Neues Testament

Karl Jaroš: Die ältesten griechischen Handschriften des Neuen Testaments

Karl Jaroš: Die ältesten griechischen Handschriften des Neuen Testaments. Bearbeitete Edition und Übersetzung, Köln u. a.: Böhlau, 2014, geb., 952 S., € 110,–, ISBN 978-3-412-22215-4

Download PDF


Karl Jaroš, geb. 1944, katholisch, war in Österreich Professor für Altes Testament. Er veröffentlichte mehrere Bücher zum Neuen Testament aus einem konservativen Standpunkt, was die Fragen der Historizität betrifft. 2006 gab er, unterstützt von anderen Fachleuten, eine CD-ROM mit den 95 ältesten griechischen NT-Handschriften heraus, im Umfang von mehr als 5000 Seiten und mit mehr als 1000 Abbildungen. Solche Abbildungen von Handschriften enthält der hier zu besprechende Band nicht, ansonsten ist der Inhalt ähnlich: Die (hier: 104) griechischen NT-Handschriften (nämlich: Abschriften) werden im vollen Umfang transkribiert und interlinear – zu einem großen Teil neu (26) – ins Deutsche übersetzt. Diesem Anliegen ist der weitaus größte Teil des Buches gewidmet. Daneben werden zu Beginn jeder Handschrift wichtige Angaben geliefert, nämlich: Herkunft, Aufbewahrungsort, Beschreibung, Inhalt, Datierung, Bibliographie und Abbildungen (wo sie zu finden sind). Der Herausgeber eines solchen Werkes benötigt Liebe zum Detail und große Genauigkeit.

Diese ältesten Handschriften werden von Jaroš auf die Zeit von etwa der Mitte des ersten bis zum Beginn des vierten Jahrhunderts datiert. In diesen Handschriften finden sich fast 60 % des griechischen Textes des Neuen Testaments (11); ganz fehlen darin 2.Timotheus und 3.Johannes. Nur in kleinen Teilen darin vorhanden sind Matthäus, 2.Thessalonicher, 1.Timotheus, Titus, Philemon und 1.Johannes (16). Ein Bibelstellenregister mit der Angabe, in welchen Handschriften sich die einzelnen Abschnitte des NTs finden, steht vorne in der Einleitung (11–15).

Die Handschriften, hauptsächlich Papyri und einige Pergamente, sind in diesem Band chronologisch angeordnet. Bei vielen Handschriften datiert Jaroš früher als Nestle-Aland, was sich im Anhang des Buches („Konkordanzen“, 947–952) rasch überblicken lässt. Seine eigenen Datierungen begründet Jaroš – z. T. sehr ausführlich – durch Vergleiche mit anderen Handschriften, deren Datierung als sicher gilt. Jaroš meint, dass insgesamt etwa 90 NT-Abschriften aus der Zeit bis 300 n. Chr. stammen (9). Jedenfalls hofft er auf eindeutige – und seine eigenen bestätigende – Datierungen durch das zukünftige Einbeziehen der Altersbestimmung durch die C14-Methode.

Bei einer solchen Zusammenstellung werden die enormen Unterschiede im Umfang schnell deutlich. Die drei umfangreichsten Papyri (P46, P75 und P66) haben miteinander mehr Umfang als alle anderen dieser ca. 100 Papyri zusammengenommen. Die erhaltenen Papyri sind durchwegs Fragmente, aber von einigen blieb der Großteil des ursprünglichen Umfanges erhalten. Besonders umfangreiche Papyri sind folgende:

  • P46 (= Paulusbriefe von Römer bis 1.Thessalonicher, einschließlich Hebräer), in Jaroš’ Band umfassen Transkription und Übersetzung 166 S.
  • P75 (= Lukas 3 bis Johannes 14), 144 S.
  • P66 (= Johannes), 102 S.
  • P45 (= Matthäus 20 bis Apostelgeschichte 17), 61 S.
  • P72 (= Judas und 1. und 2.Petrus), 33 S.

An manchen Stellen würde ich noch stärker differenzieren oder präzisieren. Von den 104 Handschriften dieses Bandes stammen zwei von Qumran und eine von Dura Europos. „Die restlichen 101 stammen aus Ägypten“ (17). Das ist aber nicht sicher, denn von 34 dieser Handschriften ist der genaue Herkunftsort nicht bekannt, wie Jaroš selbst angibt (und vermutet, dass diese „am ehesten“ ebenfalls aus Ägypten stammen). In Auseinandersetzung mit den Hypothesen zur schriftlichen Vorgeschichte etwa des Markusevangeliums meint Jaroš: „Wenn ein Buch in zwei verschiedenen Fassungen tatsächlich existierte, wurden beide Fassungen tradiert“, und verweist auf die beiden unterschiedlichen Fassungen der Apostelgeschichte (21). Aber die bloße Existenz führte noch nicht zum Tradiertwerden. Dass eine ursprüngliche Fassung eines Evangeliums in einem kleinen Kreis benutzt – und abgeändert – wurde, bevor eine bestimmte Fassung zur Verbreitung freigegeben wurde, wäre m. E. denkbar, auch wenn sich von dieser ursprünglichen Fassung keine Spuren in der handschriftlichen Überlieferung zeigen.

Diese umfangreiche Edition der 104 ältesten griechischen NT-Abschriften ist eine wertvolle Zusammenstellung. Neben dem heute im Internet möglichen Zugang haben interessierte Leser hier ein gedrucktes Buch zum Studieren. Die durchgehende deutsche Übersetzung der griechischen Texte lädt auch solche Leser zur Beschäftigung mit den NT-Abschriften ein, die das neutestamentliche Griechisch (noch) nicht beherrschen.

 

Dr. Franz Graf-Stuhlhofer, BSc., Prof. für freikirchliche Theologie an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems