Stefan Felber (Hg.): Erkennen und Lieben in der Gegenwart Gottes
Stefan Felber (Hg.): Erkennen und Lieben in der Gegenwart Gottes. Festschrift für Werner Neuer zum 65. Geburtstag, Studien zu Theologie und Bibel 18, Berlin: LIT Verlag, 2016, Br., 306 S., € 39,90, ISBN 978-3-643-80227-9
Beim vorliegenden Werk handelt es sich um eine Festschrift, die dem langjährigen Systematiker am Theologischen Seminar St. Chrischona, Werner Neuer, zum 65. Geburtstag überreicht wurde. Die einzelnen Beiträge kreisen um Neuers Forschungsschwerpunkte wie „Erkennen und Bekennen, die Theologie der Religionen, die Ethik der Liebe und die Theologie der Geschlechter, die christliche Mission“ (9), der Dialog des Autors mit Christen und Nichtchristen und die christozentrisch-trinitarische Bekenntnisökumene. Da Werner Neuer seit „2004 als ständiger Gast zum Schülerkreis von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. gehört“ (ebd.), finden sich zahlreiche Beiträge römisch-katholischer Autoren.
Die Festschrift ist in fünf Gruppen eingeteilt. Die Gruppen I und II enthalten Beiträge, die einer „meditativen und verkündigungsorientierten Besinnung auf Gottes Wort gewidmet sind“. Die „Fachbeiträge im engeren Sinne“ (10) finden sich in den Gruppen III bis V. Die große Anzahl an Beiträgen macht eine selektive Besprechung nötig. Ich kann nur Schwerpunkte setzen. Die Auswahl erfolgt rein subjektiv und sagt nichts über die Qualität der nicht besprochenen Beiträge aus.
Gruppe III steht unter dem Titel „Exegese und Dogmatik im Gespräch“ (55). Werner Neuer wird als Verfasser der „Salzburger Erklärung“ gewürdigt. Stefan Felber („Anthropologie und Christologie: der 8. Psalm und die Salzburger Erklärung“, 57–67) stellt für mich im Anschluss an Luthers „quae supra nos, nihil ad nos“ (64) spannende Fragen: „Die Dinge über uns gehen uns nichts an. Man sollte erwägen, ob gemeint ist, dass uns nicht nur das unsichtbare Jenseits entzogen, sondern überhaupt der Versuch, auch das sichtbare Weltall zu beherrschen […], in Frage zu stellen ist“ (64). Nach Felber beschwöre die „Verdrängung des trinitarischen Gotteslobs durch die säkularen und fremdreligiösen Kräfte unserer Zeit“ sowohl anthropologische als auch neue ökologische Krisen herauf. Der erste Schritt aus der ökologischen und darin eingeschlossen aus der anthropologischen Krise heraus sei, Gott „am rechten Platz über allem zu haben“ (65), was sich auch am Gotteslob zeige.
Werner Neuer selbst befasste sich „in extenso“ (10) mit dem Leben und Werk Adolf Schlatters. Folgende Beiträge drehen sich schwerpunktmäßig um Schlatter: „Minderheitenspiritualität – der erste Petrusbrief bei Adolf Schlatter und Benedikt Schwank OSB“ (Eckhard Hagedorn), „,Durch Gott in die Gottverlassenheit‘: Spuren einer trinitarischen Kreuzeslehre bei Adolf Schlatter“ (Andreas Loos), „Die Erwählungsgewissheit als Grundlage eines Glaubens an Jesus Christus in Demut und Dankbarkeit“ (Daniel Rüegg). Von Schlatter können wir nach Rüegg lernen, „dass die immer heftiger aufbrausende Kritik an einem sadistischen und gewalttätigen Gott kreuzestheologisch bearbeitet werden kann, ohne Gott aus dem Kreuzesereignis zu entfernen“ (112).
Gruppe IV steht unter dem Titel „Grundlagen und Erfordernisse christlicher Einheit, Ethik und Mission“ (117). In der umfangreichsten Gruppe „spannt sich ein weiter Bogen von der Fundamentaltheologie, ja von der Philosophie über die Ethik bis zur Mission“ (11). Nach Felber geht es in allen Beiträgen um „ein rechtes, geheiligtes Erkennen, um Lieben in der Wahrheit“, also „um die Gegenwart Gottes“ (ebd.). Harald Seubert („Wahrheit und Liebe – Religionsphilosophische Prolegomena zur einer theologischen Grundkonstellation“, 119–127) widersetzt sich der Trennung von Wahrheit und Liebe. Er klärt zuerst den Wahrheitsbegriff. Wer sich kaum mit Philosophie befasst, wird sich mit diesen dreieinhalb Seiten (119–122) schwer tun. So gilt es z. B., mit einer propositionalen und assertorischen Dimension der Wahrheit klar zu kommen, und man sollte um die Korrespondenz- und Kohärenztheorien der Wahrheit wissen. Sind die Begriffe klar, wird deutlich, dass Wahrheit und Liebe keineswegs Widersprüche sind, sondern „beide aus Gottes Sein“ hervorgehen: „sie beleuchten und fordern einander“ (124). In Gott sind Wahrheit und Liebe geeint. Seubert sieht in der recht verstandenen Einheit von Wahrheit und Liebe „ein zentrales Bestandsstück einer Ökumene der Bekenntnisse“ (126). Damit schlägt er eine Brücke zu den folgenden Beiträgen.
Sven Grosse („Bibel und Ökumene: Grundlagen“, 129–141) erläutert zuerst die Konstituenten kirchlicher Einheit. Dann verweist er auf zwei Arten der Kirchenspaltung, um in einem historischen Abriss die Versuche darzustellen, eine Spaltung zu überwinden. Darauf stellt er die ökumenische Bewegung innerhalb der römisch-katholischen Kirche dar, um dann „Sinn, Methode und Ergebnisse des ökumenischen Gesprächs“ (136–138) aus seiner Sicht zu erläutern. Im letzten Teil „Aussichten der Ökumene“ (138–140) legt Grosse Anforderungen an die teilnehmenden Kirchen und Gemeinschaften dar, die er für das Gelingen einer Ökumene als unerlässlich erkennt.
Andreas Späth („EKD-Sichtweisen von eheähnlich gelebter Homosexualität: Eine Gegenrede in Schlaglichtern“, 183–192) führt eine Rede gegen eine Entgrenzung des christlichen Ehe-Begriffs durch namhafte Vertreter der evangelischen Kirchen. Späth untersucht dazu verschiedene in der EKD vorgebrachte Thesen, mit denen versucht wird, eheähnlich gelebte, verbindliche Homosexualität mit der Bibel in Einklang zu bringen. Späth zeigt, dass der biblische Befund diese Thesen nicht stützt. Auf den Einwand, die Kirche dürfe sich von der gesellschaftlichen Entwicklung nicht abkoppeln, entgegnet Späth, dass die Kirche auf die Weisungen ihres Herrn zu hören habe, gegebenenfalls gegen den Trend gesellschaftlicher Entwicklungen. Nur wo sie die Weisungen ihres Herrn empfange, sei sie Kirche, kyriake, dem Herrn gehörig (188). Die Argumente für eine eheähnlich gelebte Homosexualität lassen sich gemäß Späth weder mit den expliziten Bibelstellen zum Thema noch mit dem Gesamtzeugnis der Bibel in Einklang bringen.
Gruppe V steht unter dem Titel „Ansätze aus Philosophie weitergedacht“ (219). Am Anfang dieser Gruppe steht der Beitrag Edith Düsings („,Das Heiligste ist unter unseren Messern verblutet‘! – Tod Gottes und Vernichtung der Menschenwürde in Nietzsches Diagnose“, 221–231). Sie konfrontiert uns mit einer schonungslosen Diagnose Nietzsches. Die aufgeklärte Vernunft habe mittels der historisch-kritischen Bibelexegese (D. F. Strauß) das Heiligste, Jesus Christus, gemordet. Jesu Leben sei „,zu Ende seciert‘ und damit ,vernichtet‘“ (228). Da für Nietzsche „die Letztbegründung christlich-moralischer Werturteile in Jesu Christo“ liegen, fällt die „christliche Ethik der Liebe und Pflicht“ danach „mit dem christlichen Gott dahin“ (229). Im Urteil Düsings stellt uns Nietzsche „vor das Entweder-oder, entweder das grausame Chaos oder Christus, den Gottmenschen als das Heil und Licht der Welt […] tertium non daretur“ (230). So schließt sie mit der Feststellung, dass es eine Alternative dazu nicht gibt.
Eine Festschrift hat zu allererst das theologische Werk des Jubilars gebührend zu würdigen. Der vorliegenden Schrift gelingt dies zweifellos. Die Vielfalt der Beiträge und ihre theologische Weite sind erfrischend. Die einzelnen Beiträge provozieren das eigene Denken besonders da, wo sie eine andere als die vertraute Position vertreten. Das leisten insbesondere die römisch-katholischen Beiträge, denen viel Platz eingeräumt wird. Dazu tragen auch selbstkritische Beiträge aus evangelischer Sicht das Ihre bei. Defizitäre dogmatische aber auch einfach überkommene Überzeugungen müssen hinterfragt werden. Das stellt den Glauben nicht in Frage, wie Andreas Loos feststellt. Vernünftig zu fragen setzt vielmehr „den Glauben auch frei“ (99). Die meisten Fachbeiträge befeuern den theologischen Diskurs konstruktiv und sind m. E. beispielsweise als Grundlage studentischer Kolloquien und Seminardiskussionen geeignet. Auch wenn ich als Ethiker die für meinen Fachbereich relevanten Beiträge natürlich mit besonderem Interesse gelesen habe, sehe ich den besonderen Wert dieser Festschrift darin, dass sie selbst einem Skeptiker in neuer Weise das Anliegen einer zugleich christozentrischen und trintarischen Bekenntnis-Ökumene zu vermitteln vermögen. Ich wünsche dieser anregenden Festschrift viele Leser.
Dr. Christian R. Frei, Gastdozent für Ethik an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel
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