Historische Theologie

Elisabeth Lorenz: Ein Jesusbild im Horizont des Nationalsozialismus

Elisabeth Lorenz: Ein Jesusbild im Horizont des Nationalsozialismus. Studien zum Neuen Testament des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, WUNT II/440, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017, kt., XVII + 539 S., 114,–, ISBN 978-3-16-154569-6

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Diese Monografie (Doktoraldissertation, Universität Regensburg, 2015) untersucht Die Botschaft Gottes, eine Auswahlausgabe des Neuen Testaments, die vom Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben der evangelischen Kirchen Deutschlands in Eisenach unter Federführung von Vertretern der sog. Deutschen Christen erarbeitet wurde. Sie war 1940 in einer Auflage von ca. 200.000 Stück erschienen, auch wenn sich heute (zum Glück) kaum noch Exemplare dieses ideologieverseuchten Bändchens ausfindig machen lassen. Diese Ausgabe wurde in ihrer Hermeneutik, den Fragen nach der Textgestaltung, Textauswahl, Basistexten und den Auswirkungen auf christliche Theologien bisher noch nicht monografisch untersucht (6). Diese Lücke schließt die vorliegende Studie in umfassender Weise. Dabei beabsichtigt Elisabeth Lorenz, nicht nur die Unrechtmäßigkeit dieser Ausgabe festzustellen (was wiederholt geschehen ist), sondern die Intentionen der Redaktoren zu erkunden. Warum lohnt sich die Lektüre dieser umfangreichen Untersuchung? Neben kirchengeschichtlichem Interesse und der Aufarbeitung der antisemitischen und rassisch-nationalen Exegese der NS Zeit, geht es um mehr als das konkrete Objekt – das zweifelsohne zum Kuriositätenkabinett der Bibelausgaben gehört und zu Recht in Vergessenheit geraten ist. Es geht um die größere Frage, wie sich die Denkvoraussetzungen und Ziele der Herausgeber von Bibeln, Teilausgaben und Auswahlausgaben gewollt (wie in diesem Fall) oder ungewollt in der jeweiligen Textauswahl, Übersetzung und Präsentation niederschlagen. Am hier hervorragend untersuchten Extrem werden die Grundprobleme deutlich.

Zunächst skizziert Lorenz die Zielsetzung der Botschaft Gottes (BG) als Volkstestament und Volksbibel (8–46; Entstehung und Aufbau der BG, die Methode der „Entjudung“ des NT – „Es wurde der Versuch unternommen, eine von Hinweisen auf die jüdischen Wurzeln Jesu und des Urchristentums bewusst gereinigte Version des NT zu schaffen“ (19f) – , antijüdisches Denken in der Kirchengeschichte, „Entjudung“ und das ideologische Konstrukt des „arischen Jesus“ als der aktuelle Hintergrund). Begründet wurde die „Entjudung“ mit der Suche nach dem „ewigen Wahrheitsgehalt“ der Bibel und dem beabsichtigten „Dienst“ am deutschen Volke, da man „mit voller Wucht der Erkenntnis des Jüdischen im AT und auch in bestimmten Partien des NT ein Element habe, das für unzählige deutsche Menschen, den Zugang zur Bibel versperrt“ (22). In der „Entjudung“ wurde das Mittel gesehen, das den Zugang zumindest zum NT wieder eröffnen könnte.

Nach Darstellung der Kritik an der BG durch Mitglieder der Bekennenden Kirche, ihrer Verteidigung durch Walter Grundmann und andere und aus heutiger Perspektive, stellt Lorenz die Ausgangsfragen ihrer Untersuchung vor: „Welche Redaktionstendenzen lassen sich bei der Redaktion der BG beschreiben? Welche Texte sind von besonderer Relevanz? (56–62). Sie schreibt:

