C. Stephen Evans: A History of Western Philosophy
C. Stephen Evans: A History of Western Philosophy. From the Pre-Socratics to Postmodernism, Downers Grove, IL: IVP Academic, 2018, Hb., 608 S., $ 54,–, ISBN 978-0-8308-5222-2
Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden! Dies gilt nicht nur für die Ehe zwischen Mann und Frau, sondern auch für die Ehe zwischen Philosophie und Theologie. Beide dürfen nicht getrennt werden. Beide gehören zusammen. In seiner vorzüglichen Analyse zum Werdegang der westlichen Philosophie bietet uns der amerikanische Philosoph C. Stephen Evans, Professor an der renommierten Baylor University und in den USA einer der führenden Experten zu Søren Kierkegaard, einen klar strukturierten und äußerst lesbaren Überblick zur Entwicklung dieser „Ehe“ seit der Zeit der Vorsokratiker.
Evans, der sieben Jahre an diesem Werk gearbeitet hat (ix), schreibt aus explizit christlicher Perspektive (10) und vertritt die Auffassung, dass Philosophie und Theologie intrinsisch voneinander abhängen, sich einander bedingen. Mit Klemens von Alexandrien (131) und Augustinus von Hippo (140) ist er überzeugt, dass die „Philosophie Teil des göttlichen Plans zur Vorbereitung der griechischen Welt für das Evangelium war.“
Aus Gründen, auf die wir in diesem Rahmen nicht näher eingehen können, ist diese Sicht den meisten Christen der Gegenwart bedauerlicherweise jedoch verloren gegangen. Beide Bereiche werden in den meisten Köpfen strikt voneinander getrennt und, was noch schlimmer ist, die Philosophie oft mit Argwohn oder gar Feindseligkeit bedacht. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass seit gut einem halben Jahrhundert unter angloamerikanischen Nachfolgern Christi diesbezüglich ein Umdenken stattfindet, welches sich langsam aber sicher auch auf dem europäischen Festland, z. Bsp. durch ein wiedererwachtes Interesse an der Apologetik, bemerkbar macht (vertiefend hierzu William Lane Craig, „Die Revolution in der angloamerikanischen Philosophie“, http://www.professorenforum.de/fileadmin/content/professorenforum.de/newsletter/2015/Artikel_IV_2015/Craig_Die_Revolution_.pdf).
Evans selbst ist ein wichtiger Förderer dieser positiven Entwicklung und bietet uns mit seinem jüngsten Werk ein weiteres hilfreiches Werkzeug zur Wiederentdeckung und Pflege der gegenseitigen Abhängigkeit von Philosophie und Theologie. Die konzentrierte Auseinandersetzung mit den zentralen philosophischen Entfaltungen des Westens birgt im Wesentlichen drei Vorteile: Einerseits erlangen Christen dadurch eine vertiefte Kenntnis und somit Stärkung des eigenen Glaubens. Andererseits lassen sich wertvolle Einsichten bezüglich der aktuellen westlichen Geistesverfassung gewinnen, welche natürlich nicht ex nihilo entstand, sondern vielmehr das Resultat philosophischer und ideologischer Entwicklungen ist. Der dritte wesentliche Gewinn folgt aus den beiden eben genannten: Durch das Studium der westlichen Philosophiegeschichte werden Nachfolger Christi zugerüstet im Hinblick auf eine effektivere Verkündigung des Evangeliums.
Anhand von vierundzwanzig wohlgegliederten Kapiteln auf 608 Seiten ermöglicht es Evans seinen Lesern nun, den angeführten Nutzen aus seinem durchdachten Werk zu ziehen. Jedes Kapitel befasst sich mit einer zentralen Epoche oder einem wesentlichen Denker und kann somit für sich selbst gelesen werden. Hervorzuheben ist hierbei die Herangehensweise des Autors, der es nicht dabei belässt, über Ereignisse, Denkprozesse und Entwicklungen lediglich zu berichten, sondern diese vielmehr auch bewertet (9). Dadurch erhofft er sich, zum Prozess der Wahrheitsfindung konstruktiv beizutragen. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt für den Laien u. a. darin, mit der philosophischen Arbeits- und Denkweise vertraut zu werden. Der erprobtere Denker hingegen profitiert vom Erfahrungsschatz und den spezifischen Einsichten eines christlichen Philosophen, der sich mit der Materie seit Jahrzehnten intensiv auseinandersetzt.
