Systematische Theologie

Groupe des Dombes: „Nur einer ist Euer Meister“

Groupe des Dombes: „Nur einer ist Euer Meister“. Die Lehrautorität in der Kirche, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2017, Pb., 222 S., € 22,90, ISBN 978-3-374-04321-7

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Mit der achten Veröffentlichung der Groupe des Dombes widmet sich das frankopho-ne, ökumenische Gremium einer der nach wie vor wesentlichen Fragen, die den inter-konfessionellen sowie binnenprotestantischen Zwiespalt begründen: der Frage nach der Lehrautorität in der Kirche. Die sich seit 1936 in regelmäßigen Abständen treffende, jeweils paritätisch aufgebaute Arbeitsgruppe nahm ihren Anfang in der Abtei von Notre-Dame des Dombes, in der Nähe von Lyon und tagt nun seit 1998 in der Abtei Pradines, in der Nähe von Roanne/Loire. Zwischenzeitlich fanden Zusammenkünfte auch in Taizé statt. Spiritus rector war vor allen der Lyoner Priester Paul Couturier (1881–1953; vgl. zu seiner Person Catherine E. Clifford, The Groupe des Dombes: A Dialogue of Conversion, AUS 231, New York: Peter Lang, 2005, 7–32), daneben Laurent Rémillieux, ebenfalls aus Lyon, sowie der Berner Pfarrer Richard Bäumlin. Die unter anderen auf diese drei zurückreichende Bewegung, die sich einer komparativen und nicht mehr konfessionell-polemisch bestimmten Theologie zuordnen lässt, trägt folgende Züge: Grundmerkmale sind neben dem theologie- und dogmengeschichtlich erprobten, aber auch ermüdeten Mittel des theologischen Diskurses die Pflege gemeinsamer Spiritualität und – im Falle der Erkenntnis von eigenem falliblen Verhalten gegenüber der anderen Konfession – der Ruf zur Umkehr. So die etwas vollmundigen, jedoch aus tiefem Ernst und monastischem Eifer geschmiedeten Zielvorgaben.

Bei dem kleinen Büchlein als Gemeinschaftsproduktion der EVA in Leipzig und des Bonifatius Verlages in Paderborn handelt es sich, soweit der Rezensent dies beur-teilen kann, um eine gelungene Übersetzung aus dem franz. Original durch Beate Bengard. Die fides qua [creditur] jedoch als „Bewegung der Zugehörigkeit“ zu be-zeichnen, ist zum einen erfrischend, zum anderen wohl eine Rückübersetzung aus dem franz. Idiom (99). Orthografische Mängel sind im erträglichen Maß vorhanden (s. nur 25: „[d]es ‚heiligen Gebiets‘“; 45: „beugte [er] sich aber doch“; 50: „De ba[p]tismo“; 91: „ein[…] Platz zuerkannt“; 157: „zahlreiche Fä[l]le“; 170: „regelmäßigem A[b]stand“; 176: „Jeglichen Li[…]teralismus“, vgl. 189; 32, Anm. 19: Verweis auf 1Kor 2,15 nicht im Index, 220). Erwähnenswert ist die Tatsache, dass sich die ökumenische Arbeitsgruppe in einem Zeitraum von fünf Jahren (1999–2004) jeweils für eine Woche mit großer Beharrlichkeit getroffen und somit zur Erarbeitung und Präsentation des vorliegenden Textes beigetragen hat. Die Namen der 40 Teilnehmer werden in einem Anhang genannt (216), ein Novum ist dabei die Teilnahme von vier Ordensschwestern und einer Pastorin (so auch schon im Vorwort, 11). Inhaltlich der westlichen Tradition verpflichtet mit adäquater Offenheit für die ostkirchliche Perspektive (ebd.), die aber nicht personell vertreten ist, kreisen die einzelnen Artikel, es sind 494 an der Zahl, nunmehr thematisch geordnet um die Frage nach Autorität und Leitungsverständnis in den Kirchen. Die schon in den vorhergehenden Veröffentlichungen gewählte Methode erinnert ein wenig an die gängigen Disputationsthesen der Frühen Neuzeit und ihre anschließenden, teilweise lang geratenen probationes. Schulmeisterlich und diachronisch wird der Stoff vorgetragen anhand von fünf Hauptkapiteln: Zunächst fällt der Blick auf die alte und mittelalterliche Kirche, dann folgt ein Kapitel über Reformation und Neuzeit, eine neutestamentliche Besinnung anhand des Duktus der kanonischen Bücher des Neuen Testaments schließt sich an, ein systematisch-theologischer Vorschlag für die Überwindung der Lehrdivergenzen und final der besagte Ruf zur Umkehr runden das Ganze ab. Eine Wertung vorwegnehmend, es handelt sich bei dem ausdifferenzierten fünften Kapitel um die eigentliche ökumenische Leistung der Gruppe, werden hier doch über die bekannten dogmatischen Gräben und historischen Gemeinplätze hinaus Neuansätze oder eben alte, selbstkritische Einsichten wieder neu vorgetragen und damit erfrischend ventiliert. Kapitel vier bietet nach Selbstauskunft im Rückgriff auf das Vorbild der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (GER, 1999) den Versuch eines „differenzierten Konsensʼ“ (21, 139–153). Die ganze Problematik solcher Theologumena und in diesem Fall eines erneuten Konvergenzmodelles muss hier nicht näher erläutert werden.

Nun einige Beobachtungen und Spitzen für die eigene Lektüre: Der Abriss über die mittelalterlichen Kirchenspaltungen ist recht kurz geraten (57–64). Artikel 121 be-spricht die reformatorische Scheidung (oder besser gesagt: nicht vorhandene Diastase) zwischen Interna und Externa etwas unglücklich und nicht unbedingt im Sinne Luthers (67f; vgl. aber ebd., Anm. 2 die nachgeschobene, erhellende Erläuterung). Wohltuend ist, dass frühe protestantische Ireniker wie Bucer und sein Schüler Calvin erwähnt und zitiert werden (69–71), wie auch nicht anders zu erwarten in einer frankophonen Veröffentlichung zur Thematik. Nicht neu, jedoch erwähnenswert ist der Hinweis, dass mit den sogenannten „Theologen-Pastoren“ (im Unterschied zu den Laien-Priestern) der protestantischen Orthodoxie letztlich ein neues Lehramt in Kirche und Universität inauguriert wurde, um das entstandene Vakuum zu füllen (76–78; vgl. hierzu den Hinweis von Heinz Scheible, „Der Catalogus testium veritatis: Flacius als Schüler Melanchthons“, BPfKG 63, zgl. Ebernburg-Hefte 30 (1996): 91–105, hier 104, dass schon das testes-veritatis Konzept der Reformatoren und ihrer Nachfolger letztlich eine Analogie und Substitution zur succesio episcoporum darstellte). Soziohistorische und systempsychologische Einsichten flankieren die theologische Argumentation in der gesamten Publikation. Die kleine Konzilsgeschichte ist lesenswert, enthält aber keine Überraschungen und entfaltet den römischen Ansatz einer Hierarchie der Wahrheiten, sprich einer Priorisierung und Balancierung der kanonisierten Lehrsätze (91–113). Einzelne Doktrin nun in ökumenischer Absicht aus dem corpus doctrinae zu streichen (oder völlig zu nivellieren), wäre und bliebe jedoch ein reformatorischer Affront. Der Versuch die frühe Sonderstellung des Petrus im Apostelkollegium im Mt nachzuweisen wirkt etwas gezwungen (119). Insgesamt wird hier der Versuch unternommen ohne tiefgreifende Exegesen das Autoritätsverständnis im Neuen Testament kurz zu skizzieren, der Akzent wird gut neuzeitlich auf Transparenz und Authentizität gelegt (118, 130). Bemerkenswert ist, dass ein consenus antiquitatis basierend auf den ersten vier ökumenischen Symbolen postuliert wird (142), der bekanntlich zurückgreift auf die gescheiterten Unionsbemühungen, nicht nur protestantischerseits durch Melanchthon und später Georg Calixt u. a. Bereits die orthodoxen Ostkirchen erkannten jedoch das vierte Konzil von Chalcedon (451) nicht an, womit der neuaufgelegte Versuch nicht völlig dessauviert werden soll. Zum konkreten Problem der wechselseitigen Autorität der kirchlichen Instanzen und insbesondere des Episkopats (wenn ekklesiologisch implementiert) bietet die Arbeits- und Gebetsgruppe Vorschläge an (149–153). Ein strenger oder konsequenter Kongregationalismus bleibt dabei als infant terrible außen vor (150, Anm. 16 berücksichtigt nur presbyterial-synodale Verhältnisse). Am Ende der dogmatischen Reflexion über die bestehen bleibenden Lehrdifferenzen wird noch einmal im Sinne eines pium desiderium und im deutlichen Rekurs auf die Konvergenz-Methode und den komparativen Aufbau der Studie dazu aufgerufen, „jede Kirche sollte das neue Dokument [sc. GER] zu seinen konfessionellen oder lehramtlichen Schriften zählen. Für den Fortgang der ökumenischen Suche scheint uns eine Übereinstimmung über dieses methodische Vorgehen unverzichtbar zu sein“ (177).

Das schon hervorgehobene fünfte Kapitel ruft zur Umkehr der Kirchen auf und betont hinlänglich bekannte Über- und Fehlinterpretationen im Laufe der Kirchenspaltungen, z. B. ein Heilsegoismus, der das protestantische sola scriptura soteriologisch ausspielt gegenüber einem ekklesiologischen Kollektivismus, der nicht nur das Individuum coram Deo anerkennt (187). Letztlich führt dies zur komplexen Frage nach der Wechselbeziehung zwischen der Autorität des Gewissens und der Autorität der lehramtlichen Instanz. Die Autoren „bitten“ darum, die katholische Konzeption eines kollektiven Gedächtnisses mehr zu berücksichtigen und nicht von vorneherein als obsolet und restaurativ zu bezeichnen (192). Darüber hinaus rufen die Bittsteller zu einer Art Fasten von den eigenen Erkenntnissen auf, ein „notwendige[r] Verzicht“, um überhaupt eine Basis für eine Kultur der Einheit schaffen zu können. Die protestantischen Kirchen werden hier stark ins Visier genommen und wegen ihrer vermeintlich theologisch überlegenen, beinahe aristokratischen Haltung kritisiert (196). Historisch könnte die wieder zurückgenommene Forderung sein, ein neues Konzil (nach dem Tridentinum, Vatikanum I–II) einzuberufen, aber „natürlich sind wir nicht so vermessen, die Einberufung eines Konzils vorzuschlagen!“ (198). Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der kurzen Studie wird nachweisen, inwiefern dieser Vorschlag vermessen oder angemessen war.

Das inspirative Handbüchlein sei hiermit ausdrücklich empfohlen zur Lektüre, auch wenn das eine oder andere materialdogmatisch aufstößt oder exegetisch zuwiderläuft. Daher zu guter Letzt zwei Tipps für den Umgang hiermit: a) Man könnte die ökumenische Studie im selben Gestus aufgreifen, in dem sie verfasst wurde – als Studien- und Stundenbuch für die persönliche Besinnung und Anregung für die eigene Konfessionalität. b) Man könnte sie auch analysieren und exzerpieren, z. B. in einem systematisch-theologischen, symbolischen oder konfessionskundlichen Seminar. Sie wäre unter Umständen einfacher zu lesen als vergleichbare „Dokumente wachsender Übereinstimmung“. Ihrem ursprünglichen Anliegen käme man damit alleine aber nicht auf die Spur.

 

Drs. Thomas Klöckner, Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Kaiserslautern

 

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