Neues Testament

Armin D. Baum / Detlef Häusser / Emmanuel L. Rehfeld (Hg.): Der jüdische Messias Jesus und sein jüdischer Apostel Paulus

Armin D. Baum / Detlef Häusser / Emmanuel L. Rehfeld (Hg.): Der jüdische Messias Jesus und sein jüdischer Apostel Paulus, WUNT II.425, Tübingen: Mohr Siebeck, 2016, kt., VIII+417 S., € 94,–, ISBN 978-3-16-153872-8

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Dieser Sammelband präsentiert die Beiträge eines Tübinger Symposiums, das im Juni 2015 anlässlich des 65. Geburtstags von Rainer Riesner stattfand. Die doppelte Themenstellung, Der jüdische Messias und sein jüdischer Apostel, greift zwei Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit Riesners auf, deren Verbindung ihm ein zentrales Anliegen ist. In seinen Arbeiten zu den synoptischen Evangelien betont Riesner den jüdischen Hintergrund der Jesusüberlieferung. In der alttestamentlich-jüdischen Tradition und namentlich in der Jesusüberlieferung liegen auch das Wirken und die Lehre des Paulus begründet. Die Beiträge stammen von Schüler, Kollegen und Weggefährten Riesners. Zur Ausrichtung schreiben die Herausgeber:

„Der vorliegende Sammelband handelt von den jüdischen Wurzeln des frühen Christentums. Er geht von der einfachen Beobachtung aus, dass die beiden Hauptpersonen des Neuen Testaments, der Messias Jesus und sein Apostel Paulus, Juden waren. Die Beiträge kreisen mehrheitlich um die Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Judentum und Christentum in den neutestamentlichen Texten über Jesus von Nazareth und über bzw. von Paulus von Tarsus. Die Frage nach der jüdischen Verwurzelung des frühen Christentums umfasst mindestens drei Aspekte: das Verhältnis des Wirkens von Jesus und Paulus zu den heiligen Schriften Israels, die Beziehung von Jesus und Paulus zum zeitgenössischen Judentum und die Verknüpfung der paulinischen Theologie mit der Verkündigung Jesu bzw. der synoptischen Tradition. Alle drei Aspekte werden in den folgenden Beiträgen in den Blick genommen (1).“

Die Einleitung („Von Israel in die Welt“, 1–6) fasst die Beiträge zusammen. Den einzelnen Beiträgen sind englische Zusammenfassungen vorangestellt.

Teil eins, „Der jüdische Messias Jesus von Nazareth“, beinhaltet vier Aufsätze: In seinem Aufsatz „Zu ‚den Werken des Gesalbten‘ (Mt 11,1–6 par.) vor dem Hintergrunde der alttestamentlichen und frühjüdischen Traditionsgeschichte“ (9–47) skizziert Thomas Pola zunächst alttestamentliche und frühjüdische Erwartungen, dass der Messias Israel wiederherstellen, einen eschatologischen Tempel errichten und eschatologische Sühne stiften würde. Auf diesem Hintergrund sind die in Mt 11 aufgezählten „Werke des Messias“ unvollständig. Dagegen wird betont, dass das neue Zeitalter ohne ein vorangehendes universales Gericht angebrochen ist.

Roland Deines („Der Messiasanspruch Jesu im Kontext frühjüdischer Messiaserwartungen“, 49–106), plädiert zunächst dafür, die neutestamentlichen Texte als Zeugnisse frühjüdischer Messiaserwartungen, als Fortschreibungen biblischer Traditionen zu verstehen (53–59). Sie bilden zudem „Parallel-Lektüren der Heiligen Schriften“. Deines weist ferner auf die notwendige Bezogenheit des Messias auf die heiligen Schriften Israels hin:

„Trotz des Fehlens einer einheitlichen Messiaserwartung in der Zeit ab dem 2. Jh. v. Chr. gibt es eine wichtige Konstante in den verschiedenen Zukunftsentwürfen (und Verwirklichungen in der jeweiligen Gegenwart): Alle Texte, die das Kommen eines Messias bzw. einer zukünftigen Helfer- und Rettergestalt ankündigen oder beschreiben, tun dies unter impliziter oder expliziter Verwendung einer relativ begrenzten Anzahl von biblischen (alttestamentlichen) Texten. Weil die biblischen Schriften vom Messias reden und dieser nur aufgrund derselben erwartet wurde, konnte keiner, der sich selbst als Messias verstand oder für den Messias gehalten werden wollte, ohne Beziehung zur Schrift sein. Das zeigt sich an den frühjüdischen Texten, die eine messianische Erwartung beinhalten, sowie an den mehr oder weniger erfolgreichen Verwirklichungen der Messiaserwartung durch einzelne Personen (61).“

Auf diesem Hintergrund ist Jesus als messianischer Schriftausleger zu verstehen. Dabei erwägt Deines, dass sich die bei Jesus „erkennbare schriftbezogene und schriftauslegende Messianität seiner eigenen, davidischen Familientradition“ verdanken könnte (75). Ferner analysiert er die expliziten Schriftzitate indirekte Verweise auf die Schrift im Lukasevangelium sowie Jesus als Ausleger und Thema der ganzen Schrift.

Emmanuel L. Rehfeld („Der Christus Israels zwischen Golgatha und Galiläa: Beobachtungen zum Verhältnis von vorösterlicher Jesusbotschaft und nachösterlichem „Christus-Kerygma“ in der Darstellung der Synoptiker“, 107–136) skizziert zunächst den Weg „von Golgatha nach Galiläa und zurück“ als die ausführliche Einleitung im Licht von Kreuz und Auferstehung sowie das Personengeheimnis Jesu und die nachösterliche Christuserkenntnis. Ferner geht es um innere Spannungen im Jesusbild der Synoptiker, um die Aufrichtung des neuen Bundes im Christusgeschehen vor dem Hintergrund des alten Bundes und mögliche Implikationen für eine evangelische Hermeneutik.

In seinem Aufsatz „Zwischen Abschreibeverhältnis und frühjüdischer Gedächtniskultur: McIvers experimentalpsychologische Kriterien zur Identifizierung eines Abschreibeverhältnisses zwischen den synoptischen Evangelien“ (137–172) analysiert Armin D. Baum zunächst die geläufigen Verweise auf den Gedächtnisfaktor in den forschungsgeschichtlich vertretenen Lösungsmodellen zum synoptischen Problem. So wurde die unmittelbare Wiedergabe schriftlicher Quellen, deren auswendige Wiedergabe, die auswendige Wiedergabe mündlicher Quellen und deren auswendige Wiedergabe untersucht. Nach Darstellung und Kritik von Studien zur experimentalpsychologisch nachweisbaren Leistungsfähigkeit des menschlichen Gedächtnisses (146–162; jeweils mit Anwendung auf das synoptische Problem; nach Baum vernachlässigen moderne Studien oft, dass Menschen aus mündlich geprägten Kulturen mit einem trainierten Gedächtnis nachweisbar höhere Erinnerungsraten haben als heutige Probanden) beschreibt Baum den Gedächtnisfaktor in synoptischen Paralleltexten mit maximaler Wortlaufidentität. Baum schließt, dass der Gedächtnisfaktor bei der Entstehung der synoptischen Parallelabschnitte auf jeden Fall berücksichtigt werden muss. Der Beitrag menschlicher Gedächtnistätigkeit dürfte dabei erheblich größer gewesen sein, als gemeinhin angenommen wird. In den synoptischen Parallelabschnitten mit großer Wortlaufidentität finden sich Indizien, die sich wesentlich besser durch einen Gedächtnisfaktor als durch ein Abschreibeverhältnis erklären lassen (170). Zu den einleitungswissenschaftlichen Implikationen dieser Beobachtungen vgl. Armin D. Baum, Einleitung in das Neue Testament. Evangelien und Apostelgeschichte, Gießen: Brunnen, 2017, 455–647.

Teil zwei, „Jesu jüdischer Apostel Paulus von Tarsus“, bietet sieben Aufsätze zu Paulus:

Volker Gäckle, „Dimensionen des Heils: Die βασιλεία τοῦ θεοῦ in der Verkündigung Jesu und in den Briefen des Apostels Paulus“ (175–225, nach Gäcke sollte der Begriff „Reich Gottes“ nicht – wie verbreitet – dynamisch verstanden werden, sondern aus Ausdruck eines zukünftigen Bereichs und Zeit des Heils sowie als gegenwärtige Gabe des Heils; außerhalb des Frühjudentums wurde der Begriff von Johannes und Paulus durch den Begriff des ewigen Lebens ersetzt, da dies für hellenistisch-römische Leser zugänglicher und eindeutiger war als „das Reich Gottes“), Joel R. White, „Führt der Messias sein Volk aus dem Exil? Eine kritische Auseinandersetzung mit N.T. Wrights These eines impliziten Metanarrativs hinter dem paulinischen Evangelium“ (227–242, Skizze der These Wrights, die von Wright allerdings kaum belegt wird; White sieht in Röm 9–11 und 15,14–20 Hinweise auf eine narrative Substruktur, die Wrights These eines Metanarrativs vom andauernden Exil untermauern könnten) und Hanna Rucks, „Paulus als Jude(n) lesen: Zur Auslegung von Röm 9-11 unter jesusgläubigen Juden“ (243–264, inhaltliche Ebene, hermeneutischer Ansatz, emotionale Ebene; untersucht werden Auslegungen von D. H. Stern, J. B. Shulam, J. Z. Lichtenstein; exegetisches Hauptanliegen der messianischen Juden ist die Bekämpfung der Ersatztheologie).

Die weiteren Aufsätze sind: Guido Baltes, „‚Freiheit vom Gesetz‘ – eine paulinische Formel? Paulus zwischen jüdischem Gesetz und christlicher Freiheit“ (265–314, Baltes untersucht die Aussagen zur Freiheit vom Gesetz im Röm und Gal; er schließt, dass die „Freiheit vom Gesetz“, absolut formuliert, keine paulinische Formel ist, die das paulinische Verhältnis zum Gesetz angemessen beschreibt; „Eine grundsätzliche Freiheit vom Gesetz oder von der jüdischen Tora ist mit dieser Formulierung also nicht im Blick“, 307), Detlef Häußer, „Die Verkündigung des jüdischen Messias in der paganen Welt: Der Beitrag der Gemeinde in Philippi zur Mission des Apostels Paulus“ (315–339, Philippi als Ort der paganen Welt, die Partnerschaft von Paulus und der Gemeinde Philippis; der Beitrag der Christen Philippis besteht aus deren eigenen Verkündigung des Evangeliums – Phil 2,15f, in der personellen Unterstützung der Mission des Paulus durch die Sendung des Epaphroditus – 2,25–39 und in der materiellen Unterstützung des Apostels – 4,10–20), Alexander Weiß, „Paulus und die coloniae: Warum der Apostel nicht der einzige römische Bürger unter den frühen Christen war“ (341–356, da die Mehrheit der Einwohner von coloniae, etwa wie Antiochien in Pisidien, Philippi und Korinth, römisches Bürgerrecht hatten, ist mit einer gewissen Anzahl römischer Bürger unter den ersten Christen in den coloniae auszugehen, freilich unter der Voraussetzung, dass die christlichen Gemeinden den Querschnitt der örtlichen Gesellschaft abgebildet haben; daher schließt Weiß: „Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich unter den frühen Christen eine nicht unbeträchtliche Zahl von Personen mit römischem Bürgerrecht befindet“, 352; vgl. auch dessen Studie Soziale Elite und Christentum: Studien zur Ordo-Angehörigen unter den frühen Christen, Millenium Studien 52; Berlin, Boston: De Gruyter, 2015) und Michael Theobald, „Alt und Neu: Innovative Begriffsbildungen in den Pastoralbriefen als Indiz ihres pseudepigraphen Charakters“ (357–380, nach Theobald hat der Verfasser des Titusbriefs an die Terminologie der Sammlung der Paulusbriefe angepasst; durch diese „Übersetzung“ des Paulus, will der Verfasser dessen Kompatibilität mit dem Denken und Reden seiner späteren Zeit aufweisen; das Augenmerk liegt auf den häufig erscheinenden Kombinationen zweier Substantive).

Verschiedene Register beschließen den anregenden Band. Vgl. die Würdigung der archäologischen Arbeiten Riesners durch den norwegischen Neutestamentler Jostein Adna, „Bodenständigkeit und Neues Testament: Rainer Riesners Studien zu Archäologie und Topographie“, ThBeitr 47 (2016), 23–32.

 

Prof. Dr. Christoph Stenschke, Dozent der Biblisch-Theologischen Akademie, University of South Africa, Pretoria