Systematische Theologie

Heinzpeter Hempelmann / Uwe Swarat (Hg.): Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde

Heinzpeter Hempelmann / Uwe Swarat (Hg.): Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Neuausgabe, Bd. 1, Holzgerlingen: SCM R. Brockhaus, 2017, geb., LVIII+1954 Sp., € 128,–, ISBN 978-3-417-26801-0

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Lohnt es sich diesen stolzen Preis zu investieren für die ersten 1,9 kg (Buchstaben A‑E) der auf vier Bände (ca. 3400 Artikel) angelegten Neuauflage des ELThG? Die erste Auflage erschien in drei Bänden (ca. 2500 Artikel) in den Jahren 1992, 1993 und 1994 als Nachfolger des thematisch damals noch stark begrenzten Evangelischen Gemeindelexikons (1978) und ist heute nur noch gebraucht und nicht immer günstig erhältlich.

Bei vorliegender Neuausgabe nach 25 Jahren handelt es sich nicht nur um eine Aktualisierung, sondern die Herausgeber werben mit „weitgehend neu geschriebenen“ Artikeln (V). Selbst Artikel von bereits verstorbenen Autoren, die aus der ersten Ausgabe übernommen wurden, sind in ihren Formulierungen kaum wiederzuerkennen, stark überarbeitet und aktualisiert, einschließlich der Literaturbelege, wie etwa „Children of God / Kinder Gottes“ (Hauth, †2016), „Evangelische Gesellschaft Stuttgart“ (Meng, †2016), „Bibelkritik I. historisch“ (Michel, †2006), „Batak-Kirchen / Batak-Mission“ (Schreiner, †2015), „Dissenters“ (Walton, †2000); bei den drei letztgenannten Artikeln ist der Name des überarbeiteten Mitarbeiters mit genannt.

Was unterscheidet die Anlage dieses Lexikon von den gängigen theologischen Fachenzyklopädien Theologische Realenzyklopädie (TRE, 36 Bde.), Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG4, 8 Bde.) oder dem katholischen Lexikon für Theologie und Kirche (LThK3, 10 Bde.; vgl. den Überblick in Art. „Enzyklopädie“ von Hille)? Die Herausgeber sehen den Fokus auf theologischen Anliegen und Ergebnissen, die „für den von Pietismus und Erweckungsbewegung geprägten deutschsprachigen Protestantismus sowie die weltweite evangelikale Bewegung von besonderer Bedeutung sind“ (V). Damit sind sie „einer kritischen, auf biblische Erneuerung abzielenden Theologie verpflichtet“ (X), möchten aber sammeln und weder trennen noch begrenzen: „Ziel des Unternehmens war und ist kein ‚evangelikales‘, sondern ein ‚evangelisches‘ Lexikon“ (IX). Eine weitere besonders aus pädagogischer Sicht dankenswerte Leistung des Lexikons liegt darin, dass zu jedem Artikel über eine Person ein Portrait abgedruckt ist (bei Chagall zusätzlich ein Bild; vgl. darüber hinaus Bilder der Tel-Dan-Stele, eines Altars und drei Bibelillustrationen, sowie eine Grafik zu „Beratung“); der kleingedruckte Bildnachweis zeugt von der mühevollen Arbeit des Zusammentragens (1947-1954).

Eine ansehnliche Zahl der Autoren lehren im Umfeld der Herausgeber und Fachherausgeber, etwa an der Internationalen Hochschule Liebenzell (Hempelmann), Theologischen Hochschule Elstal (Swarat), CVJM-Hochschule Kassel und Freie Theologische Hochschule Gießen (ehemalige und derzeitige Wirkungsstätte von Raedel), University of Nottingham (Deines, anfangs Fachherausgeber). Darüber hinaus sind wohl die meisten deutschen evangelisch-theologischen Fakultäten mehr oder minder stark vertreten, ebenso kirchliche Hochschulen und freie Ausbildungsstätten; auch findet sich eine geringere Zahl internationale Beiträge aus allen Kontinenten. Über den evangelischen Bereich hinaus sind etwa der Rabbiner Walter Homolka („Ben-Chorin“, „Schalom“) beteiligt, sowie die Katholiken Josip Gregur („Allerheiligen“, „Allerseelen“), Tobias Nicklas („Apokryphen (NT)“), Rudolf Prokschi („Balkanstaaten“), Regina Schiewer („Eckhart, Meister“). Praktisch gesehen lassen sich also keine Berührungsängste erkennen zu fachlich qualifizierten Forschern ohne erwecklich-pietistische Prägung.

Herausfordernd ist die Absicht, zu kontroversen Themen nicht einfach eine „ausgewogene“ Darstellung zu bieten, die „zu erheblichen Teilen überflüssig, langweilig und irrelevant“ wäre. Vielmehr sollen inhaltlich gegensätzliche Standpunkte in fairer Weise abgebildet werden (X). Wie dies gelingt, zeigt der Artikel „Evolution / Evolutionstheorie“: Hansjörg Hemminger setzt die Evolution als gegeben voraus, Kreationismus und selbst intelligent design werden als „Scheinalternativen“ vom Tisch gefegt, in seiner Literaturliste befindet sich kein einziges evolutionskritisches Werk. Den Gegenpol bildet der Artikel „Darwin, Charles (1809-1882) / Darwinismus“. Die Herausgeber räumen Reinhard Junker die Freiheit ein, nach der Behandlung seines eigentlichen Themas in zwei längeren Absätzen auf inhaltliche Einwände gegen die Evolutionstheorie im Allgemeinen einzugehen (1331f).

Ein kursorischer Überblick über einige besondere Artikel soll den Versuch bilden, Vielfalt und Stärken des Lexikons in Ansätzen zu skizzieren: (1) Eine ganze Anzahl an fachkundigen Informationen zu typisch evangelikalen oder pietistischen Themengebieten wird man nur (oder zumindest: nur in dieser Ausführlichkeit) in diesem Lexikon finden: Ev. Allianz, Evangelikale Theologie und Bewegung, theologische Ausbildung (einschl. Bibelschulen und theologische Begleitung), Biblische Theologie, Biblizismus, Evangelist, Evangelisation(sverein), Bekehrung und Buße, Erwählung und Berufung, Bekenntnisbewegung, ‑schulen, Bibelbund, Bibellesebund, Einkehrtage und ‑häuser, Erbauung(sliteratur), Briefseelsorge, ACL, AEM, BTS, KEP, EEAA, Deutscher Frauen-Missions-Gebets-Bund u. v. m.

(2) Eine weitere Gruppe an Themen ist in einer solchen Ausführlichkeit behandelt (in bis zu neun fachspezifischen Unterartikeln, im Folgenden durch römische Zahlen gekennzeichnet), so dass diese Artikel als substantielle Beiträge zur Forschung angesehen und in zukünftigen Forschungsüberblicken nicht übersehen werden sollten. Dazu gehören die Themen Abendmahl I-IV mit Abendmahlsgemeinschaft, Antisemitismus und -judaismus, Arbeit I-VI mit Arbeitslosigkeit und ‑recht, Armut I-VI, Auferstehung (der Toten I-IV / Jesu I-II), Bibel I-III und 14 Komposita (Bibelkritik, ‑verbreitung, usw.), das Böse I-V und „Teufel“ in einem späteren Band, Dekalog I-IV, Diakonie I-IV mit Diakonisches Werke und Diakonisse, Dialog[e] (christlich-jüdischer, interreligiöse, ökumenische), Ehe I-IX (‑scheidung I-IV, ‑beratung, ‑losigkeit), Erkenntnis I-V, Eschatologie I-III.

Überraschend kurz geraten sind dem gegenüber beispielsweise die Artikel zu Apologetik, Aufklärung, Bibelkritik I-II, Bonhoeffer und Ethik (letzterer zwar 8½ Spalten, jedoch ohne Unterartikel). Gerade zur biblischen Begründung der Apologetik (auch Altes Testament) bieten andere Lexika deutlich mehr. Sicherlich stehen hier Kompromisse im Hintergrund, die im Ringen zwischen Ergiebigkeit und Platzmangel gemacht werden mussten.

(3) Als drittes fallen einige Artikel ins Auge, die erst in jüngster Zeit aufgeworfene Themen behandeln oder Themen, die nicht jeder in einem theologischen Lexikon erwarten würde, Themen wie Bioethik und -technik, Christenverfolgungen, Computertechnik, Datenschutz, demographischer Wandel, Emerging Church, Erlebnis(gesellschaft). Es wird sogar über zwei noch lebende Personen berichtet, Peter Beyerhaus und Reinhard Bonnke. Und selbst der Artikel über den Schuhverkäufer Heinz-Horst Deichmann († 2014) ist keine „Steinlaus“, sondern findet seine Begründung in dem ungewöhnlichen karitativen Lebenswerk des bekennenden Christen.

(4) Wer bereits die erste Auflage des Lexikons besitzt, wird in der Neuausgabe einige Themen finden, die er bisher möglicherweise vermisst hat, u. a.: Abraham(it)ische Religionen, Allmacht und Allwissenheit Gottes, Alter I-VI, Anbetung, Arzt I-III, Barmherzigkeit, Behinderung I-V, Beruf I-II, Besessenheit I-V, Besonnenheit I-II, Bibelillustration, Demut I-III, Deutschland, Diskriminierung I-IV, Ehescheidung I-IV, Eltern, christlicher Enthusiasmus, Esoterik, Essen und Trinken I-III, Ewigkeit I-IV. Viele andere Themen wurden durch Unterpunkte stark erweitert, etwa Abtreibung, Evangelische Allianz, Altar, Angst, Arbeit, Armut, Asyl(recht), Atheismus, Bestattung, Blasphemie, Calvinismus, Ehe, Eid, Eigentum, Engel, Entrückung, Erfahrung, Erkenntnis.

(5) Es ist keine große Kunst, als Rezensent auf vermeintliche Lücken und Mängel in einem so breit angelegten Werk hinzuweisen, denn die Herausgeber müssen sich beschränken, da sie eben keine 36, sondern nur vier Bände zur Verfügung haben. Das Konzept sieht es vor, einzelne Länder zu behandeln, nicht jedoch Kontinente. So findet sich konsequenterweise – aber doch etwas seltsam anmutend – unter den Schlagwörtern „Afrika“, „Amerika“ und „Asien“ überhaupt nichts, auch keine Organisation wie etwa die „Africa Inland Mission“. Statt „Europa“ taucht lediglich der kurze Artikel „European Evangelical Accrediting Association (EEAA)“ auf.

Schmerzlicher ist der Verzicht auf Artikel zu den einzelnen Bibelbüchern. Für die ersten fünf Bücher der Bibel wird auf den Artikel „Pentateuch“ verwiesen, für Ester auf „Megilloth (biblisch)“, für Esra auf „Israel“. Die Chronikbücher kommen gar nicht vor. Daniel rettet formal ein Verweis auf „Apokalyptik“, dort jedoch nur unter ferner liefen.

Weitere Stichproben machen deutlich, dass das ELThG2 im exegetischen und biblisch-theologischen Bereich selbst für den Hausgebrauch der Ergänzung, etwa durch das Große Bibellexikon oder vergleichbare Werke bedarf. Hier liegt definitiv nicht der Schwerpunkt des Werks. So findet sich beispielsweise zum Alten Testament insgesamt nur der einsame, wenn auch gute Artikel „Altes Testament – Geschichte der Erforschung“ (Egelkraut). Nicht jeder wird Rösel beipflichten, wenn er Jes 40–55 in die Zeit „Exil, Babylonisches“ datiert, es bleibt aber auch gar kein Raum, abweichende Meinungen zu diskutieren. Ebenso wenig Raum bleibt Pola, das Netzwerk der „Chronologie“ des Alten Testaments zu präsentieren, er kann lediglich auf Probleme verweisen.

Exzellent wird es dagegen oft dort, wo es um den biblischen Hintergrund systematisch-theologischer Fragestellungen geht: So gelingt es Raedel zum einen, die Problematik des heiklen Themas „Dispensationalismus“ in wenigen Spalten unaufgeregt, fair, aber auch ohne Beschönigung kritisch darzustellen. Eine hervorragende, stärker biblisch-theologisch angelegte Ergänzung zu Raedels systematischer Übersicht bieten dann zum anderen die Artikel „Entrückung II. biblisch“ (Röcker) und „III. systematisch-theologisch“ (Lüdke).

Als zweites Beispiel sei der Artikel „Ehe“ genannt, welcher in neun Abschnitten auf kultur-, sozial-, theologiegeschichtliche, juristische und viele weitere Aspekte von Ehe eingeht; selbst die aktuelle Frage einer „Ehe für alle“ wird am Rande kontrovers diskutiert (1569). Eine große Stärke liegt auch hier im Bereich „VI. biblisch“ (White) und ähnlich in „Ehescheidung III. ethisch“ (Neuer). Im Unterschied zu vielen theologischen Versuchen, die Aussagen des Neuen Testaments bereits im Zuge der Exegese in Einklang mit den Trends und Wünschen unserer Zeitgenossen zu bringen, stellen diese Autoren zunächst einfach nur dar, was Paulus und Jesus ursprünglich gemeint haben. „Paulus […] geht selbstverständlich davon aus, dass […] vorehelicher […], außerehelicher […], und gleichgeschlechtlicher […] Geschlechtsverkehr unrechtmäßig sind“ (1576). „Das Christentum ist die einzige Weltreligion, welche die E[hescheidung] prinzipiell verneint“ (1596), die Idee einer Wiederheirat Geschiedener „kann [..] weder exegetisch noch altkirchlich begründet werden“ (1597). Auch wenn die Autoren in ihren Artikeln auf Lösungen hinweisen, tragen die hier offen formulierten Spannungen dazu bei, dass das ELThG2 auch nach Stunden des Schmökerns weit davon entfernt ist, „langweilig und irrelevant“ (X) zu erscheinen.

Falls sich der Preis für vier Bände am Ende tatsächlich auf 512,– € belaufen wird, bleibt zu hoffen, dass dieses Lexikon in näherer Zukunft als erschwingliche Studienausgabe erscheinen wird, und so auch unter Studenten und Nichttheologen eine breitere Leserschaft finden kann.

 

Dr. Siegbert Riecker ist Lehrer an der Bibelschule Kirchberg und External Instructor an der Evangelischen Theologischen Faculteit in Leuven

 

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