Systematische Theologie

Helmut Burkhardt: Ethik

Helmut Burkhardt: Ethik. Band III. Die bessere Gerechtigkeit. Spezifisch christliche Materialethik, Gießen: Brunnen, 2013, geb., 320 S., € 29,95, ISBN 978-3-7655-9500-4

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Mit diesem letzten Band hat Helmut Burkhardt, langjähriger Dozent für Systematische Theologie am theologischen Seminar St. Chrischona, seine auf drei Bände (vier Bücher) angelegte Ethik abgeschlossen. Führt er in Bd. I in die Ethik ein, indem er Grund und Norm sittlichen Handelns stichhaltig beschreibt, reflektiert er in Bd. II/1 das gute Handeln in Religionsethik, Lebensethik und Sozialethik sowie in Bd. II/2 in Sexualethik, Wirtschaftsethik, Umweltethik und Kulturethik. Hier in Bd. III nimmt er noch einmal ausführlich das spezifisch Christliche der christlichen Materialethik in den Fokus.

Um diesen wichtigen Topos zu klären, stellt Burkhardt in Hauptpunkt I. zuerst das Problem bzw. die Herausforderung einer spezifisch christlichen Ethik dar (1–27), leitet dann II. die Normen spezifisch christlicher Ethik aus dem Neuen Testament her (28–148) und entfaltet in der zweiten Hälfte seines Buches III. die Felder spezifisch christlicher Ethik detailliert (149–300). Das alles geschieht in der von Burkhardt bekannten stringenten Klarheit und Differenziertheit.

Das Besondere der christlichen Ethik und die Frage, ob es überhaupt möglich ist, ein spezifisches Proprium christlicher Ethik im Unterschied zur allgemeinen (z. B. humanistischen) oder andersreligiösen (z. B. islamischen oder buddhistischen) Ethik zu fordern, diskutiert Burkhardt kenntnisreich im ersten Teil. Er macht deutlich, dass diese Frage heute vielfach verneint wird (9–27). Dabei spricht er sich – entgegen des weithin anzutreffenden Trends in der christlichen Ethik (evangelischer- wie katholischerseits) – ausdrücklich für eine direkte Auswirkung des Evangeliums auf die christliche Lebensführung aus. Die im Neuen Testament in der Umkehr bezeugte Neuheit der „existentiellen Grundverfassung des Menschen“ führt konsequent zu einer Neuheit der „daraus folgenden konkreten Lebensführung“ (20).

Burkhardt versteht die spezifisch christliche Ethik durchaus im universalen Horizont und bewahrt sie so vor einer exklusiven Reduktion auf die Christen. Dadurch wird die Mitverantwortung für „das Leben des nichtchristlichen Mitmenschen“ möglich und nötig. Gleichzeitig soll dieses Gemeinsame aber nicht zu einer Nivellierung der ethischen Maßstäbe führen, sondern die einzigartige Konsequenz des Christseins beschreiben. Der Christ handelt eben nicht „wie irgendein beliebiger anderer“, denn er hat in dieser Welt eine Aufgabe, die „kein anderer erfüllen kann“ und ihm ist eine Sendung anvertraut „von der der natürliche Mensch keine Ahnung“ hat (25, letzteres Zitat Jacques Ellul, Leben als moderner Mensch, Zürich: Zwingli, 1958, 6). Aus diesem Grund bezieht Burkhardt ausdrücklich auch die christliche Spiritualität als eine „vom Geist Gottes bestimmte theozentrische Lebensführung“ (26) in seinen ethischen Ansatz mit ein und entfaltet sie konkret im dritten Teil.

Die „Normen spezifisch christlicher Ethik“ (II) leitet Burkhardt im Kontext seiner heilsgeschichtlich konzipierten Ethik aus den Strukturen des Neuen Testaments ab. Die „ethische Weisung Jesu“ (30–64) impliziert den für die christliche Ethik konstitutiven Umkehrruf, der allen Menschen gilt, sowie den Ruf in die Nachfolge und die Bedingungen der Jüngerschaft, zu denen Burkhardt auch den Missionsbefehl des Auferstandenen zählt (64).

Die „apostolische Paraklese“ wird als weitere Norm von der Ethik Jesu unterschieden und gleichzeitig darauf bezogen. Dabei legt Burkhardt Wert auf ihre Kennzeichnung als spezifisch christliche Norm und weist sie in allen apostolischen Schriften des Neuen Testaments ausführlich und detailliert nach (65–117).

Die Liebe als spezifische „Grundnorm christlicher Lebensführung“ unterscheidet Burkhardt von dem „allgemeinmenschliche[n] Phänomen“ Liebe, weil nur sie in ihrer voraussetzungslosen und selbstlosen Art das spezifisch Christliche zeigt. In diesem Zusammenhang geht er auf die heute auch im christlichen Kontext durchgängig als Voraussetzung zur Nächstenliebe geforderte „Selbstliebe“ ein und bejaht diese im Unterschied zur „Selbstverliebtheit“ bzw. „Selbstsucht“ (140).

Die theologisch wie praktisch entscheidende Frage, ob das Gesetz dann noch eine Bedeutung für die spezifisch christliche Ethik hat, beantwortet Burkhardt mit deutlicher Klarheit: Darin hat es „nichts verloren“ (143, 1Tim 1,9). Die den Gläubigen geschenkte Liebe (Indikativ, vgl. Röm 5,5) ist der Grund für die daraus erwachsenden Handlungen (Imperativ). Er folgt darin weitgehend Klaus Bockmühl, Gesetz und Geist. Eine kritische Würdigung des Erbes protestantischer Ethik, BWA 1.5, Gießen: Brunnen, 2009, 434-498.

Dieser theologisch nachvollziehbare Ansatz wird von Burkhardt im dritten Hauptteil auf den Feldern spezifisch christlicher Ethik anhand der traditionellen Viererkette koinonia (Gemeinschaft) – leitourgia (Gebet) – martyria (Zeugnis) und diakonia (Dienst) durchkonjugiert (149–300). Dieser Hauptteil macht die ganze zweite Hälfte des Buches aus und mündet stellenweise in dogmatische (ekklesiologische) und konfessionelle (landes-, freikirchliche und kommunitäre Gemeinschaften wie Mutterhäuser u. a. werden ausführlich beschrieben) Exkurse. Gleichwohl ist es sinn- und wertvoll, das spezifisch Christliche eben in diesen Charakteristika geistlicher Lebensgestaltung zu bewähren.

Dass die „christliche Gemeinschaft“ als Thema der Ethik (und nicht der Ekklesiologie) abgehandelt wird, mag auf den ersten Blick befremden. Wer um die real existierenden Zustände der Kirche(n) weiß, erkennt freilich darin auch ein notwendige Aufgabe christlicher Ethik. Die ethische Ausgestaltung des Glaubens in der Gemeinschaft und die Einheit der Kirche sind eben nicht einfach nur Optionen, sondern „letzter Wille Jesu“ (183ff).

Auch die ausführlichen dogmatischen und praktischen Ausführungen über das Gebet (189–225) vermutet man weniger in der Ethik, als eher in der praktischen Theologie oder in spirituellen Ratgebern. Das „christliche Zeugnis“, das von Burkhardt in „Mission“ (225–254), „christliche Lehre“ (254–277) und „Martyrium“ unterteilt wird (277–283), gehört streng genommen nicht zuerst in die Ethik, sondern eher in die Missiologie. Dass Burkhardt diese „Felder“ bewusst in die Ethik integriert, ist nicht nur kein Fehler, sondern Ausdruck eines theologischen Ansatzes, der dogmatische, spirituelle, missions- und diakoniewissenschaftliche Felder eindrücklich als ethische Einheit entfaltet. Und das gilt explizit auch für die „christliche Lehre“ (254–277), ohne die christliche Ethik unvollständig und irregeleitet wäre. Freilich ist ernsthaft zu diskutieren, ob Mission lediglich ein „Feld“ der Ethik oder nicht Grund und Ziel der Kirche ist. Darüber hinaus hält die einengende Definition „Mission ist Evangelisation“ (227) dem missionswissenschaftlichen Diskurs heute sicherlich nicht mehr Stand.

 

Dr. Horst Afflerbach, Leiter der Biblisch-Theologischen Akademie Wiedenest und Dozent für Systematische Theologie und Gemeindepraxis

 

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