Nach einer kurzen Einführung (Kap. 1) beginnt Evans seinen Gang durch zweieinhalb Millennien mit den Vorsokratikern im Gefolge des „Begründers der Philosophie“ [meine Wortwahl], Thales von Milet. Dank der erfolgreichen Vorhersage einer Sonnenfinsternis im Jahre 585 v. Chr. etablierte Thales die formale Tätigkeit des Philosophierens im alten Griechenland (15). Anschließend spannt Evans einen eindrucksvollen analytischen Bogen: ausgehend von Sokrates, Platon (in dessen Schatten gemäß Alfred North Whitehead die restliche philosophische Tradition Europas nur eine „Reihe von Fußnoten“ bildet, 53–54) und Aristoteles (Kap. 3–5), über vier wichtige Schulen hellenistischer Philosophie (Kap. 6) hin zu den Anfängen christlichen Denkens, welches in Augustinus von Hippo einen ersten von zahlreichen Kulminationspunkten erfährt (Kap. 7). Dieses Kapitel enthält auch eine kurze, aber dennoch hilfreiche Darstellung neutestamentlicher Bibelstellen, mit Hilfe derer sich die philosophische Tätigkeit begründen lässt (124–127).
Im Gegensatz zu antiken und mittelalterlichen Denkern (deren Systeme Evans in den Kapiteln 8 bis 10 präsentiert; Thomas von Aquin erhält dabei als Schlüsselfigur ein eigenes Kapitel) verändern sich Ausganspunkt und Ziel philosophischer Beschäftigung mit dem Auftreten des „Vaters der modernen Philosophie“, Rene Descartes (Kap. 12). Während „die Alten“ mit einer Einstellung des Staunens („wonder“) über Gott und die Welt nachsannen, erhebt Descartes den Zweifel zum methodischen Ausgangsprinzip. Während für erstere „die primären philosophischen Fragen das Wesen der Realität [Metaphysik] und die richtige Art weisen Lebens [Ethik] betreffen“, ist letzterer hauptsächlich daran interessiert, „was wir wissen können“ [Epistemologie] (276). Indem Descartes „das denkende Ding“ zum Dreh- und Angelpunkt seiner Philosophie macht, bereitet er allen nachfolgenden modernen und postmodernen Gedankensystemen das Spielfeld, auf dem Philosophie fortan betrieben wird.
Sowohl moderner als auch postmoderner Geist gehen dabei von einer gemeinsam akzeptierten Hypothese aus: „Wenn es so etwas wie objektive Wahrheit gibt, dann muss es auch eine Methode geben, welche den Zugang zu dieser Wahrheit garantiert.“ Die großen Denker beider Geistesströmungen akzeptieren diese Grundaussage, kommen allerdings zu völlig unterschiedlichen Folgerungen in Bezug auf Verfügbarkeit und Erfolgsaussicht besagter Methode (584). Evans schließt mit einer Ablehnung beider Denkvoraussetzungen, mit einer Ablehnung der Hypothese per se. Denn zum einen erkennen wir als Christen, dass wir im Bilde Gottes geformt sind. Deshalb dürfen wir beruhigt davon ausgehen, immer ein sicheres Wort im Hinblick auf die letzten Fragen formulieren zu können. Diese Überzeugung bewahrt vor postmodernem Skeptizismus und existentieller Verzweiflung. Zum anderen jedoch erfahren wir uns selbst als essentiell gefallene Wesen. Diese Einsicht, verankert in der Ur- oder Erbsündenlehre, sichert ab gegenüber intellektuellem Stolz und moderner Hybris. Sie erinnert uns daran, dass wir in diesem Leben kein letztes, finales Wort zu äußern haben. Die philosophische und theologische Tätigkeit wird daher fortschreiten, bis beider Herr erschienen ist.
Mit Ausnahme einiger stilistischer Ausreißer (z. B. wird die Konjunktion „however“ sehr häufig verwendet, zum Teil mehrere Male pro Seite) bietet Evans einen exzellenten einbändigen Abriss westlicher Philosophiegeschichte aus klar christlicher Perspektive; und dies auf höchst lesbare Art und Weise. Er geht auch auf weniger bekannte Denker wie Thomas Reid (Kap. 16) ein, ohne Schlüsselfiguren wie Hume (Kap. 15), Kant (Kap. 18; mit über vierzig Seiten das längste Kapitel) oder Nietzsche (Kap. 23) zu vernachlässigen. Evans’ History of Western Philosophy ist somit trotz des nicht günstigen Kaufpreises wärmstens zu empfehlen.
Dr. Fabian F. Grassl, Research Fellow an der Internationalen Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein (IAP)