Pieter J. Lalleman: Goldadern der Bibel
Pieter J. Lalleman: Goldadern der Bibel. Von der bleibenden Bedeutung des Alten Testaments, Holzgerlingen: SCM Brockhaus, 2018, geb., 158 S., € 14,95, ISBN 978-3-417-25359-7
Der Niederländer Pieter Lalleman ist Dozent am Spurgeon’s College in London, theologischer Autor und Herausgeber der Europäischen Theologischen Zeitschrift. Das niederländische Original des anzuzeigenden Werkes erschien 2015 unter dem Titel Van blijvend belang: Het Oude Testament. Dr. Friedemann Lux, der exzellente Arbeit geleistet hat, hat das Werk aus dem Englischen übersetzt. Zur englischen Ausgabe findet man aber keine näheren Angaben.
Dem Autor geht es um die Frage der Relevanz des Alten Testaments für die Kirche und den einzelnen Gläubigen. Seiner Auffassung nach hat das AT in vielen Bereichen dem Christen noch etwas zu sagen, ja, das Alte sage vielfach sogar mehr als das Neue Testament. Sein Plädoyer für den „Überschuss“ (englisch: „surplus“) oder „Mehrwert“, wie er es nennt, macht er an neun Punkten fest: Schöpfung, Namen und Titel Gottes, Sexualität, Politik und der Fremde, Skepsis und Zweifel, Klage, Gott Widersprechen, Botschaft des Esterbuches, jüdischer Kanon. Diese Themen machen den bleibenden Wert des Alten Testaments aus.
Dem Hauptteil vorangestellt wird eine Einleitung (7–20), die das Verhältnis der beiden Bibelteile beleuchtet und die Intention des Buches herausstellt: Das AT ist nicht einfach in Christus erfüllt und an sein Ende gekommen. „Erfüllung“ bedeutet nicht „Auslöschung oder Abschaffung, sondern vielmehr, dass etwas zur Reife kommt, dass es voll in Kraft tritt“ (14). In Röm 10,4 sei deshalb auch sachgemäßer mit „Ziel“ oder „Absicht“ zu übersetzen. Das Buch behandelt fünf Bereiche nicht: weder messianische Weissagungen noch indirekte Prophetien auf Christus, weder Gebote wie die Zehn Gebote, die für den Christen noch Gültigkeit besitzen, noch Gebote, die für ihn nicht mehr gelten (wie die Opfervorschriften). Nicht behandelt werden schließlich die Geschichten, die alttestamentliche Gestalten porträtieren. Lalleman geht es in einer sechsten Kategorie um solche Texte, die eine zeitlose Gültigkeit aufweisen, wenn sie nicht christozentrisch verengt werden. Hier steht er in Kontinuität zu den niederländischen Theologen Albert van Ruler und Kornelis Heiko Miskotte, auch wenn er nicht alle ihre Ansichten teilt (19–20).
Beim ersten Kernthema (21–35) wird entfaltet, dass die Schöpfung gut ist und dass jeder Mensch eine Würde und einen Wert besitzt. Ebenbildlichkeit meine Statthalterschaft, königliche Repräsentanz und den Auftrag zum kreativen, verantwortungsbewussten Handeln. Das AT hilft uns, auch in dem anderen ein Geschöpf Gottes zu sehen und Gottes Wirken in der Schöpfung besser zu erkennen. Der biblische Schöpfergott stehe der Welt gegenüber, ohne in ihr aufzugehen. Die Erde ist als Gottes Eigentum ein sicherer, wenn auch nicht ewiger Ort. Im Gegensatz zu östlichen Religionen oder dem Platonismus verstehe das AT das Leben auf dieser Erde als das wirkliche Leben und führe zu keiner Weltverneinung.
Durch die zahlreichen Namen und Titel Gottes offenbare er sein Wesen, das das Bild von Gott als einem strengen Richter als Klischee entlarvt (36–50). Die positiven Aussagen des AT zu Sexualität und Ehe (51–61) schützen vor einer Leibfeindlichkeit und einer Vergeistlichung des Eros. Im Gegensatz zu den altorientalischen Religionen überrasche das AT aber damit, dass Gott nicht als sexuell aktiv beschrieben wird. Zum Thema Regierung werden Schneisen durch die alttestamentlichen Konzepte von Gerechtigkeit, Politik, Geschichte, König, Prophet, Armut und Besitz und vom Wert des Menschen und vom Fremden geschlagen. Es ist erstaunlich, wie es Lalleman gelingt, eine Lanze für den ersten Bibelteil zu brechen und die Texte aus sich selbst zu verstehen. An vielen Beispielen veranschaulicht er seinen hermeneutischen Ansatz, die gültigen biblischen Prinzipien zu erheben. Kap. 5–7 handeln von der Klage und dem Zweifel und ermutigen, auch unsere Nöte und unseren Protest vor Gott zu bringen. Er leitet zu einer theologisch verantworteten Lektüre der kritischen Weisheitsliteratur und vergleichbarer Bibeltexte an und warnt vor Fehlinterpretationen (76–102). Der Autor entfaltet die Botschaft des Esterbuches und erklärt Aufbau und Geschichte des hebräischen Kanons. Die Dreiteilung hält er für eine „erfrischende Alternative zu der Anordnung in unseren Bibeln“ (115).
Im letzten Hauptteil wird besprochen „wie man das Alte Testament besser nicht benutzt“, wenn beispielsweise ein dritter Tempel gebaut, der Sabbat gehalten, der Zehnte gegeben oder Priester eingesetzt werden sollen. In diesem Kapitel tritt vielleicht am deutlichsten der reformierte Ansatz Lallemans zutage (117–128). Einem Wohlstandsevangelium und dem Halten jüdischer Feiertage kann der Autor ebenso wenig Positives abgewinnen (129–144).
Auf den letzten Seiten (148–158) findet sich eine Liste der verwendeten Literatur (18 Titel), zu jedem Kapitel vier bis acht aktualisierende Fragen für Gesprächsgruppen und die Einzelnachweise als Endnoten. Nicht jeder Leser muss allen Aussagen zustimmen. Der Autor schreibt mit Herzblut, Enthusiasmus und Humor. Das Buch ist angenehm zu lesen und die einzelnen Kapitel können auch je für sich gelesen werden. Zugleich ist es theologisch gründlich reflektiert und gespickt mit exegetischen und theologischen Einsichten. – Ein wahres Kunststück, wie der Autor beides miteinander verbinden und ein umstrittenes Themenfeld allgemeinverständlich und kurzweilig präsentieren kann!
Dr. Walter Hilbrands, Dekan und Dozent für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen