Altes Testament

Joshua Berman: Inconsistency in the Torah

Joshua Berman: Inconsistency in the Torah. Ancient Literary Conventions and the Limits of Source Criticism, New York: Oxford University Press, 2017, geb., XI+307 S., $ 99,–, ISBN 978-0-19-065880-9

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Der Buchumschlag des zu rezensierenden Buches zitiert Benjamin D. Sommer, bei vorliegendem Buch handle es sich wohl um die schwerwiegendste, und für viele Bibelwissenschaftler beunruhigendste Infragestellung der Theorien über die Komposition und Datierung biblischer Texte in mehr als einem Jahrhundert. Dieser Beurteilung kann ich mich nur anschließen. Wie der Titel des Buches sagt, geht es dabei insbesondere um die Tora und zwar um die Deutung ihrer Inkonsistenzen. Berman möchte zeigen, dass die Prämissen der Pentateuchkritik, die bis heute das Feld dominieren, mehr über das 19. Jahrhundert aussagen als über die literarischen Konventionen im Alten Orient.

Der erste Hauptteil, der sich mit Inkonsistenzen in Narrativtexten befasst, beginnt mit einem Vergleich der Kadesch-Inschriften von Ramses II. mit der Exodus- und Schilfmeererzählung in Ex 13,17–15,19. Mit Blick auf die Kadesch-Inschriften ist für Berman entscheidend, dass die Inschriften auf eine Autorität zurückgehen und für dasselbe Publikum bestimmt sind und doch nach moderner Auffassung als widersprüchlich und uneinheitlich zu bezeichnen sind. So stehen Erzählung und Lied nebeneinander, wobei im Lied der Gott Amun, im Bericht dagegen Ramses selbst für den Sieg verantwortlich ist. Beide Texte sprechen von sechzehn Völkern, die sich der Hethitischen Koalition angeschlossen haben, unterscheiden sich aber in der Aufzählung dieser Völker. Solche und weitere inhaltliche und stilistische Unterschiede zwischen den beiden Texten führen aber nicht zu diachronen Thesen der Textentstehung. Berman zeigt sodann auf, dass es zwischen den Kadesch-Inschriften und Ex 13,17–15,19 durchgehend Affinitäten in Sprache und Motivik gibt: Formulierungen wie „starke Hand“ und „ausgestreckter Arm“, Übereinstimmungen in der Darstellung des Thronzeltes von Ramses mit der Stiftshütte (mit einem Thronraum, welcher ein Drittel des Zeltes umfasst, worin Ramses, repräsentiert durch eine Kartusche, flankiert von zwei geflügelten Wesen thront); weitere Verbindungen, sowie die parallele Struktur führen Berman zur Annahme einer literarischen Abhängigkeit und damit zu einer Frühdatierung von Ex 13,17–15,19 ins späte 2. Jt. Bibelwissenschaftler, welche diese Schlussfolgerung ablehnen werden, sollten zumindest eingestehen, dass in anderen Fällen (z. B. Sargonlegende, Loyalitätseide Esarhaddons) oft schon aufgrund geringerer Affinitäten literarische Abhängigkeiten behauptet werden. Das Hauptanliegen von Berman ist aber nicht der Nachweis einer literarischen Abhängigkeit, sondern das Erlernen literarischen Konventionen altorientalischer Texte am verfügbaren Vergleichsmaterial. Ähnlich zeigt Berman am Beispiel aktualisierter Verträge zwischen dem hethitischen Großkönig Šuppiluliuma I. und dem ugaritischen König Niqmadu, wie der hethitische König bei Vertragserneuerung (an denselben Adressaten gerichtet) den historischen Prolog veränderten diplomatischen Erfordernissen angepasst hat. Dies vergleicht Berman mit der Neuerzählung der Geschichte des Exodus und der Wüstenwanderung aus Exodus und Numeri in Dtn 1–3, die nicht als Konkurrenzerzählung zu deuten ist.

Der zweite Hauptteil widmet sich Inkonsistenzen im Gesetz. Solche Inkonsistenzen spielten in den Anfängen der Pentateuchkritik noch keine Rolle, sondern wurden erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem Schwerpunkt der Pentateuchkritik. Dies hat für Berman zeitgeschichtliche Gründe, gab es doch zeitgleich in Kontinentaleuropa einen Wechsel vom Gewohnheitsrecht (Common Law) zum Gesetzesrecht (Statutory Law). Nur im Gesetzesrecht ist das Gesetz mit dem Text identisch. Im Gewohnheitsrecht dagegen sind die Texte Sammlungen von Rechtsentscheiden und als solches zwar Präzedenzen, nicht aber Rechtssetzung. Dies bedeutet auch, dass nur im Gesetzesrecht bei einer Änderung der Rechtspraxis der alte Text ersetzt werden muss. Im Gewohnheitsrecht können auch unterschiedliche Rechtsentscheide nebeneinander tradiert werden. Selbst innerhalb einer Rechtssammlung, wie etwa dem Kodex Hammuarbi, finden sich darum Rechtssätze, die untereinander in Konflikt stehen. Weder altorientalisch noch alttestamentlich sind Rechtsentscheide überliefert, bei denen der Richter sein Urteil in Bezug auf einen vorliegenden Gesetzeskodex trifft. In alttestamentlichen Texten außerhalb des Pentateuch finden sich dagegen „legal blends“, d. h. Bezüge auf verschiedene Pentateuchgesetze, die in Spannung zueinanderstehen, aber gleichberechtigt kombiniert werden, d. h. nicht als sich gegenseitig ausschließend rezipiert werden. Dies führt Berman zum Schluss, dass die verschiedenen Pentateuchgesetze komplementär zueinander zu lesen sind und nicht im Widerstreit zueinanderstehen. So wendet er sich auch gegen Pentateuchmodelle, welche die Entstehung des Pentateuch als Kompromissdokument unter persischem Einfluss deuten (wobei ein Kompromiss ja nicht darin bestehen kann, widersprüchliche Gesetze unvermittelt nebeneinander zu stellen), oder als bloße Anthologie disparater Gesetze. Vielmehr handle es sich um ein Wachstum tradierten Gewohnheitsrechtes ohne die Notwendigkeit, bei neuen Rechtsentscheiden die alten entfernen zu müssen.

Der dritte Hauptteil hat die Erneuerung der Pentateuchkritik zum Gegenstand. Während noch in den Anfängen der Pentateuchkritik Gelehrte wie Spinoza und Richard Simon nach sicherem Wissen suchten und sonst das Schweigen der Spekulation vorzogen, hat nach Berman insbesondere der deutsche Historismus (gegenüber dem angelsächsischen Empirismus) des 19. Jahrhunderts von dieser methodischen Zurückhaltung weggeführt hin zu der Überzeugung, man könne allein aus dem Text heraus die Geschichte des Textes rekonstruieren. Am Beispiel von Ex 2,1–10 zeigt Berman methodisch unzulässige Strategien auf, die oft gebraucht werden, um zu einer Klarheit zu kommen, welche das Material nicht hergibt: Negation, Bisektion und Suppression. Parallelen zur Moses Geburtsgeschichte gibt es im ganzen alten Orient in verschiedenen Zeiten. Dennoch wird zur neuassyrischen Datierung von Ex 2,1–10 in der Regel die Geburtslegende Sargons als literarische Vorlage herangezogen. Warum gerade dieser? Hier werde in der Regel die Strategie der Suppression: Andere Paralleltexte werden gar nicht erwähnt und so erübrigt sich die Begründung, weshalb ausgerechnet die Geburtslegende Sargons der entscheidende Paralleltext für die Datierung sein soll. Erwähnenswert wäre hier auch die Studie von D. Redford zum literarischen Motiv des ausgesetzten Kindes (1967), in welcher Redford das Material sichtet und kategorisiert, wobei die Mose-Erzählung und die Sargonlegende verschiedenen Kategorien zugehören und keine echten Parallelen darstellen. Am Beispiel der Fluterzählung Gen 6–9 zeigt Berman schließlich, dass die Quellenscheidung methodisch mit diversen unzulässigen Operationen arbeitet und dabei auch Evidenz, die sich insbesondere aus der Gilgamesch-Fluterzählung ergibt, außer Acht lässt.

In seiner Schlussfolgerung fordert Berman „an epistemological shift toward modesty in our goals and toward accepting contingency in our results“, sowie „a far greater understanding oft he rhetorical and compositional practices of the ancient Near East“ (269).

Meines Erachtens sind viele der Argumente und Kritikpunkte von Berman sehr stark und wenn man gewillt ist, ihnen Gehör zu schenken, wird eine leichte kosmetische Korrektur in der Pentateuchforschung nicht ausreichen, sondern es braucht grundsätzliche Bereinigung vieler Annahmen und Methoden, auf denen große Teile der Ergebnisse gegenwärtiger Pentateuchkritik beruhen. Dem von Berman diskutierten Material würde ich insbesondere die Studien von Emma Brunner-Traut zur Aspektive im Alten Orient hinzufügen, die für das Verständnis dessen, was wir als „Inkonsistenzen“ im Alten Testament empfinden, ganz Entscheidendes beitragen können.

Ass.-Prof. Dr. Benjamin Kilchör, Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel