Altes Testament

Daniel I. Block / Richard L. Schultz: Sepher Torath Mosheh

Daniel I. Block / Richard L. Schultz: Sepher Torath Mosheh. Studies in the Composition and Interpretation of Deuteronomy, Peabody/MA: Hendrickson Publishers, 2017, Pb., 450 S., $ 39,95, ISBN 978-1-68307-066-5

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Vom 24.–26. September 2015 fand am Wheaton College das Kolloquium „Debating Deuteronomy: A Colloquium on the Torah of Moses“ statt. Der vorliegende Sammelband präsentiert eine überarbeitete Form der gehaltenen Papers, die am Kolloquium ausgiebig diskutiert wurden. Das Anliegen des Kolloquiums formuliert Daniel I. Block in der Einleitung folgendermaßen: „The purpose of this colloquium was to explore together historical, literary, theological, and ethical issues at the heart of the tensions evangelicals feel when they interact with mainstream scholarship“ (1). Die Autoren sind also darin verbunden, dass sie sich als Evangelikale verstehen im Sinne des Schriftbekenntnisses des Institute for Biblical Research.

Peter T. Vogt gibt im Eröffnungsbeitrag einen kurzen Abriss über die Forschungsgeschichte des Deuteronomiums. Dies geschieht entlang den Bereichen Datierung, Absicht und Ideologie des Buches sowie Komposition und Struktur. Zu allen drei Bereichen gibt er anschließend auch einen kleinen Überblick über evangelikale Alternativen. Der Beitrag ist insgesamt informativ, kann aber natürlich nicht in die Tiefe der Diskussionen und Fragestellungen gehen.

Auch der zweite Beitrag, „Ancient Near Eastern Treaty Traditions and Their Implications for Interpreting Deuteronomy“ von Neal A. Huddleston, hat Überblickscharakter.  Mittels Diskursanalyse hat Huddleston die verfügbaren altorientalischenVertragstexte untersucht und kategorisiert, wobei er die Kategorien (1. Eblaitische Tradition, 2. Altassyrische Tradition, 3. Altbabylonische Tradition, 4. Mittelbabylonische und Hethitische Paritätsverträge, 5. Allgemeine mittelbabylonische und hethitische Verträge, 6. Altaramäische Verträge, 7. Neuassyrische Verträge) kurz an ausgewählten Beispielen vorstellt und charakterisiert. Der Vergleich mit dem Deuteronomium zeigt, dass das Deuteronomium die größte Nähe zu den mittelbabylonischen und hethitischen Verträgen, hingegen die geringste Nähe zu den eblaitischen und neuassyrischen Verträgen aufweist.

Im Beitrag „Challenges to the Use of Ancient Near Eastern Treaty Forms for Dating and Interpreting Deuteronomy“ vertiefen K. Lawson Younger Jr. und Neal A. Huddleston die Frage nach dem Vergleich des Deuteronomiums mit altorientalischen Verträgen. Sie benennen drei Herausforderungen: 1. Kann eine Genealogie zwischen den altorientalischen Vertragstraditionen aufgezeigt werden? Die Autoren zeigen, dass für solche Vorschläge (bes. bei Kenneth Kitchen und Paul Lawrence) bisher wichtige Verbindungsglieder fehlen, so dass vieles spekulativ bleibt. 2. Können die Flüche aus Dtn 28 mittels Parallelen in altorientalischen Verträgen datiert werden? Die Diskussion fokussiert natürlich besonders auf die Parallelen zu den Nachfolgeeiden Asarhaddons (EST). Die Autoren kommen zum Schluss, dass die Evidenz nicht ausreicht, um eine literarische Abhängigkeit zwischen EST und Dtn 28 annehmen zu können. 3. Sind hethitische Einflüsse in der südlichen Levante plausibel zu machen? Zwar sind aus der Zeit der pax Hethitica-Egyptiaca erstaunlich viele hethitische Artefakte in der südlichen Levante zu finden, darunter diplomatische Gaben, doch gibt es keine archäologischen oder textlichen Hinweise auf einen direkten Kontakt zwischen den anatolischen Hethitern und den Israeliten.

Ein weiterer Überblicksartikel stammt von Michael A. Grisanti und befasst sich mit der Josianischen Reform. Nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Abriss untersucht er die intertextuellen Verbindungen von 2Kön 22–23 zum Deuteronomium und zeigt auf, wo sich dieselben Formulierungen auch in den Vorderen Propheten und in den vorjosianischen Schriftpropheten (bes. Hosea und Micha) finden, was zeigen soll, dass sich eine josianische Datierung aus diesen Parallelen nicht aufdrängt. Im letzten Teil gibt es einen kurzen Überblick über Stimmen, die das Deuteronomium vorjosianisch datieren (Vogt, Block, Peterson, McConville, Arnold). Das Verhältnis von Dtn 12 zu Ex 20, das für de Wette der Hauptgrund für die josianische Datierung des Deuteronomiums war, wird nicht diskutiert.

Bill T. Arnold schlägt in seinem Beitrag vor, das Deuteronomium nicht als ipsissima verba (eigene Worte), sondern als ipsissima vox (eigene Stimme) des Mose zu verstehen. Mit Michael Fishbane sei zwischen traditium, dem mosaischen Inhalt, und traditio, dem Überlieferungsprozess, zu unterscheiden. Der historische Mose habe eine Tradition begründet und sei somit Quelle von Prophetie und mosaischer Inspiration der Schreiber, doch rechnet er erst mit einem Verschriftlichungsprozess ab dem 8. Jhd., wobei nicht zwischen Autor und Schreibern zu unterscheiden sei: Die Schreiber würden nicht nur Tradition bewahren, sondern auch aktiv den Überlieferungsprozess mitgestalten. Doch sei dies weder als Pseudepigraphie noch als Pseudonymität zu verstehen, weil sie nicht im Namen, sondern in der Stimme des Mose schreiben. Unklar bleibt, wie sich dieses Tradierungsverständnis zur Kanonformel (Dtn 4,2; 13,1) verhält und in welcher Zeit und aus welchen Gründen diese Fortschreibung zu einem Ende kommt.

Brent A. Strawn skizziert in einem etwas langatmigen Beitrag („Slaves and Rebels: Inscription, Identity, and Time in the Rhetoric of Deuteronomy“) anhand von Dtn 6,21 („wir waren Sklaven“) und Dtn 9,7 („ihr wart Rebellen“) die rhetorische Strategie des Deuteronomiums. Die zweite und alle folgenden Generationen werden in die Geschichte der Exodus-Generation „eingeschrieben“ (Inscription), wobei die beiden Pole jede Generation neu vor die Frage stellen, ob sie sich von Gott befreien lässt oder ob sie gegen Gott rebelliert.

In einem sehr gründlichen Beitrag zum Gebot, den Fremden (gēr) zu lieben, das sich in Lev 19,34 und Dtn 10,18–19 findet, geht Markus Zehnder den vielfachen Vernetzungen der Gebote zum Umgang mit Fremden im Bundesbuch, dem Heiligkeitsgesetz und dem Deuteronomium nach und zeigt, dass die entsprechenden Passagen des Deuteronomiums nicht nur das Bundesbuch, sondern auch das Heiligkeitsgesetz voraussetzen dürften.

Richard E. Averbeck untersucht Dtn 12 in seiner inneren Logik und in Beziehung zu Ex 20,24–26 und Lev 17 und argumentiert, dass die Gesetze in ihrer narrativen Einordnung im Pentateuch nicht miteinander konkurrieren: Dtn 12 tritt erst in Kraft, wenn Gott dem Volk nach der Landnahme Ruhe verschafft hat (Dtn 12,8–10) was im Kontext der Vorderen Propheten erst unter König David eintritt (2Sam 7,1). Bis dahin ist Ex 20,24–26 in Geltung. Das Verbot der profanen Schlachtung in Lev 17 bezieht sich auf die Lagersituation der Wüstenwanderung und wird mit der Landnahme in Dtn 12 hinfällig.

J. Gordon McConville geht der Frage nach dem Verhältnis des Deuteronomiums zur Weisheitsliteratur nach. Ausgangspunkt sind die sich gegenüberstehenden Thesen von M. Weinfeld (eine deuteronomische Schule in Jerusalem nahm in der Zeit Josias ältere weisheitliche Konzepte auf) und G. Braulik (das Deuteronomium hat eine eigenständige weisheitliche Stoßrichtung, die in einer breiteren alttestamentlichen und altorientalischen Tradition steht). An einem weiteren Beispiel (R. Müller: im Deuteronomium hebt sich mit Dtn 16,19 eine weisheitskritische Fortschreibung von Dtn 1,15–16; Dtn 16,18 ab) zeigt McConville, dass Versuche, im Deuteronomium eine Entwicklung der Weisheit aufzuweisen, stets etwas Zirkelschlüssiges an sich haben, wie auch die Konzepte von Weinfeld und Braulik von Vornherein ein bestehendes Modell ins Buch hineintragen. So plädiert McConville dafür, die Unterweisung des Deuteronomiums und die Weisheitslehre der Weisheitsliteratur in ihren Eigenarten zu lesen, wobei die Unterweisung des Deuteronomiums stärker im Kontext von Vertrag und Gesetz angesiedelt ist.

