Altes Testament

Jan C. Gertz, u.a. (Hg.): The Formation of the Pentateuch

Jan C. Gertz / Bernard M. Levinson / Dalit Rom-Shiloni / Konrad Schmid (Hg.): The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America, Forschungen zum Alten Testament 111, Tübingen: Mohr-Siebeck, 2016, geb., XI+1204 S., € 269,–, ISBN 978-3-16-153883-4

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Was Albert Schweitzer theologisch für die Leben-Jesu-Forschung konstatierte, gilt paradigmatisch für die historisch-kritische Forschung am Pentateuch (vgl. 4): Viele Entstehungsmodelle erscheinen mehr oder weniger deutlich als Projektionen der Forschungsgeschichte: Einander widersprechende Schulen, „geologische Strata“ und Fortschreibungen in zeitliche Folge und – wie dieser Band lehrt – auch in regionalen Ausprägungen: Während viele in Israel und Nordamerika weiter die Urkundenhypothese (JEDP) favorisieren und tapfer vorexilisch datieren, wird in Europa nach Rendtorff und Blum eher von einer Komposition (P/nicht-P) und thematischen Blöcken ausgegangen und das meiste in die persische Zeit datiert (3). Das traditionelle (Selbst‑)Verständnis des Pentateuch als überwiegend einheitliche Urkunde aus der Zeit der Landnahme wird bereits auf Seite 1 (nicht ganz korrekt) für ausgestorben erklärt, taucht dann nur noch am Rande auf, teilweise respektvoll, teilweise mit spöttischem Unterton oder Unterstellung unredlicher Absichten (361, 480, vgl. 243, 253, 563 u. a.).

Vorliegender Band wurde von Levinson initiiert, um die internationalen Positionen in größerem Rahmen miteinander ins Gespräch zu bringen (4, 6, 481). Viele der Hauptakteure treffen sich jedoch ohnehin regelmäßig, etwa 2010 in Zürich (Thomas B. Dozeman u. a., The Pentateuch, International Perspectives on Current Research, FAT 78, Tübingen: Mohr Siebeck, 2011) oder 2007 in Wien (The Strata of the Priestly Writings: Contemporary Debate and Future Directions, AThANT 95, Zürich: TVZ, 2009). Ausgangspunkt war die Gründung einer internationalen Forschungsgruppe „Convergence and Divergence in Pentateuchal Theory“, welche ab 2012 am Israel Institute for Advanced Studies in Jerusalem tagte (Programm und fünf Stunden Videomaterial, teilweise ohne Ton, der beiden Hauptkonferenzen im Mai 2013 und 2014 unter as.huji.ac.il/convergence bzw. ias.huji.ac.il/pentateuch). Eine Annäherung der Positionen wird zwar erhofft, aber kaum sichtbar, der Band mit 55 durchgehend englischsprachigen Beiträgen von 49 Autoren, verteilt auf 10 Themenbereiche, endet ohne Fazit. Das Fehlen von Literaturverzeichnissen wird ein wenig ausgeglichen durch das Autorenverzeichnis, welches jedoch Fußnoten nicht berücksichtigt.

18½ Beiträge stammen aus den USA (teilweise auch jüdische Forscher), 2 aus Kanada, 12 aus Israel und 14 aus dem deutschsprachigen Bereich. Dazu kommen Nihan (Lausanne) und Römer (Paris), sowie Ska und Sonnet (Rom). England ist alleine durch den gebürtigen Belgier Joosten vertreten, Skandinavien bleibt außen vor. Auch wenn eine gebührende Würdigung der einzelnen Beiträge in diesem Rahmen nicht möglich ist, soll doch wenigstens ein Überblick geboten werden.

Der erste Teil „Empirical Perspectives on the Composition of the Pentateuch“ sucht nach Analogien zur Entstehung des Pentateuchs bei der Textgeschichte vergleichbarer Dokumente. Rollston belegt archäologisch, dass das Verfassen historische Texte im Israel des 10.-8. Jh. v.Chr. bereits möglich ist. Wright bringt den Bundesbuch-Anhang mit neuassyrischen Quellen in Verbindung (ohne Auseinandersetzung mit Kenneth Kitchen). Carr untersucht innerbiblische Parallelen und ruft zur Bescheidenheit (106). Zahn und Lange beschäftigen sich mit Qumran, letzterer (auf 75 Seiten) bietet u. a. eine hilfreiche Übersicht der Tora-Manuskripte (153) und datiert die Tora eher zu Beginn als gegen Ende des 4. Jh., wenn nicht früher (195).

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Frage, ob die Tora in ihrer jetzigen Form lesbar ist. Baden verneint diese Frage, Ska bejaht sie mit Vorbehalt: Es gebe eine (chronologische) „narrative sequence“, weniger jedoch (logische) „narrative continuity“ (222). Amit liest Genesis als Reiseerzählung, als „credo of Zionism“ aus persischer Zeit (242). Stackert warnt vor der psychologischen Veranlagung des Menschen, über Diskrepanzen in einer Story hinwegzusehen. Doch ist dieser Instinkt so irreführend, angesichts der Brüche und Ungereimtheiten des Lebens? Spricht diese Art von Widersprüchlichkeit nicht gerade für Authentizität? Sonnet sieht in dem „Fortsprechen“ (revidierende Wiederholung eigener Worte) Gottes und Moses ein Spiegelbild der Fortschreibung.

Einen gelungenen Forschungsüberblick bietet Gesundheit in der Einführung zum dritten Teil zur linguistischen Datierung (Hurvitz). Blum synchronisiert den Wechsel von Classical zu Late Biblical Hebrew (CBH/LBH) mit seinem eigenen Pentateuchmodell (314: P um 500 v.Chr.). Joosten fühlt sich „out of step with much current research“ (344), wenn er die Tora grundsätzlich (CBH) vorexilisch datiert. Schniederwind bringt das Gegenargument eines archaisierenden Stils. Mizrahi sieht in den verschiedenen Schreibweisen der Zahl „11“ einen Testfall für die These von Hurvitz. Römer und Wöhrle zeigen wenig Gefallen an der Diskussion. Wöhrle wirbt für sein eigenes ausdifferenziertes Pentateuchmodell (402), Römer für eine Datierung von „P“ in die persische Zeit, um auf Nummer „sicher“ zu gehen. Abweichende Ansichten sollten den Leser nicht beunruhigen („one should not dramatize the divergences“, vgl. ähnlich beruhigend Schmid zur angeblichen Pentateuchkrise, 589), wenn auch jeder Datierungsversuch hypothetisch bleibt (370, ähnlich Zahn, 500). Polak hat mit zwei Beiträgen zu Oralität und Schriftlichkeit auf 70 Seiten das letzte Wort, man beachte die akribischen Prozentangaben in den Fn. 37-84 (454–459)! Abraham- und Exodus-Sinai-Erzählung seien je eigenständig, aber verbunden wie ein Diptychon mit der Mosegeschichte als Scharnier (475).

Der vierte Teil überschneidet sich etwas mit dem ersten und untersucht die Bedeutung von Qumran und Esra-Nehemia. Crawford, Zahn und Kratz beschäftigen sich mit 4Q158, einer Zusammenstellung von Auszügen aus Genesis und Exodus. Die außergewöhnlichen Erweiterungen und Veränderungen werden auch früheren Abschreibern zugetraut. Bautch deutet Tora und Esra-Nehemia als „Zwillinge“, entstanden Anfang 4. Jh. Für Japhet hingegen ist die Tora bereits vollständig kanonisiert, als Esra-Nehemia verfasst wird.

Der kürzeste Teil fünf, nur mit europäischen Beiträgen, untersucht Hinweise auf redaktionelle Tätigkeit. Ska diskutiert Gen 12,6.16a; 47,5; Num 10,34–36. Levin verteidigt die Urkundenhypothese ohne Elohisten mit einer Menge an „nachendredaktionellen Ergänzungen“ (Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993, 441). Einen Forschungsüberblick zu letzteren („post-priestly additions“) gibt Schmid.

Teil sechs fragt nach der Integration von älteren Quellen in den Pentateuch: Quellen in Exodus (Albertz), Num 32 (Kislev), Dtn 31f (Finsterbusch) und Lev 24 (Wright).

Teil sieben konzentriert sich auf die historisch-geographischen Angaben im Buch Numeri. Der promovierte Reiseleiter „Dudu“ HaCohen weist drei Reiserouten (Num 21,16-19.21–30; 33,37-39) den Quellen J, E und P zu. Finkelstein und Römer finden Erinnerungsspuren an Moab im Nordreich des 9. Jh. Dozeman sucht archäologische Parallelen zur „religiösen Geographie“ der Tora. Gertz untersucht die Verbindung der ehernen Schlange in Num 21 zu 2Kön 18,4. Erisman fragt nach dem Sinn hinter den wenig informativen geographischen Angaben in Num 21.

Der knappe achte Teil fragt nach der Weiterführung der Pentateuchquellen in die Vorderen Propheten. Für Schwartz laufen P bis Jos, J und E bis Kön. Edenburg untersucht Jos 1 und sieht keine Fortführung von Urkunden in den Vorderen Propheten (811), so auch Römer in seinem stärker forschungsgeschichtlich orientierten Beitrag zum Hexateuch (827).

Mit einem doppelten Forschungsüberblick führen Rom-Shiloni und Schmid den mit Abstand ausführlichsten neunten Teil ein, was dem extremen Bemühen der Herausgeber (6) Rechnung trägt, das Verhältnis zwischen Pentateuch und Hinteren Propheten zu klären. Es folgen Einzelstudien zu Hosea (Sweeny), Jeremia (Achenbach, Fischer, Rom-Shiloni), Amos (Kessler) und Sacharja (Boda), den kleinen Propheten (Wöhrle) und Hesekiel (Nihan, Kopilovitz, Lyons, Ganzel/Kohn).

Der knappe zehnte Teil stellt die Frage nach theologischen Konsequenzen. Für Sommer ist eine nichtflächige Lektüre, orientiert an Einzelversen, angemessen angesichts des fragmentarischen Charakters des Pentateuch. Für Witte muss sich eine Theologie, unter Berücksichtigung von MT und LXX, sowie von jüdischem und christlichem Kontext, an Quellen und Redaktionen orientieren. Sonnet erkennt einen doppelten Spannungsbogen der Vollendung von Heiligtum (Gen 1 bis Ex 40) und Tora (Ex 19 bis Dtn 34; 1132). Watts zieht in Erwägung, dass bei der Aufnahme von Listen und Gesetzen narrative Konventionen durchbrochen wurden und Konformität so ein fragwürdiges Kriterium zur Quellenscheidung ist (1145).

Statt eines Fazits seien zuletzt zwei Beiträge von Joel Baden (Yale) herausgegriffen, welcher mit belebender methodischer Würze den derzeitigen Mainstream hinterfragt. Vor allem die deutschsprachige Forschung tendiert in diesem Band in Richtung Ergänzungshypothese mit dem Argument nachexilischer Fortschreibung als eine Art Zauberstab, der alle Probleme lösen kann und das unwiderlegbar (was methodisch natürlich nicht ganz unproblematisch ist). Baden dagegen ist als Neo-Documentarian ähnlich wie vor ihm Nicholson († 2013) u. a. ein wackerer Verfechter der Urkundenhypothese. Er vergleicht die vielfach totgesagte Quelle E mit dem Keret-Epos aus Ugarit, welches voller Lücken, Wechsel, Sprünge und unerwarteter Änderungen ist und dessen literarische Integrität heute dennoch als erwiesen gilt. Die imaginäre Quelle E ist hier wesentlich weniger problematisch (291) – man möchte hinzufügen: wie viel weniger der reale Pentateuch in seiner Endgestalt. Doch diesen will Baden nicht akzeptieren. Wenn auch andere den Pentateuch als Einheit lesen können (243, Anm. 1), halten er und „virtually all scholars“ (245) ihn für „unreadable“, da nach seinem Ermessen zu widersprüchlich (249, ein abweichendes Bild vermitteln Ska, 222, Polak, 406f u. a.). Quellenkritik ist seines Erachtens dabei keine kritische Methode, da sie außerhalb der Bibelwissenschaft nicht anwendbar ist: „It is, more accurately, the name we give to a set of results“ (!, 244). Wäre der Pentateuch nicht unlesbar, hätte sie kein Recht („the results are going to be ugly: a perfectly fluent text broken up into less fluent pieces“, 245), dann sollte man auf chirurgische Eingriffe verzichten, denn – und mit diesen Worten endet sein Beitrag – der Pentateuch „has been under the knife for long enough, and surely it could use a rest“ (251).

 

Dr. Siegbert Riecker ist Lehrer an der Bibelschule Kirchberg und External Instructor an der Evangelischen Theologischen Faculteit in Leuven.

 

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