Hendrik J. Koorevaar, Mart-Jan Paul: The Earth and the Land
Hendrik J. Koorevaar, Mart-Jan Paul: The Earth and the Land. Studies about the Value of the Land of Israel in the Old Testament and Afterwards, Edis 11, Frankfurt: Peter Lang, 2018, Hb., 403 S., € 49,95, ISBN 978-3-631-75062-9
Das Thema Israel und sein Land polarisiert. Der vorliegende englischsprachige Aufsatzband will sich dem Thema aus biblischer Perspektive nähern. Den Ausgangspunkt bildet das Buch Genesis, wo es um die Erde im Allgemeinen und dem Land Kanaan im Besonderen geht und das die Theologie des Landes in nuce zusammenfasst. Im einleitenden Kapitel von Hendrik J. Koorevaar wird das Konzept des Buches vorgestellt. Die wesentlichen Inhalte für den Band wurden an der Evangelische Theologische Faculteit in Leuven/Belgien in mehreren Tagungen entwickelt. Die zugrundeliegende exegetische Methode beruht auf einem speziellen kanonischen Ansatz, der die Makrostruktur des Kanons entsprechend dem Talmudtraktat Baba batra 14b-15a ernst nimmt. Dieser Ansatz wird in folgendem Werk ausführlich dargelegt: Hendrik J. Koorevaar / Mart-Jan Paul: Theologie des Alten Testaments. Die bleibende Botschaft der hebräischen Bibel, Gießen: Brunnen, 2016. Der hier besprochene Band ist im Grunde die exegetisch-theologische Entfaltung der Landes-Thematik dieser alttestamentlichen Theologie. Alle relevanten Bibelstellen sollen dabei zu Wort kommen.
Die folgenden neun Beiträge Kapitel bilden den zweiten Teil unter der Überschrift „Das Land im Alten Testament“. Neun Autoren widmen sich jeweils einem Bibelbuch oder einer Bibelbuchgruppe der hebräischen Bibel: Gen (Koorevaar, 25–64), Ex-Num (Raymond R. Hausoul, 65–95), Dtn (Paul, 97–119), Jos/Ri (Siegbert Riecker, 121–154), Sam/Kön (Herbert H. Klement, 155–176), Propheten (Hetty Lalleman, 177–197), Ps (Julius Steinberg, 199–222), Weisheitsliteratur (W. Creighton Marlowe, 223–248) und Exilszeit (Geert W. Lorein, 249–273). Im dritten Teil finden sich drei Beiträge, die die nach-alttestamentliche Zeit zum Gegenstand haben: Boris Paschke behandelt das Neue Testament (277–304), Heiko Wenzel islamische Perspektiven (305–344) und Kees de Vreugd den zionistischen Staat Israel (345–373). In einem Schlusskapitel der beiden Herausgeber gibt es Zusammenfassung, Folgerungen und Ausblick (377–400). Ein Autorenverzeichnis rundet den Band ab. Bibliografien finden sich sinnvollerweise am Ende jedes Artikels.
Dem Beitrag zur Genesis liegt die Toledot-Struktur des Buches zugrunde. Während in der Urgeschichte Gott als Schöpfer der Erde herausgestellt wird, wird die Vätergeschichte von der Landverheißung an Abraham beherrscht, der zum Segen für die Nationen werden soll. Die Rückkehr ins verheißene Land am Buchende finde eine Parallele in der Rückkehr nach Eden und zum Baum des Lebens. Henoch und Jakob werden als Hinweise auf das Leben auf einer neuen Erde gesehen, auch wenn die Auferstehung von den Toten nicht direkt formuliert wird. Die Bücher Ex, Lev und Num werden als literarische Einheit betrachtet. In zehn Blöcken wird der Inhalt der Bibelabschnitte referiert und jeweils die Relevanz des Landes herausgestellt, das als eines, wenn nicht als das zentrales Thema betrachtet wird. Das Land Kanaan wird als Gottes Eigentum, als Gabe an Israel und als Ort seiner göttlichen Gegenwart beschrieben (86–92). Viele Hinweise sprechen dafür, das Buch Dtn als Ganzes in der Zeit vor der Landnahme zu datieren, was von Bedeutung für die Theologie des Buches sei. Die Landesthematik stehe auch in den ermahnenden und den legislativen Abschnitten zentral. In Dtn sei eine Spannung zwischen Landverheißung und der Verantwortung Israels auszumachen.
Das Buch Jos ist das alttestamentliche Buch zum Thema Land schlechthin. Gott verschaffe seinem Volk die erwartete „Ruhe“ und beziehe Wohnung „inmitten“ seines Volkes. Der Eindruck, dass das Land Kanaan als Erfüllung der Verheißung vollständig erobert worden sei, werde durch das Buch Ri relativiert. Diese Spannung manifestiere sich in einer „Theology of an incomplete conquest“ (128–136). Aber auch die Landesgrenzen stehen in einer Spannung von theologischer Beschreibung und historischer Realisierung (136–142). In Sam und Kön wird die Zeit der Monarchie bis zum Verlust des Landes beschrieben. Die Einführung der Monarchie werde in Sam ambivalent geschildert. Die enge Verbindung zwischen Politik und Gott leide schon unter König Salomo, werde aber durch den fortgesetzten Bundesbruch vollständig zerstört, was in Konsequenz den Untergang von Nord- und Südreich nach sich ziehe.
Die Propheten betonen, dass der Besitz des Landes von Gehorsam und Ungehorsam gegenüber den Gesetzen der Tora abhänge. Götzendienst und soziale Missstände führen zum Verlust des Landes, während die Exilspropheten die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr ins Land und friedliche Zeiten mit Jerusalem als Zentrum mehren. In den Psalmen seien drei Perspektiven wahrnehmbar: eine „deuteronomistische Theologie“ und „Zionstheologie“, die die Bücher Gen-Kön reflektiere, zum anderen eine Bewegung vom Land zur ganzen Welt und schließlich individualisierende und metaphorisierende Tendenzen. Dies wird an einigen konkreten Psalmen exemplarifiziert.
In den Weisheitsbüchern finde sich ein breites Bedeutungsspektrum von „Land“, auch wenn es nicht häufig verwendet werde. Die exilische Zeit wird vor allem anhand der Bücher Jeremia und Daniel geschildert, die auch angesichts des erwarteten Eschatons zu einem Leben im Hier und Jetzt ermutigen.
Im Neuen Testament ist an einige Stellen eine Spiritualisierung des Landes zu verzeichnen, aber nicht an allen Stellen. Die Position von W. D. Davies bringe die Mehrheitsmeinung neutestamentlicher Forscher zum Ausdruck, dass das Land den äußeren Rahmen für den Dienst Jesu bilde, für sich genommen aber nur einen begrenzten Wert habe. Etliche Stellen können aber auch in dem Sinne einer Kontinuität verstanden werden, dass das Land als solches für Juden und Christen seine Bedeutung behalte (Mt 4,25; 5,5; Röm 9,4; 15,8; 2Kor 1,20).
Das Kapitel über die islamischen Perspektiven will den Leser mit den Axiomen und Argumenten islamischer Theologie zum Land vertraut machen. Die Aussagen im Koran, ob das Land den Juden verheißen sei, erlauben keine eindeutige Antwort und werden kontrovers diskutiert. Eine semantische Untersuchung von ’rḍ zeigt das Bedeutungsspektrum im Koran auf (307–312). Mohammeds (globale) Stellung leite sich von Allahs Position als Schöpfer und Richter der Erde ab. Es wird auf die Bedeutung Jerusalems als eine der heiligen muslimischen Städte verwiesen. Schließlich wird die Begründung für die Ideologie der Hamas aufgezeigt. Der christliche Leser sollte nicht die Bedeutung der Sunna als grundlegendes hermeneutisches Prinzip für die Deutung des Koran übersehen.
Ein weiteres Kapitel bietet zunächst einen Überblick über den Ursprung des Zionismus, stellt dann rabbinische Traditionen zum Land dar, zeigt die christliche Unterstützung für die Gründung des Staates Israel auf und endet mit einer theologischen Problematisierung des Staates Israel.
Der Leser wird dankbar sein, eine sachliche und biblisch begründete Theologie des Landes vor Augen gestellt zu bekommen. Jenseits aller Ideologie gelingt es, das gesamte alttestamentliche Zeugnis einerseits in seiner Vielgestaltigkeit und gleichzeitig in seiner durchgehenden Relevanz des Landes abzubilden. Von daher stellt das Werk eine wertvolle Ergänzung zu alttestamentlichen Theologien dar, in denen das Thema Land in der Regel nur knapp und anhand weniger Bibelbücher zur Darstellung kommt. Die kanonische Perspektive hilft, die biblische Botschaft mit ihren eigenen Schwerpunkten und Intentionen zu hören, ohne einer billigen Nacherzählung zu verfallen.
Die drei Kapitel im dritten Teil zum Neuen Testament, Islam und Staat Israel zeichnen sich alle durch eine wohltuende Differenziertheit aus. Hier wird der Leser in die Lage versetzt, andere Positionen nachzuvollziehen und sich selbst ein Urteil zu bilden. Angesichts des polarisierenden Potentials des Themas ist die Lektüre des Buches deshalb ein Gewinn.
Dr. Walter Hilbrands, Dozent für Altes Testament und Dekan an der Freien Theologischen Hochschule Gießen