aufzeigt. Auch wenn nicht alle Bezüge überzeugen und teilweise andere alttestamentliche Bezugstexte zu sehr in den Hintergrund treten (so sind für Joh 1 auch Schlüsseltexte wie Gen 1; Spr 8; Ex 33 wichtig), sind Peterson’s Beobachtungen zutreffend. Interessant wäre darüber hinaus ein Vergleich mit der Offenbarung: In Offb 1 erscheint Christus als der Verherrlichte und Johannes fällt vor ihm nieder (vgl. Ez 1), in Offb 2–3 wird die Gemeinde als Tempel geschaut, in dem Christus die Unreinheiten anspricht und bereinigen möchte, in Offb 21–22 kommt das neue Jerusalem in Bezugnahmen auf Ez 40–48 vom Himmel herab.

Peterson weist auch auf weitere Bezüge zwischen Ez und Joh hin. In Kapitel 3 widmet er sich der Frage nach der Bedeutung der Zeichen in Joh. Dass das Wort σημεῖον in Joh eine besondere Bedeutung hat, ist bekannt. In Ez spielen nicht nur die Zeichenhandlungen an wichtigen Stellen eine besondere Rolle, sondern der Prophet selbst wird zum Zeichen. Peterson macht in Joh und Ez jeweils acht Zeichenhandlungen aus, und sucht nach Bezügen zwischen ihnen. So bringt er etwa die Auferweckung des Lazarus (Joh 11), die Sondergut des Johannesevangeliums ist, als letztes Zeichen der öffentlichen Wirksamkeit Jesu mit dem Tod der Frau Ezechiels (Ez 24), dem letzten Zeichen der Wirksamkeit Ezechiels, in Verbindung: In beiden Begebenheiten wird die Liebe zur verstorbenen Person betont und der Tod dient als Zeichen auf etwas Grösseres hin, nämlich auf die Zerstörung des Tempels (Ez), bzw. auf den Tod und die Auferstehung Jesu, was schon in Joh 2,19 ebenfalls als Zerstörung und Wiederherstellung des Tempels gedeutet wird. Während die Frau Ezechiels aber nicht auferweckt wird, ist in der Auferweckung des Lazarus bereits die Wiederherstellung (Ez 37: Auferweckung der Totengebeine; Ez 40–48: Wiederherstellung des Tempels) zeichenhaft vorweggenommen. Ein weiterer Kontrast ist, dass Ezechiel über den Tod seiner Frau nicht weinen darf, während Jesus über den Tod des Lazarus weint.

In Kapitel 5 befasst sich Peterson mit den Ich-Bin-Worten Jesu. In Ez spielt die Erkenntnisformel „…erkennen, dass ich Jahwe bin“ (LXX: ἐγω εἰμι κύριος) eine herausragende Rolle. Die Phrase (mit κύριος) kommt in der LXX 43mal vor, davon 30mal bei Ezechiel. Die Ich-Bin-Worte Jesu zielen darauf ab, dass in Jesus Jahwe erkannt werden soll und entsprechend führen sie auch dazu, dass die Zuhörer Jesus Gotteslästerung vorwerfen. Dies ist beispielsweise der Fall bei dem Ich-Bin-Wort, das am deutlichsten auf Ezechiel Bezug nimmt: Ich bin der gute Hirte (Joh 10). Ez 34 ist zwar nicht der einzige alttestamentliche Text, der vom guten Hirten spricht (z. B. Ps 23; Jer 23; Sach 11), doch Peterson zeigt, dass die Parallelen zu Ez 34 am grössten sind. Auch das Weinstock-Wort aus Joh 15 hat klare Bezüge zu Ez 15.

In Kapitel 6 schließlich stellt Peterson Bezüge zwischen Joh 17 und 20 und Ez 37 her: Das hohepriesterliche Gebet Jesu hat die Einheit der Christen zum Gegenstand, an der die Welt Christus erkennen soll. Peterson zufolge nimmt Jesus Bezug auf Ez 37,15–28, wo Israel unter dem einen Hirten wiedervereinigt werden soll, was dazu führt, dass die Völker Jahwe erkennen. Zwischen Joh 20 und Ez 37,1–14 macht Peterson ebenfalls Bezüge aus, die über das Motiv der Auferstehung hinausgehen: Der Auferstandene haucht die Jünger an (Joh 20,22), so wie Gott den Totengebeinen den Lebensatem einhaucht (Ez 37,9f). Darüber hinaus spricht der Auferstandene den Jüngern in Joh 20 den Frieden zu, wie auch Ez 37,26 einen „Bund des Friedens“ ankündigt.

Die Studie ist äusserst anregend und willkommen für alle, die das Anliegen einer gesamtbiblischen Theologie teilen, das die Gräben zwischen den Fachbereichen AT und NT überwinden will. Im Einzelnen vermisst man manchmal eine tiefere theologische Reflektion der vorgeschlagenen Bezüge; auch sind nicht alle Bezüge gleichermaßen überzeugend. Die Grundthese, dass Ezechiel für die Eigenart des Johannesevangeliums die beste Erklärung bietet, überzeugt jedoch. Und so sehe ich in dieser Studie eine anregende Grundlage für eine vertiefte theologische Auswertung der Theologie und Christologie des Johannesevangeliums. Um nur anzudeuten: Folgt man der altkirchlichen Überlieferung, so ist das Johannesevangelium das einzige Evangelium, das nach der Zerstörung des Tempels um 70 n.Chr. geschrieben wurde. Auch das Ezechielbuch enthält mehrheitlich Sprüche die vor der Tempelzerstörung 587 v.Chr. datiert werden, reicht in seiner Perspektive aber über die Tempelzerstörung hinaus. Wie macht nun Johannes von Ez Gebrauch? Was sind die theologischen Schwerpunkte? Ist die Christologie des Joh als Theologie des zerstörten und wiederhergestellten Tempels nicht stärker auszuwerten? Wie fügt sich das Gespräch Jesu mit Nikodemus über Wiedergeburt durch Wasser und Geist (vgl. Ez 36–37), wie das Gespräch mit der Samaritanerin über das Lebenswasser (vgl. Ez 47), das sofort zu einem Gespräch über den wahren Tempel wird, ins Gesamtbild? Das Buch regt an zum Weiterdenken und ist darum trotz der bisweilen etwas flachen theologischen Auswertung sehr zu empfehlen.

 

Ass.-Prof. Dr. Benjamin Kilchör, Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel

 

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