Systematische Theologie

Annette M. Glaw: The Holy Spirit and Christian Ethics in the Theology of Klaus Bockmühl

Annette M. Glaw: The Holy Spirit and Christian Ethics in the Theology of Klaus Bockmühl, Eugene: Pickwick, 2013, Pb., XIV+301 S., € 38,52, ISBN 978-1-62032-401-1

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Das vorliegende Buch ist die erste ausführliche Untersuchung der Theologie des 1989 im Alter von nur 58 Jahren verstorbenen deutschen Theologen Klaus Bockmühl (1931–1989). Allein aufgrund dieser Tatsache verdiente die Veröffentlichung schon erhöhte Aufmerksamkeit. Dazu kommt, dass dem Buch auch in inhaltlicher Hinsicht Beachtung zukommt, zumal es zusätzlich zum im Titel genannten Untersuchungsgegenstand eine vorzügliche umfassende Einführung in Leben und Werk Bockmühls darstellt.

Die Untersuchung gliedert sich in drei Hauptkapitel: Im ersten Teil geht es um Bockmühls theologisches Werk (wobei dieses Kapitel mit über 100 Seiten das weit ausführlichste darstellt); im zweiten Teil wird die Bedeutung des Heiligen Geistes und der christlichen Ethik in Bockmühls Theologie untersucht; im dritten Teil geht es um eine kritische Aufnahme und Weiterführung von Bockmühls Konzept der Rolle des Geistes in der christlichen Ethik. Den drei Teilen ist eine Einleitung vorangestellt, in der Ziel und Vorgehensweise erläutert, vor allem aber die verschiedenen Stationen von Bockmühls Biographie zusammengefasst werden. Eine knappe Zusammenfassung der Ergebnisse mit einem Ausblick auf zukünftige Forschungsdesiderate schließt das Buch ab.

Zu Teil 1: Klaus Bockmühl gehört zu den vergleichsweise wenigen pietistisch bzw. evangelikal orientierten wissenschaftlichen Theologen der 1960er und 1970er Jahre im deutschsprachigen Raum. Seine akademische Laufbahn war von großen Hindernissen gesäumt, so dass er 1971 zunächst auf der – allerdings renommiertesten deutschsprachigen – Bibelschule St. Chrischona bei Basel hauptamtlicher Dozent für Dogmatik, Ethik und Theologiegeschichte wurde und ab 1977 bis zu seinem Tod am neu gegründeten Regent College Vancouver in Kanada als Professor Systematische Theologie lehrte. Zuvor hatte er versucht, durch seine Dissertation (Leiblichkeit und Gesellschaft. Studien zur Religionskritik und Anthropologie im Frühwerk von Ludwig Feuerbach und Karl Marx, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1961) und eine Habilitation (Wiedergeburt und Neuschöpfung – nicht fertiggestelltes Manuskript) die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche akademische Laufbahn zu schaffen. Während der Zeit im Anschluss an das Studium der evangelischen Theologie (währenddessen er auch soziologische Vorlesungen hörte) und das Erste Theologische Examen arbeitete er u. a. als Assistent bei Jürgen Moltmann an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal und bei dem Ethiker Hendrik van Oyen an der Universität Basel. Zwischendurch war er in unterschiedlichen Funktionen als Vikar und Pfarrer (etwa als Studentenpfarrer in Heidelberg) tätig. Eine für ihn schließlich eingerichtete Stiftungsprofessur an der Basler Theologischen Fakultät musste er aufgrund einer Krebserkrankung absagen.

Ihr besonderes Profil erhielt seine Theologie und Spiritualität – wobei beides bei ihm untrennbar zusammengehörte, ja sich sogar gegenseitig bedingte – durch die frühe Begegnung mit dem Pietismus in Wilhelm Buschs Weigle-Haus in seiner Heimatstadt Essen und der sog. Moralischen Aufrüstung in Caux am Genfer See. Hier hatte der missionarisch-evangelistische Ansatz seines Denkens und die Praxis der sog. Stillen Zeit ihren Wurzelgrund. Annette Glaw zeigt in sensibler Weise auf, dass die Aufnahme der genannten theologischen Erkenntnisse und Impulse sich bei Bockmühl nicht unkritisch vollzog, aber ihn gleichzeitig entscheidend geprägt hat. Sein Engagement im Rahmen des evangelikalen theologischen Spektrums der alten Bundesrepublik in zahlreichen Vorträgen und vor allem in einer Vielzahl von z. T. grundlegenden Veröffentlichungen wird nur von hier aus verständlich. Sein wichtigster Verlag war der damals zu St. Chrischona gehörende Brunnen Verlag in Gießen (wo auch posthum eine Bockmühl-Werkausgabe z. T. als Reprint seiner wichtigsten Veröffentlichungen erschienen ist). Die deutschsprachige theologische Zeitschrift, für die er kontinuierlich schrieb, waren die im Auftrag der Pfarrergebetsbruderschaft herausgegebenen Theologischen Beiträge. Bockmühl entwickelte sich in den 1970er Jahren zu einem der einflussreichsten deutschsprachigen Theologen im pietistisch-evangelikalen Raum.

Zu Teil 2: Bockmühl hat, wie Glaw zeigt, Zeit seines Lebens die Frage nach der Bedeutung des Heiligen Geistes für die christliche Ethik beschäftigt. Seine ausgereifteste Veröffentlichung stellte in diesem Zusammenhang das Buch Gesetz und Geist. Eine kritische Würdigung des Erbes protestantischer Ethik. Teil 1: Die Ethik der reformatorischen Bekenntnisschriften, Gießen: Brunnen, 1987 dar. (Auch sein spirituelles Vermächtnis, das Buch: Hören auf den Gott, der redet, viele Auflagen, gehört hierher). Glaw führt aus, dass Bockmühl die Rolle des Geistes in dreifacher Weise bestimmt: Er wirkt im Gläubigen Wiedergeburt und Verwandlung; er bewirkt eine Ethik der Versöhnung; er gewährt in Situationen des ethischen Konflikts persönliche und der speziellen Situation angemessene Führung. Vor allem den letzten Aspekt sah Bockmühl bereits in der Reformation und der ihr folgenden Zeit vernachlässigt, wenn nicht gar geleugnet. Er war überzeugt, dass durch die Vernachlässigung der Möglichkeit der persönlichen Führung durch den Geist Gottes der evangelischen Ethik die Gefahr der Gesetzlichkeit bzw. des Antinomismus droht. Als reformatorisch geprägter Theologe war für Bockmühl klar, dass sich die persönliche Führung durch den Geist dabei nicht anders als im Rahmen der Schrift ereignen kann, d.h. die Bibel Inspirationsquelle und Korrekturinstanz der Geistesleitung ist.

Zu Teil 3: Im dritten und kürzesten Teil ihrer Untersuchung (50 S.) unterzieht Glaw Bockmühls Ansatz einer kritischen Revision. Sie schlägt vor, die Zentralstellung der persönlichen Führung durch den Geist durch sein Wirken im Rahmen der Glaubensverbindung des Christen mit dem Vater und dem Sohn zu ersetzen. Es geht ihr darum, das gemeinschaftsstiftende Wirken des Geistes anstelle seines „informierenden“ Wirkens in den Mittelpunkt zu rücken. Damit würde deutlicher als bei Bockmühl zum Ausdruck kommen, dass das ethische Handeln eine Frucht des Glaubens, d.h. eine Frucht der Glaubens- und Liebesgemeinschaft des Christen mit dem dreieinigen Gott darstellt. Dem entspricht auch Glaws Vorschlag, die Führung durch den Geist in Zukunft stärker gemeinschaftlich als individualistisch (wie bei Bockmühls Ansatz) zu verstehen.

Annette Glaw hat mit ihrer Kritik eine entscheidende Schwäche von Bockmühls Ansatz getroffen – eine Schwäche, die sich deutlich in der Geschichte der Moralischen Aufrüstung nach dem Tod von Frank Buchman und dessen Nachfolger Peter Howard gezeigt hat. Es gibt offensichtlich keine Garantie für ein Reden des Geistes im Sinne von persönlicher Führung. Das gilt in doppelter Hinsicht: Gott wirkt immer nur ubi et quando visum est deo – „wo und wann es Gott gefällt“, wie es in CA 5 zu Recht heißt. Dazu kommt, dass es im Vorhinein keine hinreichenden Kriterien gibt, die eine besondere Führung als vom Geist Gottes legitimiert zweifelsfrei erkennen lassen. Da ist Martin Luthers Vorstellung, dass Gott den Menschen wie einen Ackergaul führt, der Scheuklappen trägt, oder die Aussage Josefs, dass Gottes Führung erst im Nachhinein sichtbar ist (Gen 50,20), der Wirklichkeit angemessener. Luthers Rede von der tentatio, die neben oratio und meditatio den Theologen ausmachen, ist bei Bockmühl deutlich unterbestimmt. Übrigens kennt der Reformator durchaus ein Reden des Geistes im Herzen, wie aus seinem Büchlein „Wie man beten soll“ hervorgeht: Dabei wahrt Luther allerdings die Souveränität Gottes und verhindert so jede Form von Funktionalisierung bzw. Verzweckung des Geistesredens (WA 38, 358–373 bzw. 375. In modernisiertem Deutsch und mit einer Einleitung versehen neu aufgelegt: Martin Luther, Wie man beten soll. Für Meister Peter den Barbier, hg. von Peter Zimmerling / Ulrich Köpf, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011, 46).

 

Prof. Dr. Peter Zimmerling, apl. Prof. am Institut für Praktische Theologie der Universität Leipzig

 

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