Daniel I. Block / Richard L. Schultz (Hg.): Bind Up the Testimony
Daniel I. Block / Richard L. Schultz (Hg.): Bind Up the Testimony. Explorations in the Genesis of the Book of Isaiah, Peabody/MA: Hendrickson, 2015, Pb., XVIII+354 S., $ 33,99, ISBN 978-1-61970-599-9
Gleich drei namhafte, evangelikale Alttestamentler aus Nordamerika empfehlen das hier anzuzeigende Buch laut Klappentext gerade deshalb, weil es unterschiedliche evangelikale Positionen zur Autorschaft des Jesajabuches in ihrer hermeneutischen Bedeutung miteinander ins Gespräch bringt. In der Tat hilft die Diskussion um die Verfasserschaft und Entstehung des Jesajabuches, die eigene hermeneutische Position ebenso wie die detaillierte Arbeit am Text und das Ringen um ein angemessenes Verstehen dieser hochkomplexen Prophetenschrift zu schärfen. Umso bedauerlicher ist es, wenn diese Diskussion sowohl bei Vertretern eines langen, mehrstufigen Entstehungsprozesses als auch einer einheitlichen jesajanischen Verfasserschaft für selbstverständlich unnötig angesehen wird und unterbleibt. Schon deshalb ist die Veröffentlichung dieses Sammelbandes zu begrüßen, der auf ein Kolloquium am Wheaton College, vom 26.-28. September 2013 zurückgeht und die Spannung widerspiegelt, die unter evangelikalen Auslegern in Bezug auf die Entstehung des Jesajabuches herrscht (so das Vorwort der Herausgeber, VII).
Nach einer kurzen Einführung von Richard Schultz, in der die folgenden Aufsätze in ihrem Verhältnis zueinander umrissen werden, widmen sich 12 Beiträge aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln der Frage nach Verfasserschaft und Entstehung des Jesajabuches und ihrer hermeneutischen Implikationen. Davon argumentieren 2 Beiträge (Heim, Boda) mit gewichtigen Beobachtungen am Text dezidiert dafür, dass Jes 40–66 erst in exilischer bzw. nachexilischer Zeit entstanden sind. Michael Graves verweist auf die exilische Datierung von Jes 40–66 bei dem von den ideologischen Voraussetzungen der Aufklärung unabhängigen jüdischen Ausleger Ibn Esra. Die anderen Aufsätze argumentieren für eine (weitgehende) jesajanische Verfasserschaft aller Kapitel, wobei unter diesen der Aufsatz von Gary Smith der innovativste ist: aufbauend auf seinen 2bändigen Kommentar (New American Commentary Series) argumentiert er für die Belagerung Jerusalems unter Sanheribs als historischem Kontext für Jes 40–55.
Daniel Block schließt den Band ab mit einem Aufsatz, der nicht nur die unterschiedlichen Positionen zusammenfasst, sondern mit eigenen Überlegungen weiterführende Perspektiven aufzeigt. Mit diesem Beitrag sollte man eigentlich die Lektüre des Sammelbandes beginnen. Wie kein anderer fasst er die zentralen Argumente und Probleme im Für und Wider jesajanischer Verfasserschaft des ganzen Buches fair zusammen, unterstreicht damit, dass die Entscheidung an Beobachtungen im Text selbst hängen, stellt das Jesajabuch und die Debatte um seine Entstehung in den Kontext der anderen beiden großen Prophetenschriften (Jeremia und Ezechiel) und erarbeitet damit Maßstäbe aus der Begegnung mit den prophetischen Texten, an denen die argumentative Kraft (oder Schwäche) der anderen Aufsätze gut erkennbar wird. Bedenkenswert ist z. B. sein Votum, dass man die Hl. Schrift nicht zwingen darf, mehr zu sagen, als sie behauptet. In diesem Zusammenhang zeigt er in einer kurzen, aber substantiellen Darlegung, dass eine Begründung jesajanischer Verfasserschaft des ganzen Jesajabuches mit dem Neuen Testament und Jesus über das hinausgeht, was diese Texte selbst aussagen. Ebenso muss nach Block der Text jedoch das bedeuten dürfen, was er sagt. Hier insistiert er darauf, dass in Jes 40–66 der Weissagungsbeweis ernst genommen werden muss, weshalb für ihn auch weite Teile von Jes 40–66 auf Jesaja selbst zurückgehen. Weiterführend ist schließlich seine Differenzierung des Kompositionsprozesses (und der Inspiration) prophetischer Texte in 7 Etappen. Block verweist darauf, dass der Beitrag der Propheten Jeremia und Ezechiel zu diesen Etappen anerkanntermaßen unterschiedlich ausfällt und fragt nach möglichen Konsequenzen für die evangelikale Diskussion um die Entstehung des Jesajabuches.
Im Ganzen umfasst der Sammelband folgende Aufsätze: Richard L. Schultz: The Origins and Basic Arguments of the Multi-Author View of the Composition of Isaiah: Where Are We Now and How Did We Get Here? Richard L. Schultz: Isaianic Intertextuality and Intratextuality as Composition-Historical Indicators: Methodological Challenges in Determining Literary Influence; Seulgi L. Byun: The Biblical Texts of Isaiah at Qumran; G. K. Beale: „Isaiah the Prophet Said“: The Authorship of Isaiah Reexamined in the Light of Early Jewish and Christian Writings; Michael W. Graves: The Composition of the Book of Isaiah in Jewish Tradition; Knut M. Heim: The Diachronic Perspective of the Book of Isaiah’s Final Form; John W. Hilber: Isaiah as Prophet and Isaiah as Book in Their Ancient Near Eastern Context; Gary V. Smith: Cyrus or Sennacherib? Historical Issues Involved in the Interpretation of Isaiah 40–55; Mark F. Rooker: Characteristics of the Hebrew of the Recognized Literary Divisions of Isaiah; Peter J. Gentry: The Literary Macrostructure of the Book of Isaiah and Authorial Intent; Mark J. Boda: Authors and Readers (Real or Implicit) in the Unity/Disunity of Isaiah; John N. Oswalt: The Implications of an Evangelical View of Scripture for the Authorship of the Book of Isaiah; Daniel I. Block: Binding Up the Testimony: Concluding Reflections on the Origins of the Book of Isaiah.
Ohne Frage begegnen in dem Sammelband eine Reihe von Argumenten, die für die Diskussion von Belang sind: die Auslegungsgeschichte in ihrem Verhältnis zur Philosophiegeschichte (Schultz; mit Ibn Esra, F. Delitzsch u. a. werden jedoch die weggelassen, die sich nicht in seine Nacherzählung der Auslegungsgeschichte fügen), inter- und intratextuelle Bezüge (Schultz, der hier seine Expertise für eine nuancierte Darstellung einbringt), Hinweise in den Handschriften von Qumran (Buyn), Fragen der Interpretation der Weissagungsbeweise in Jes 40–48 (Heim für eine exilische Datierung, Oswalt und Block für jesajanische Verfasserschaft), vergleichbare prophetische und kompositorische Phänomene im alten Vorderen Orient (Hilber hebt die Bedeutung der einzelnen Propheten bei der Archivierung und Überlieferung hervor, muss aber eingestehen, dass dies für die konkrete Frage der jesajan. Verfasserschaft wenig austrägt), der historische Kontext von Jes 40–55 (Heim und Boda für babylon. Exil, Smith für Bedrohung durch Sanherib z. Zt. Jesajas, Block der auf Ambiguität der Hinweise verweist), Fragen der literarischen Struktur (Gentry, jedoch viel zu oberflächlich), Hinweise auf Sprecher innerhalb von Jes (Boda, der auf den zentralen Text Jes 40,1–11 ausführlich eingeht; Block verweist auf die Differenzierung durch die Überschrift in Jes 1,1) sowie Fragen der Inspiration und Hermeneutik (Beale, Boda, Oswalt, Block) werden mit unterschiedlicher Differenziertheit und Überzeugungskraft angesprochen.
Wie bereits erwähnt und angesichts dessen, was für manche Institutionen und einzelne Forscher auf dem Spiel steht, wenn sie sich zu der umstrittenen Verfasserfrage des Jesajabuches äußern, ist es sehr zu begrüßen, dass Herausgeber, Verleger und die jeweiligen beitragenden Ausleger sich von diesen unterschiedlichen Blickwinkeln her der Debatte stellen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur differenzierten Wahrnehmung ihrer Komplexität. Gelegentlich wird sie freilich durch eine vereinfachte Argumentation verdeckt.
So muss um der Komplexität des Sachverhaltes und der Nuancierung der Alternativen willen ein Argument problematisiert werden, das sich in einer ganzen Reihe von Aufsätzen (z. B. Schultz, Beale, Gentry, Oswalt) findet: Gegenüber der konventionellen Dreiteilung des Jesajabuches in Proto-, Deutero- und Tritojesaja in der Folge von Bernhard Duhm nehmen die Autoren die seit ca. 30 Jahren zunehmende Diskussion um die Einheit des Buches wahr. Diese völlig richtig wiedergegebene Darstellung der Jesajaauslegung, die nicht nach Einheitlichkeit der Verfasserschaft aber Einheit des Buches fragt, wird dann jedoch mehrfach als Ausgangspunkt genutzt für die Schlussfolgerung: wenn das Buch deutlicher als Einheit erkannt wird, ist auch der Weg zur einheitlichen Verfasserschaft nur noch ein kleiner. Diese Schlussfolgerung übergeht jedoch gänzlich, dass alle Endtextlesungen die exilisch/nachexilische Perspektive des gesamten Jesajabuches zur Voraussetzung haben; d.h. man nimmt das als Ausgangspunkt, was eine jesajanische Verfasserschaft des Jesajabuches gerade ausschließt, nämlich dessen exilisch/nachexilische Perspektive.
Des Weiteren gehen die dargestellten Alternativen in der Frage der Verfasserschaft des Jesajabuches zum Teil an den Forschungsmeinungen und/oder den sich nahelegenden Zügen des Jesajabuches vorbei: Man kann die im Buch mehrfach kritisierten evangelikalen Jesajaspezialisten John Goldingay und Hugh Williamson, die in je spezifischer Weise wegweisende Beiträge zur Einheit des Jesajabuches geliefert haben, nur notdürftig in die Vertreter der „Mehr-Autoren-Verfasserschaft“ einordnen, denn nirgendwo behaupten sie, dass Jes 40–66 je für sich gestanden hätte oder zu interpretieren wäre. Wenn wiederholt angefragt wird, warum bei einer von Jesaja unterschiedenen Verfasserschaft von Jes 40–66 nicht der entsprechende Autor identifiziert wird, wie in allen anderen Prophetenschriften, so geht dieses Argument schlicht an der Eigenart des Jesajabuches vorbei, dass Jes 40–66 unbedingt mit Jes 1–39 zusammen gelesen werden muss. Das lässt sich jedoch dann nicht einfach für eine jesajanische Verfasserschaft aller Kapitel auswerten, wenn die Argumentation und vorausgesetzte rhetorische Situation in Jes 40–66 zwar Jes 1–39 voraussetzt, aber darauf aufbauend neu ansetzt. Deshalb entscheidet sich die Frage der Entstehung des Jesajabuches an der Interpretation genau dieses komplexen Verhältnisses.
Schließlich bleibt unbefriedigend, dass der eigentliche Austausch der unterschiedlichen Positionen untereinander gering ausfällt. Explizite Verweise aufeinander oder gar Argumentationen miteinander findet man kaum. Zudem hätte man sich eine stärkere Konzentration auf die zentralen Texte des Jesajabuches aus verschiedenen Perspektiven gewünscht, an denen sich die Klärung der Verfasserfrage entscheidet. Schon der Titel des Sammelbandes verweist auf einen solchen Text: Jes 8,16, der jedoch ganze vier Mal erwähnt wird (davon zwei Mal in dem Beitrag von Block!; daneben z. B. Jes 30,8–11; 40,1–11; 41,1–4 und 21–28 im Verhältnis zu Jes 13,17; 48,1–11; 48,20–21; 52,11–12; 63,7–64,11). Mit dem Klappentext jedoch bleibt der Sammelband sehr zu begrüßen, insofern er denen, die um des Verständnisses dieser Prophetenschrift willen um das genaue Verhältnis seiner Teile ringen, zentrale Herausforderungen und einige Lösungsmöglichkeiten vor Augen führt.
Prof. Dr. Torsten Uhlig, Professor für Altes Testament an der Evangelischen Hochschule Tabor, Marburg
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