Altes Testament

Christopher R. Seitz: The Elder Testament

Christopher R. Seitz: The Elder Testament. Canon, Theology, Trinity,Waco: Baylor University Press, 2018, geb., 304 S., $ 39,95, ISBN 978-1-4813-0828-1


Es gibt nicht viele Exegeten, die sich kompetent in beiden Testamenten bewegen, und synthetisch und systematisch gesamtbiblische Fragestellungen wohl durchdacht und inspirierend bearbeiten und präsentieren können. Christopher Seitz ist einer der wenigen, dem dies seit Jahrzehnten gelingt. In die Reihe seiner wertvollen Beiträge reiht sich mit dem vorliegenden Buch eines ein, welches vor allem ontologische Aspekte der Gotteslehre vom AT ausgehend betrachtet. Dabei rücken Ausführungen zu den Gottesnamen (ein Schwerpunkt im zweiten Teil; 69–181) und Reflexionen zu Gen 1, Spr 8 sowie Ps 2 und 110 insbesondere im dritten Teil in den Mittelpunkt (183–270). Er kommt zu dem Ergebnis, dass „The Old Testament bespeaks the figure of the triune God under the verbal icon YHWH, with all that that name means. It is the distinctive character of the God of Israel in relation to his people and the world he has made, as disclosed by the oracles of God entrusted to the Jews, that both enables and pressures a Trinitarian grammar and syntax to emerge” (216). Seitz hält die alttestamentliche Rede für so bedeutsam und weitreichend, dass er dem NT eine Lehre von Gott im eigentlichen Sinne abspricht („The New Testament has no doctrine of God properly speaking“, 264). Vielmehr setzt das NT den theologischen Rahmen des ATs voraus. Er navigiert mit seinen Argumentationsgängen dabei durch bisweilen schwer begehbares Gelände. Wer sich auf Seitz einlässt und seine Interessen nur ansatzweise teilt, wird selten enttäuscht.

Im ersten Teil des Buches (13–68) diskutiert er grundlegende Fragen, was das AT als Literatur angeht. Wie kann man dem besonderen Charakter dieser Textsammlung gerecht werden, die einerseits in historischen Partikularitäten verankert ist und doch weit über sich hinausweist? Vielleicht es Zeit für andere Ansätze. „My question is whether we have stayed long enough now with the specifics of the historical sense that it is time to reintroduce a conceptuality capable of thinking creatively about scripture’s ontological referent, YHWH and Elohim, God Almighty and the Logos as his living word in creation, patriarch, law, and prophet” (203). Seitz gebraucht in diesem Zusammenhang den Begriff „Elder Testament“, um irreführende Konnotation wie „outdated“ für das AT und „better“ oder „up to date“ für das NT zu vermeiden (vgl. 125–126). Er will damit vielmehr damit unter anderem den Gedanken festhalten, der für das Denken in der Antike ein großes Gewicht hatte: das „Alte“ wird mit etwas Ursprünglichem („original“) und Bewährtem („time-tested“) verbunden. Das ist ein wertvoller Gedanke, ob sein Vorschlag sich nun durchsetzt oder nicht. Als (post-) moderner Leser wird einem leicht bewusst, wie sehr unser Denken von einer Fortschrittsgläubigkeit und / oder einer Mentalität geprägt ist, dass „neu“ besser ist. Seitz legt damit nicht nur eine Frage auf den Tisch, sondern benennt eine Aufgabe: „Wie kann diese Wertschätzung für „Altes“ mehr Raum in unserem (theologischen) Denken und unserem lebensweltlichen Vollzug von Glaube gewinnen? Das AT spielt dabei für die neutestamentlichen Autoren neben dem Christusereignis offensichtlich eine weichenstellende Rolle. Es ist eine Einladung, das AT verantwortlich (vgl. Seitz‘ „Reader Responseability“, 51) zu lesen. Ein Weg, der sich lohnt, auch wenn er mit manchen Herausforderungen verbunden ist.

