Altes Testament

Friedhelm Hartenstein: Die bleibende Bedeutung des Alten Testaments

Friedhelm Hartenstein: Die bleibende Bedeutung des Alten Testaments. Studien zur Relevanz des ersten Kanonteils für Theologie und Kirche, Biblisch-theologische Studien 165, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2017, viii+310 S., € 50,–, ISBN 978-3-7887-3047-5

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Diese Aufsatzsammlung führt in wichtige Fragen der Hermeneutik, Exegese und in Überlegungen zu einer „Theologie des Alten Testaments“ ein. Das besondere Anliegen ist es, die bleibende Bedeutung des ATs herauszustellen, was dem Verfasser auf vielfältige Weise mit diesen Beiträgen gelingt, die alle zwischen 2012 und 2016 bereits veröffentlicht wurden. Sie sammeln sich unter drei Überschriften: „Theologie des Alten Testaments als Aufgabe christlicher Theologie“ (13ff), „Zur Spannung zwischen Religionsgeschichte und Theologie“ (129ff) und „Zu einem neuen Konzept einer Theologie des Alten Testaments“ (197ff). Der Entwurf einer „Theologie des Alten Testaments“ und seine Notwendigkeit werden bei einigen Beiträgen explizit thematisiert: „Weshalb braucht die christliche Theologie eine Theologie des Alten Testaments?“ (15–53), „JHWHs Wesen im Wandel. Vorüberlegungen zu einer Theologie des Alten Testaments“ (199–228) und „Personalität Gottes im Alten Testament“ (229–267). Für den letztgenannten Aufsatz gilt das vor allem deswegen, weil Hartenstein JHWH als Mitte des ATs beschreibt. Zwei Beiträge behandeln wichtige (Vor-)Überlegungen für solch ein Projekt: „Autorität der Religionsgeschichte – Polyphonie der Theologien?“ (131–161) und „Die Anfänge JHWHs und die ‚Sehnsucht nach dem Ursprung‘. Eine geschichtshermeneutische Problemanzeige“ (163–196). Andere Aufsätze setzen sich mit wichtigen theologischen Fragestellungen auseinander, die bei der Beschreibung einer AT-Theologie von Bedeutung sind: „Ein zorniger und gewalttätiger Gott? Zorn Gottes, ‚Rachepsalmen‘ und ‚Opferung Isaaks‘ – neuere Forschungen“ (79–104), „Neutestamentliche Hermeneutik aus alttestamentlicher Sicht. Theologische Anmerkungen zum Entwurf von Ulrich Luz“ (105–128) und „Wunder im Alten Testament. Zur theologischen Begrifflichkeit für das Außerordentliche in der Hebräischen Bibel (pl‘, pälä‘ und nifla’ot)“ (269–307). Der Beitrag „Zur Bedeutung des Alten Testaments für die evangelische Kirche. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Notger Slenczka“ (55–78) verweist u. a. auf einen Anlass für diese Aufsatzsammlung. Die vielfältigen Perspektiven und Fragestellungen sind eine Bereicherung für die Diskussion und für alle m. E. unumgänglich, die vergleichbare Themen behandeln.

Ich kann Hartenstein an vielen Stellen folgen. Nicht zuletzt in einem seiner wesentlichen Anliegen, nämlich die Fragestellung einer „Theologie des Alten Testaments“ als Aufgabe anzunehmen, neue Wege zu suchen, wie diese ausgeführt werden kann und in ihrer Durchführung den „Mehrwert“ des ATs sowie die Notwendigkeit der Fragestellung an sich überzeugend darzulegen. Die grundlegende Beobachtung besteht darin, dass die Verfasser neutestamentlicher Schriften „durchgehend“ die „Identität des Gottes JHWH mit dem Gott Jesu Christi“ (26) voraussetzen. Dieser theologische und hermeneutische Ausgangspunkt schlägt sich in seinem Aufriss für eine AT-Theologie nieder, die von JHWH als die Mitte des ATs ausgeht. Unter den Überschriften „Beharrendes im Wandel: Langzeitige Charakteristika JHWHs“, „Dynamisches im Wandel: Wachsende Einsichten in die Identität JHWHs“ und „Einzigkeit und Zukunftsoffenheit: Die unabgeschlossene Geschichte JHWHs“ will er das in drei Gedankenkreisen entfalten (51, Anm. 88). Hartenstein versucht dabei einen Weg zwischen historischer Relativierung und Infragestellung theologischer Relevanz unter zur Hilfenahme der heuristischen Metapher „Zeugnis“ zu weisen.  Eine AT-Theologie begreift Hartenstein als „Gesamtsinn“ des ATs, dem man sich mit einem „Nachdenken über die in ihm enthaltene offene Geschichte JHWHs mit Israel, der Menschheit und der Welt“ (34) nur annähern kann. Er will damit auch einen Entwurf vorlegen, der weder die Bedeutung des ATs für das Christentum herunterspielt noch von einem Autoritätsverständnis ausgeht, welche die Bibel „als hypostasiertes ‚Wort Gottes‘ oder als ‚Lehre‘, die auf Gehorsam zielt“ sieht (35).

In Weiterführung seiner Habilitationsschrift Das Angesicht JHWHs. Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und im Exodus 32–34 (Tübingen 2008) entwickelt Hartenstein mit dem Beitrag „Personalität Gottes im Alten Testament“ bedenkenswerte Aspekte, die Interesse an einer weiteren Ausgestaltung wecken. Nicht zuletzt die Überlegungen zur Personalität Gottes als Grenzausdruck verdienen Aufmerksamkeit. Die Aussage „Der wachsenden Einsicht in die Identität Gottes entspricht die zunehmende Betonung seiner Transzendenz“ (258) fasst wichtige Gedanken einer religions- und theologiegeschichtlichen Entwicklung zusammen, wie sie Hartenstein anhand einiger Beispiele und wegweisenden Thesen formuliert.

Mit dem Beitrag „Wunder im Alten Testament. Zur theologischen Begrifflichkeit für das Außerordentliche in der Hebräischen Bibel (pl‘, pälä‘ und nifla’ot)“ will Hartenstein den Begriff des Wunders vom Alten Testament her beleuchten, um ihn „weder rationalistisch noch supranaturalistisch zu verengen“ (270). Im Anschluss an Paul Veynes Glaubten die Griechen an ihre Mythen? Ein Versuch über die konstitutive Einbildungskraft und Gottfried Quells „Das Phänomen des Wunders im Alten Testament“ stellt er heraus, dass diese Frage wenig diskutiert wird und dass Wunder (dennoch) eine „zentrale Kategorie biblischer Gotteserfahrung“ (276) sind. Da aber die Definition von Wunder als „Durchbrechung der naturwissenschaftlichen Kausalitäten …. weder die Aussageform noch Inhalte und Aussageabsicht“ trifft, sucht er nach anderen Wegen. Vor allem formuliert er auf treffende Weise die Bedeutung der Frage. Hier geht es nicht nur um das Verständnis von Wunder, sondern auch um das Thema Offenbarung und um das Selbstverständnis von Theologie. Es ist deswegen nicht nur geboten und wertvoll, dass Hartenstein sich dieser Frage stellt. Ihm gelingt das auf eine Art und Weise, die zum Weiterdenken anregt und zur konstruktiven Auseinandersetzung einlädt. Beispielsweise kommt mir die Reflexion, was im Alten Orient als Wunder oder „wunderhaft“ angesehen wurde, etwas kurz.

Wenn ich die „Diskussion“ zwischen Hartenstein und Slenczka richtig verstanden habe, so spielt die Frage, ob mit Blick auf das AT von einem „Mehrwert“ gesprochen werden kann, eine wesentliche Rolle. Nach Hartenstein ist das AT eine Gabe und Aufgabe, die der Theologie (historisch und hermeneutisch) vor- und aufgegeben ist (18). Er anerkennt die Herausforderungen und überschneidet sich teilweise mit Slenczkas Analyse der aktuellen Ausgangslage, z. B. dass man von einer verbreiteten Fremdheit und z. T. Unkenntnis mit Blick auf das AT ausgehen muss. Hartenstein nimmt diese Aufgabe an und will sie konstruktiv sowie zukunftsweisend (im Bewusstseins des Umgangs mit dem AT in der Vergangenheit) angehen. Damit stellt er sich in Person, vielen Anfragen, die durch Slenczka thematisiert wurden. Kurzum, nach der Debatte um Slenczkas Thesen sieht er die Zeit, „die sachliche Diskussion fortzuführen und das Thema weiter auf der Agenda zu halten. Es sollte als Anstoß zu einer erneuten Grundlagenbesinnung ernst genommen werden“ (2). Damit trägt er wesentlichen Anliegen Slenczkas Rechnung (sachliche Diskussion und Grundlagenbesinnung). Insofern kann man hoffen, dass die Debatte manche Fragestellung angemessen in den Blickpunkt des Interesses rückt. Vielleicht gibt die Debatte weiteren Anlass systematisch-theologisches, alttestamentlich-theologisches und exegetisches Denken vermehrt ins Gespräch miteinander zu bringen.

 

Heiko Wenzel, Ph.D. (Wheaton College), Professor für Altes Testament an der FTH Gießen

 

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