Dem Verhältnis zwischen Deuteronomium und Hosea widmet sich Carsten Vang. Im Gefolge von H. W. Wolff gehen die meisten Exegeten davon aus, dass das Deuteronomium von Hosea beeinflusst ist, was sich allerdings lediglich aus der josianischen Datierung des Ur-Deuteronomiums ergibt und nicht aus einem literarischen Vergleich. Auch Exegeten, welche die umgekehrte Richtung annehmen (und mit einer Frühdatierung des Deuteronomiums verbinden), bieten keine literarischen Argumente. Vang untersucht mit einem Set von Kriterien für literarische Abhängigkeiten und deren Richtung Hos 13,4–6 mit Dtn 8,12–14; Hos 2,10 mit Dtn 8,13; 7,16–17; sowie Hos 4,13 mit Dtn 12,2. In allen drei Fällen sprechen die Indizien für eine Priorität des Deuteronomiums. Versuche, die Priorität des Deuteronomiums durch eine deuteronomistische Hosea-Redaktion zu erklären, erweisen sich als zirkelschlüssig.

Die das Deuteronomische Gesetz rahmenden Texte Dtn 11,29–32; 27,1–8 lokalisieren eine Bundeszeremonie bei Sichem auf den Bergen Ebal und Garizim. Sandra Richter zeigt in einem archäologischen Beitrag, dass es in der Geschichte des alttestamentlichen Israels nur zwei Phasen gab, in denen Sichem mit diesen beiden Bergen eine kultische Rolle spielte, nämlich die goldene Zeit Sichems (ca. 1450–1150 v. Chr.), in der Sichem die wichtigste Stadt des nordisraelitischen Hügellandes war (archäologisch nachgewiesen sind für diese Zeit kultische Aktivitäten auf dem Berg Ebal, wohl mit einem Altar von unbehauenen Steinen, wobei von 2.862 gefundenen Tierknochen 96 % von Rind, Schaf und Ziege stammen, Knochen von unreinen Tieren aber gänzlich abwesend sind), sowie die persische/hellenistische Zeit (ca. 450–114 v. Chr.), in der auf dem Garizim ein großes Heiligtum nachgewiesen ist. Gegen den Trend, den Pentateuch (mit der Unbestimmtheit von Dtn 12) als judäisch-samaritanisches Kompromissdokument aus der Perserzeit zu lesen, das Samaritanern und Judäern erlaubte, jeweils ihr Heiligtum als den von Jahwe erwählten Ort zu deuten, trägt Richter gute Gründe zusammen, um den Hintergrund von Dtn 27 eher in der goldenen Zeit Sichems im 2. Jtd. zu verorten.

Die Feststellung, dass in der Diskussion zur neuen Paulusperspektive die Stimme von Alttestamentlern völlig fehlt, führt Daniel I. Block dazu, am Beispiel des Galaterbriefes die Beziehung von Paulus zu Mose zu untersuchen. Dabei möchte er nicht Mose im Licht des Paulus, sondern umgekehrt Paulus im Licht von Mose lesen. Im ersten Teil argumentiert er, dass Paulus sich selbst in seiner Berufung und Sendung als „Prophet wie Mose“ versteht, der das Evangelium direkt von Christus empfangen hat und nicht durch Menschen vermittelt (Gal 1,11–12). Im zweiten Teil fragt Block, was Mose wohl zur paulinischen Meinung bezüglich der Beschneidung sagen würde. Mose selbst scheint nicht nur seine eigene Beschneidung vernachlässigt zu haben (Ex 4,24–26), sondern auch die der Israeliten (Jos 5,2–9). Im Deuteronomium spielt die Beschneidung des Fleisches überhaupt keine Rolle, alles kommt auf die Beschneidung des Herzens an (Dtn 10,16; 30,6). So kommt Block zum Schluss, dass Mose Paulus zustimmen würde, dass die Beschneidung nicht das Erkennungszeichen des wahren Israeliten ist. Was ist dann aber nach dem Deuteronomium dieses Erkennungszeichen? Block nennt in einem dritten Teil drei Punkte: 1. Die umfassende Liebe zu dem einen Gott, wie sie im Schema Israel (Dtn 6,4) formuliert ist. 2. Die mit Gehorsam beantwortete Anteilhabe an Israels Geschichte der Erlösung und Gabe des verheißenen Landes. 3. Das tiefe Vertrauen in Jahwe.

Abgerundet wird der Band durch ein kurzes Schlusswort von Richard L. Schultz, das insbesondere die aktuelle Diskussion zum Deuteronomium mit der Diskussion in der Jesaja-Forschung vergleicht. Der Band bietet insgesamt erfrischende Perspektiven auf ganz unterschiedliche Aspekte des Deuteronomiums, führt in grundlegende Fragestellungen ein und regt an, auch außerhalb der Linien, die durch die Pentateuchkritik insbesondere des 19. Jahrhunderts vorgezeichnet wurden und noch immer den Horizont konventioneller Deuteronomiumsforschung begrenzen, fruchtbar und mit Gewinn das Deuteronomium zu studieren.

Ass.-Prof. Dr. Benjamin Kilchör, Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel