Altes Testament

Mayer I. Gruber: Hosea

Mayer I. Gruber: Hosea. A Textual Commentary, Library of Hebrew Bible / Old Testament Studies 653, London – New York, NY: Bloomsbury T&T Clark, 2017, Hb., XX+657 S., US $ 106.99, ISBN 978-0-5676-7174-5

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In einer bedeutenden Monographien-Reihe wie LHB/OTS erwartet man keinen Bibelkommentar. Wie es dazu kam erläutert der Verfasser, Professor emeritus an der Ben-Gurion Universität in Beerscheba (Israel), im Vorwort. Der hier vorzustellende 600-seitige Hos-Kommentar reiht sich ein in die Abfolge gewichtiger, neuerer Kommentare zum hebräischen (oder griechischen: Glenny [2013]) Text des ersten Dodeka-Propheten wie u. a. von Wolff (1961), Rudolph (1966), Andersen / Freedman (1980), Jeremias (1983), Stuart (1987), Hubbard (1989), Davies (1992), Garrett (1997), Macintosh (1997), Ben Zvi (2005), Dearman (2010) und Gisin (2014).

Der Band umfasst eine Einleitung (ca. 40 S.), eine (eigene) englische Übersetzung des Gesamttextes und als Hauptteil eine versweise vorgenommene Kommentierung. Beigegeben sind Bibliographie und zwei Indices (Stellen und Autoren), eine Appendix zu den in Hos erwähnten oder angespielten Königen von Israel, Juda und Assyrien, ferner eine Landkarte sowie einige Illustrationen.

In seiner Einleitung behandelt Gruber ausführlich die Frage der Textgliederung von Hos unter Sichtung der wichtigsten (handschriftlichen) Überlieferungen. Ebenso informiert er über Einflüsse und Grundentscheide bei seiner Kommentierung. Als einflussreich nennt er eine Reihe von Lehrern und Kollegen, allen voran H. L. Ginsberg, H. Tadmor und S. M. Paul. Redaktionsgeschichtliche Ansätze mit nachexilischer Spätdatierung von Hos als Buch bzw. Schrift, wie sie in neueren Veröffentlichungen gängig geworden sind, findet man bei Gruber nicht. Er geht von einer (klassischen) Zweiteilung von Hos 1–3 und Hos 4–14 aus. Dabei datiert er Hos 4–14 in die Zeit von Israels König Menachem ben-Gadi (747–737 v. Chr., näherhin 743–739 v. Chr.), einem König, der in Hos 1,1 nicht erwähnt wird, aber in dessen Zeit das Wirken des Propheten Hosea denkbar ist. Ungewöhnlich ist die „Frühdatierung“ von Hos 1–3 ins 9. Jh. v. Chr. (zur Zeit Jehus, 842–814 v. Chr. König von Israel, vgl. Hos 1,4). Mit ihr wird das Wirken eines anderen Propheten, eines zweiten bzw. ersten „Hosea“, voraussetzt. Dabei wird eine Textumstellung insofern angenommen, als 2,1–3 ursprünglich nach 2,16 folgte und Kap. 2 beschloss (nachträgliche Rahmung der Gerichtsaussagen in 2,4–16). Wird Hos 1–3 gegenüber 4ff üblicherweise als sekundär eingeschätzt, so lässt sich Grubers umgekehrte Zweistufigkeit besser mit der kanonisch gewordenen Leseabfolge verbinden. Mit den vorgenommenen zeitlichen Ansetzungen lassen sich nach Gruber Textaussagen mit geschichtlichen Bezügen und Hintergründen am besten vereinbaren (für Einzelheiten ist auf Einleitung und Kommentierung zu verweisen). Dies führt zu einer Datierung von Hos insgesamt ante quem 738 v. Chr., also noch bevor das Nordreich von den Assyrern um Gebietsteile dezimiert wurde. Eine Ausnahme bilden ihm lediglich die rund ein Dutzend „judäischer Glossen“, die nach 722 v. Chr. anzusetzen sind. Es handelt sich namentlich um Erwähnungen von „Juda“, die sich Änderungen (z. B. Ephraim // Israel => Ephraim // Juda) oder Ergänzungen verdanken (die Juda- und David-Erwähnungen in 2,2; 3,5 sind aber ursprünglich, d. h. für Gruber aus dem 9. Jh., und keine Interpolationen). So übersetzt er 12,1 (rekonstruierend) folgendermaßen: „Ephraim surrounded me with treachery // And Israel with guile. And Israel is devoted with respect to El // And with respect to angels is loyal.“ (493f) Die hebräischen Bezeichnungen אל und קדושים werden dabei „as designations of superhuman powers other than Yhwh, namely angels“ (495) verstanden. Gruber fügt an: „It is much more plausible to see Hos. 12:1c–d not as an assertion of the loyalty of Judah to the God of Israel but rather as a continuation of the description of the devotion of Israel to angels and the lexeme ,and Judah‘ as but one more example of an original Y meant as an abbreviation for Israel“ (S. 495).

Vehement ist Grubers Kampf gegen den „wissenschaftlichen Mythos“ von einer kultischen Prostitution: Weder in Hos 4 noch sonst irgendwo in Hos wird auf diese Bezug genommen. Es handelt sich bei den besagten Stellen vielmehr um Anspielungen auf Götzendienst und Bundesbruch unter Verwendung sexueller Metaphern. Zudem wird (männliche) eheliche Untreue und betrügerisches Verhalten gegenüber den Ehefrauen angeprangert (insbesondere 4,10–18, ferner 5,3f; 6,10; 7,14; 91f). Unter diskutabler Absetzung von Hos 1,2 („prophetic theatre“ – „Hos 1:2 can refer only to adultery as a metaphor for idolatry“ [S. 81]) und 1,3 (Auftrag zur Eheschliessung mit Gomer und Kinderzeugung) gelangt er zum Schluss, dass es sich (auch) bei Gomer weder um eine Prostituierte noch um eine ehebrecherische Frau, die sich nach Eingehen der Ehe feilbot, handelte.

Die Stärken von Grubers Kommentierung liegen in der sorgfältigen Analyse des sprachlich wie inhaltlich herausfordernden Prophetentextes unter Einbezug von Textkritik, Lexikographie, Syntax, Struktur und Poetik sowie biblischer und altorientalischer Texte, Artefakte und Geschichte. Auch wenn man ihm nicht überall folgen will und kann, bietet er eine Fülle von Einsichten zu den Textproblemen, die Hos aufgibt. Die Verse, in denen sich Verständnisfragen zum Text stellen, dürften diejenigen überwiegen, bei denen dies nicht der Fall ist. Hos in seiner vorliegenden Textspur gehört zu den am schwierigsten zu verstehenden Texten des Alten Testaments. Und da ist ein Kommentar wie derjenige von Gruber, der die Textdetails behandelt, gefragt. Dabei führt er die Diskussion mit seinen Vorgängerkommentaren und weiterer Literatur zu Hos. Insbesondere hat er profunde Kenntnisse jüdischer Kommentatoren und Studien – von den großen mittelalterlichen Kommentatoren bis zur Gegenwart – und bezieht diese auch ein.

Allein schon aus diesem Grund lohnt sich für Studierende von Hos die regelmäßige Konsultierung und Kenntnisnahme dieses umfangreichen Bandes. Grubers Werk gehört nun mit zu den eingangs erwähnten „großen“ Kommentaren dieser Prophetenschrift.

 

Dr. Beat Weber, Pfarrer/Dozent in verschiedenen Diensten

 

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