Systematische Theologie

Hanna Nouri Josua: Ibrahim, der Gottesfreund

Hanna Nouri Josua: Ibrahim, der Gottesfreund. Idee und Problem einer Abrahamischen Ökumene, Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 69, Tübingen: Mohr Siebeck, 2016, Ln., XIV+694 S., € 129,–, ISBN 978-3-16-150145-6

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Hanna Josua bereichert die Beschäftigung mit der Abrahamischen Ökumene (im Folgenden AÖ) um einen ganz wertvollen Beitrag. Das liegt an dem umfangreichen Material, das er vorlegt, aber auch an seinem methodisch nachvollziehbaren Vorgehen. Nicht zuletzt zeichnet sich seine Arbeit dadurch aus, dass er einen wichtigen und wenig berücksichtigten Aspekt für die Fragestellung herausarbeitet: die Perspektiven des Korans und der islamischen Tradition.

In seiner Einleitung (1–12) beschreibt Josua letzteres als sein ausdrückliches Ziel mit der vorliegenden Arbeit: inwieweit werden die Perspektiven des Korans und der islamischen Tradition für die Frage der Ökumene im Westen wahrgenommen und inwiefern erfahren Gedanken zur AÖ von daher Unterstützung? Dabei „handelt [es] sich um einen Klärungsdiskurs, der für einen ehrlichen, authentischen und das Selbstverständnis des jeweils Anderen achtenden Dialogs unabdingbar ist“ (4). Eindringlich vertritt Josua die Überzeugung, dass die arabisch-islamischen Stimmen gehört werden müssen, wenn es um einen authentischen Dialog gehen soll.

Seine überarbeitete Dissertation stellt in dem ersten Teil (13–88) wichtige Positionen der Diskussion in angemessener Breite dar und wirft als Fazit wichtige Fragen auf: Ist die Entwicklung des Bildes von Abraham (Ibrāhīm) im islamischen Bereich eine politische oder ideologische Engführung (und damit veränderbar) oder ist sie von Anfang an in den Quellen vorgegeben und damit irreversibel? Wie repräsentativ sind muslimische Stimmen im Westen, die sich zur AÖ äußern? Wird bei vergleichbarer Begrifflichkeit ausreichend auf inhaltliche Unterschiede geachtet? Diese Fragen legen eine Spur, der Josua im Rest seiner Arbeit nachgeht.

Im zweiten Teil stellt er die Methode der rezipientenorientierten Interdependenz (89–188) vor. Damit beschreibt Josua den Koran als lebendige Verkündigung, „die die Diskurse mit den unterschiedlichen Rezipienten dieser Verkündigung zum Gegenstand hat“ (7). Dieser Zugang strebt an, wichtige Aspekte der koranischen Chronologie – also der Abfolge der einzelnen Koranteile –, der koranexegetischen Überzeugungen hinsichtlich der Gründe ihrer „Herabsendung“ und der damit verbundenen Lehre der Abrogation wie sie in der islamischen Tradition überliefert und diskutiert werden, bei der Auslegung zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird die koranische Verkündigung mit der Biographie Muḥammads (im Gefolge der der traditionellen islamischen Sīra-Literatur) in Verbindung gebracht. So arbeitet Josua unter anderem parallele Aspekte der koranischen Muḥammad- und Ibrāhīmerzählung heraus.

Der dritte Teil beschäftigt sich exegetisch mit dem Verhältnis Muḥammads zu Abraham (189–225) sowie mit Muḥammad und der Ibrāhīmerzählung in der Begegnung mit den Polytheisten (227–383), mit den Juden (385–471) und mit den Christen (473–595). Auf Basis der rezipientenorientierten Interdependenz konzentriert sich Josua dabei auf islamische Perspektiven anhand von Koran, Hadith, Sīra und Kommentaren und geht weniger auf Einsichten westlicher Islamwissenschaften ein. Die eigenständige Übersetzung der islamischen Primärquellen gewährt wertvolle Einblicke, was bei einigen Hadithtexten von besonderer Bedeutung ist. Teilweise liegen diese nämlich noch nicht in deutscher Übersetzung vor. Die einzelnen Koranstellen werden in ihrer chronologischen Reihenfolge behandelt; vgl. auch die beiden Anhänge, die eine Chronologie und eine Synopse der relevanten Abschnitte liefern. Auf diese Weise arbeitet Josua Aspekte heraus, die auf eine Entwicklung Muḥammads und Abrahams hindeuten und die weit verbreitete und vereinfachende Unterscheidung eines „mekkanischen“ und „medinensischen“ Abrahams in Frage stellt.

Im vierten und abschließenden Teil (597–629) bringt Josua seine Ergebnisse mit wichtigen Aspekten der sogenannten AÖ ins Gespräch. Hier finden sich viele engagierte und weiterführende Gedanken. So vertritt Josua die Überzeugung, dass muslimische Gesprächspartner für ein Gespräch auf Augenhöhe von dem širk-Vorwurf an Christen und Juden (bezogen auf die vermeintliche Verehrung mehrerer Götter) Abstand nehmen müssen (600). Dies sei nicht zu vernachlässigen, weil von Ibrāhīm ausdrücklich gesagt wird, dass er kein Götzendiener war. Ferner stellt Josua nüchtern fest, dass der Bezug auf „Vater Abraham“ noch keine Garantie für Frieden und/oder Versöhnung ist – gerade innerhalb der Familie wird gestritten. Man sollte dennoch die Chance nutzen, dass ein Bezug auf Familienloyalität in der Region des Nahen Ostens einen hohen Stellenwert hat. Es steht zu viel auf dem Spiel (609), was aber nicht heißt, dass aus gewährter Gastfreundschaft glaubensmäßige Gastfreundschaft werden muss (610f). Gerade auf diesen Seiten wird ein Anliegen Josuas recht deutlich: Er will in der Sache theologisch klar formulieren und werbend für ein gutes Einvernehmen eintreten.

Die grundlegenden Thesen seiner Arbeit sind drei. Erstens findet sich bereits im Koran eine Argumentationslinie, die Abraham fortschreitend „als vor-jüdische und vor-christliche Glaubensfigur exklusiv für den nach-jüdischen und nach-christlichen Islam beansprucht“ (5). Diese findet in den Traditionen ihre Fortsetzung. Zweitens: Auch wenn damit eine theologische „Ablösung und Verselbständigung“ (6) im polytheistischen Kontext Mekkas, aber auch gegenüber Juden und Christen verbunden ist, ist hier ein Potenzial zu identifizieren, welches für Dialog und Zusammenleben fruchtbar gemacht werden kann. Drittens ist zwischen den Beschreibungen Abrahams als „Freund Gottes“ in koranischem und biblischem Kontext zu unterscheiden. Im Koran bleibt die Transzendenz Gottes unangetastet, auch wenn diese Beschreibung eine direkte Beziehung zu Gott und eine damit verbundene Nähe nahelegt. In biblischer Tradition hingegen wird hier die besondere Zuwendung Gottes zu den Menschen greifbar.

Josuas Arbeit fördert viele wichtige Einzelaspekte zutage, die bei der Beschäftigung mit einzelnen Fragen, aber auch mit einigen Gesamtentwürfen nicht unberücksichtigt bleiben sollten. Sicherlich klingen manche Formulierungen recht pauschal und beanspruchen eine große Reichweite. So ist hin und wieder vom dem islamischen Selbstverständnis die Rede, obwohl der Verfasser selbst formuliert, dass er sich auf die Darstellung sunnitischer Perspektiven beschränkt (10). Es ist recht leicht, unberücksichtigte Aspekte aufzuzeigen. Die Themenstellung erfordert eine breite Darstellung und Diskussion vieler wichtiger Aspekte. Hier musste der Verfasser an einigen Stellen bereits eine Auswahl treffen. Die folgenden Anmerkungen sollten auch ausdrücklich auf diesem Hintergrund verstanden werden. Sie verweisen vor allem auf Aspekte, die in Zukunft behandelt werden können. Es fällt an mehreren Stellen auf, dass Josua deutlich zwischen der alt- und neutestamentlichen Tradition unterscheidet. Beispielsweise spricht er von einer „christologischen Neuqualifizierung des Gott-Mensch-Verhältnisses“ (6). Im Verlauf der Lektüre des Buches vermisse ich dabei eine Reflexion, welche Aspekte der Rezeption Abrahams innerhalb des Alten Testaments, im Neuen Testament und dann im Koran und den islamischen Traditionen als überlappend und welche als unterscheidend und wie die damit verbundenen hermeneutischen Implikationen zu beschreiben sind. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Abrahamrezeption in der biblischen Tradition mehr oder minder einheitlich ist und als solche der islamischen Rezeption gegenübersteht. Wenn das der Gedanke ist, dann sollte das begründet und ausgeführt werden. Wenn dieser Eindruck nicht entstehen soll, dann wäre eine Differenzierung der Rezeption und damit verbunden eine Präzisierung der Gegenüberstellung vonnöten. Dabei muss festgehalten werden, dass Josua eine ausdrückliche Eingrenzung seiner Arbeit vornimmt. Er möchte gerade nicht das Abrahambild in Alten oder Neuen Testament nachzeichnen (10). Dennoch vollzieht er einen Vergleich und nimmt spätestens mit seinem Kapitel „Die Islamisierung Ibrāhīms – Ibrāhīmisierung des Islam“ (559–595) eine Bewertung vor. Dafür ist meines Erachtens allerdings eine Reflexion zur inner-alttestamentlichen, jüdischen und neutestamentlichen Rezeption des alttestamentlichen Abrahams nötig. Wie bereits angedeutet, mag dies eher als Hinweis darauf verstanden werden, was in Zukunft noch zu bearbeiten bleibt.

Josua ist für dieses umfangreiche Werk zu danken und dem Buch ist eine wohlwollende Aufnahme in der Diskussion zu wünschen, auch wenn und gerade weil es einige wohlvertraute Gedanken und Perspektiven zum Teil grundlegend hinterfragt.

 

Heiko Wenzel, Ph.D., Professor für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen

 

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