„Im Bewusstsein darum, dass Übersetzungen stets auch Deutungen sind, die von Zeiteinflüssen nicht frei sein können, soll sich den Texten der BG genähert werden, um die dahinterstehende Gedankenwelt zu ergründen. Aus der Zielangabe der Herausgeber der BG ,in der Zeit des deutschen Entscheidungskampfes‘ mit ihrer Bibel einen ,Dienst an der Seele des deutschen Volkes‘ zu leisten (vgl. BG VII), lässt sich dabei entnehmen, dass der Anspruch der Redaktion über den einer reinen Übersetzung deutlich hinausging. In dieser Arbeit soll nun analysiert werden, mit welcher Hintergrundhermeneutik das ,Institut‘ die biblischen Texte bearbeitet, gekürzt und neu kombiniert hat“ (56).

Im Abschnitt über die angewandte Methodik macht Lorenz sechs Bearbeitungstypen in der BG aus: Tilgung unerwünschter Inhalte, Hinzufügung erwünschter Inhalte, bewusst deutende Übersetzungen, die die Leser lenken, (unjüdisches) Setting, Überschriften und Seitenschriften, die die Erwartung der Leser lenken und Neukombinationen verschiedener Schriftstellen (64–66). Ferner schildert Lorenz das Fortleben der Ideen der Redakteure nach 1945 am Beispiel der Biografie Grundmanns (68–73) und skizziert knapp die Bewegung der Deutschen Christen und das Verhältnis des kirchlichen Institutes zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben zum NS Staat (73–81; vgl. dazu O. Arnold, „Entjudung“ – Kirche am Abgrund: Das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ (1939–1945); SKI 25,2; Berlin: Institut für Kirche und Judentum, 2010).

An drei großen Themenkomplexen analysiert Lorenz das Vorgehen der Herausgeber: „Jesus und das Judentum – der Messiasbegriff in der BG“ (82–175; negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG, Alternativen zum Messiasbegriff und Versuche einer „positiven“ Christologie im ersten Teil, Jesus der Gottessohn im JohEv, der Messiasbegriff in der Apg); „Jesus und das Judentum – Zum Begriff des Opfers in der BG“ (176–347; Vermeidung kultischer Implikationen in der BG und die Frage nach dem Umgang mit dem jüdischen Gesetz, christologische Ersatztermini für Lamm Gottes, Umdeutung des Opferbegriffs und Übertragung des neuen Opferbegriffs auf die Schlachtfelder) und Jesus als „Wunderneuschöpfung“ im Verständnis der Redaktoren (348–479). Dabei ist Jesus nicht der Messias, sondern der „Leidende“, mit dem die Leser mitleiden sollen. Zudem wird Jesus zu einem „Kämpfer“ gegen das Judentum stilisiert; daher sollen seine Nachfolger zu (Mit)Kämpfern werden. Aus Jesus als dem König Israels wird Jesus als der „König des Lebens“. Jesus ist nicht mehr das Lamm Gottes, sondern der sich selbst opfernde Lebensspender, der zur Tapferkeit ruft. So kommt es zu einer Heroisierung des Opfertodes Christi. An vielen Stellen bietet Lorenz einen Abgleich mit dem heutigen Forschungsstand.

Nach der Zusammenfassung (480–494) endet der Band mit einem eher unübersichtlichen Literaturverzeichnis, Personenregister und Sachregister sowie einem Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen (533–539).

Die Bearbeitungen der Herausgeber sind nur als bewusste redaktionelle Eingriffe zu verstehen. Die Herausgeber wollten ihre deutschen Leser nicht nur in ihrem Glauben unterstützen, sondern auch in ihrem Einsatz im und für den Staat (481). „Eben dadurch, dass das Christentum für die Deutschen ‚lebbar‘ gemacht werden soll, würde der Bibeltext dann auch zu einem Mittel der politischen Beeinflussung“ (481).

Die Herausgeber verfuhren bei den Evangelien in zwei Schritten. Zunächst wurde „das Jüdische“ identifiziert um anschließend die dahinterliegenden, „guten“ und zur eigenen Überzeugung passenden Ideen herauszuarbeiten bzw. als Spezifika der Lehre und des Wirkens Jesu auszugeben. Dabei wird das Bestreben erkennbar, das Judentum möglichst abstoßend zu schildern. Dabei wird in Kauf genommen, die „sämtlich positiven Bezüge Jesu zum Judentum seiner Zeit herunterzuspielen und durch Umdeutung zu negieren“ (483). Zudem werden eindeutig jüdische und positiv belegte Umstände, Meinungen, Lehren usw. als spezifisch jesuanisch präsentiert und häufig noch verstärkt (483). Jesus werde auf diese Weise der Heiland, der die Deutschen in ein neues Gottesverhältnis, nämlich das der Gotteskindschaft, rufe und der wesentlich durch sein Leiden bestimmt wird. Zudem beherrscht der Gedanke des Kampfes die Darstellung des Lebens Jesu.

Ferner skizziert Lorenz, wie sowohl die Apostelgeschichte als auch die Briefliteratur nach diesen Kriterien bearbeitet wurden. Dort finden sich Gehorsam, Leiden und aktiver Lebenseinsatz als Merkmale der idealen Christus-Nachfolge, „zudem fällt verstärkt die Einfügung verschiedener ‚Tugenden‘ auf, die eigentlich im soldatischen Kontext gefordert sind, z. B. Treue und Ehre“ (484). Insgesamt kann das Vorgehen der Redaktoren nur als Verirrung und Fehlleistung von Kirche und Theologie auf dem Boden judenfeindlicher Einstellungen zu Lasten des Judentums verstanden werden (487).

Zu aktuellen Relevanz ihrer Studie schreibt die Autorin, dass der Kern des Problems der BG die Anpassung der Texte an die Zeit ist:

„Man erliegt – und hier lässt sich ergänzen: damals wie heute – allzu leicht der Versuchung, in den biblischen Texten eben die bereits gesellschaftlich akzeptierten ‚Lebenswerte‘ zu betonen oder gar zu isolieren zu Ungunsten anderer Themen. Dies war in der BG überdeutlich der Fall: Es kam zu einer tragischen Verfälschung des tatsächlichen Bibeltextes unter dem Einfluss ideologischer, nationalistischer und nationalsozialistischer Bestrebungen. Dass eine solche oder ähnliche Verfälschung der biblischen Texte nie wieder geschieht, ist und bleibt Desiderat und Aufgabe jeder biblischen Exegese“ (488).

Lorenz plädiert für weitere Arbeit an der BG (noch zu bearbeitende Themen, etwa die Eschatologie, auf S. 485f) und fordert auf, antijüdische Tendenzen der Exegese in Tradition und Gegenwart aufzuspüren (486).

Lorenz großes Verdienst ist es, die BG im Detail analysiert und die Denkvoraussetzungen aufgezeigt und kritisiert zu haben. Durchweg wird deutlich, wie mit dieser Ausgabe versucht wurde, die Grundüberzeugungen antijüdischer und deutschnationaler „Theologie“/Ideologie zu popularisieren und für die eigenen Ziele nutzbar zu machen. Vermisst habe ich Informationen darüber, wie die elf deutschen Landeskirchen, die gemeinsam das Eisenacher „Entjudungs-Institut“ als kirchenübergreifende Einrichtung gegründet und getragen haben, nach 1945 mit diesem Erbe umgegangen sind.

Mit ihrer scharfen Analyse stellt Lorenz reflektierte Analysemethoden bereit und kann den Blick dafür schärfen, wie diese Art von „Kontextualisierung“ in anderen Zeiten und Kontexten auf viel subtilere Weise geschehen könnte – auch wenn man angesichts der Ungeheuerlichkeit der Eingriffe der Herausgeber der BG mit direkten Vergleichen sehr zurückhaltend sein sollte.

 

Dr. Christoph Stenschke, Dozent an der Biblisch-Theologischen Akademie Wiedenest und Professor extraordinarius an der University of South Africa

 

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