Seitz versucht andere, manchmal neue Wege zu gehen, wie er das beispielsweise für die Erläuterungen zu den variierenden Gottesnamen in der Genesis festhält: „My goal is to offer an alternative to the idea that the variation is of no significance, indicates disagreement, or can be attributed to a more abstract idea of single authorial alternation and predilection” (98; vgl. 103). Wer seinen Ausführungen folgt, findet sich deswegen immer wieder in unbekannten Terrain. Das liegt auch an grundlegenden Voraussetzungen wie seiner Aussage zu Inspiration und Kanon: „Inspiration means being given more to say than any single age can comprehend, and canon is the means by which to see all that come true in accordance” (259). Das mag irritieren, wenn man es gewohnt ist, in feststehenden Systemen oder klar zu unterscheidenden Gräben zu denken. Seitz sperrt sich immer wieder einem „Lager“ zugeordnet zu werden. Eine solche Irritation kann aber auch mit der Zeit in den Hintergrund treten und Seitz zu einem wertvollen Gesprächspartner werden lassen, einem Gesprächspartner, dem man nicht immer zustimmen muss, um von ihm lernen zu können. Dabei steht immer wieder die Frage im Raum, ob es nicht mehr (Denk-) Möglichkeiten jenseits der klassischen Fronten gibt. Man bekommt immer eine Ahnung davon, welch weichenstellende Fragen Brevard Childs mit seinem Arbeiten aufgeworfen hat und wie viele kompetente Exegeten er im Laufe der Jahre inspiriert und geprägt hat.

In der Regel unterbrechen nur wenige explizite Verweise auf andere Literatur oder andere Perspektiven Seitz‘ Ausführungen. Auf diese Weise gelingt es, eine gut zu lesende, eingängige und anregende Darstellung von vielen komplexen und vielfältigen Fragestellungen, die zu weiterem Nachdenken und Diskutieren einladen. Ist der Leser mit vielen davon vertraut, kennt auch wichtige Positionen, dann kann bisweilen der Eindruck entstehen, man verliert sich gerade im guten Sinne in ein vertrautes, wohlwollendes und konstruktives Gespräch mit einem kompetenten und lernenden Gegenüber. In solchen Momenten wirkt es auch nicht irritierend, dass Seitz in manchen Passagen vor allem auf eigene Veröffentlichungen verweist. Es ist dann nachvollziehbar, überzeugend und anregend. Schließlich wird damit nicht nur die konstante, lernende Beschäftigung mit vielen der vorliegenden Fragen anschaulich. Es wird daran auch ersichtlich, dass das vorliegende Buch nur einen Ausschnitt aus einer größeren Thematik darstellt, das Ergebnis und der Vollzug einer breit angelegten Fragestellung oder eines Forschungsinteresses ist und im Kontext von anderen Überlegungen verstanden werden will und muss. Die wenigen Stellen, an denen Seitz sich aber auf eine detaillierte Verortung seiner Position im Gespräch mit und in Abgrenzung von anderen Ansätzen explizit einlässt, führen dem Leser aber auch den Verlust vor Augen, der damit einhergeht. Seitz‘ Perspektive und seine Überlegungen gewinnen dort an Kontur, regen zum Gespräch, bisweilen zum Widerspruch, aber auf jeden Fall zum Weiterdenken an.

Das Buch lohnt sich aber nicht nur wegen dieser angenehmen Gesprächsatmosphäre in die Hand zu nehmen. Wer der grundlegenden Überzeugung von Seitz manches abgewinnen kann, wird hier gute Ausführungen finden, wie dies inhaltlich entfaltet werden kann und welche Perspektiven daraus erwachsen. Wer dem etwas distanzierter gegenübersteht, wird einen guten Gesprächspartner finden, der vielleicht nicht immer im strengen Sinne logisch kohärent – aber deswegen nicht weniger konsistent und überzeugend – argumentiert. Er umkreist manche Frage, beleuchtet sie von verschiedenen Seiten, stellt sie in einen größeren Zusammenhang und lässt eine Argumentationskraft erwachsen, die auch einzelnen Zwischenrufen und Widersprüchen standhalten kann. Auf jeden Fall finden Leser eine Fülle von wertvollen, bedenkenswerten und inspirierender Beobachtungen. Das fängt bei dem grundlegenden Gedanken an, dass Altes oder Überliefertes in der Antike viel weniger Rechtfertigungsdruck mit Blick auf Relevanz und Autorität ausgesetzt war, als dies in unserer Zeit der Fall ist. Respekt vor einer Vielzahl an Jahren ist keine Selbstverständlichkeit mehr, wie es zu vielen Zeiten und in vielen Kulturen der Fall ist. Die Lektüre des „Elder Testament“ öffnet damit auch die Tür in einen Raum, dessen Einrichtung Seitz wohl noch nicht vollständig beschrieben hat. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. In der Zwischenzeit können Leser diese Spur schon einmal aufnehmen.


Heiko Wenzel, Ph.D. (Wheaton College), Professor für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen