Altes Testament

Helen Schüngel-Straumann / Klaus Berger: Geist Gottes

Helen Schüngel-Straumann / Klaus Berger: Geist Gottes, Neue Echter-Bibel 12, Würzburg: Echter-Verlag, 2017, 143 S., € 14,40, ISBN 978-3-429-02178-8


Das Buch gliedert sich in zwei – sehr ungleiche – Teile. Den ersten (13–63) verantwortet die katholische Alttestamentlerin Helen Schüngel-Straumann, die aus einer überzeugt feministischen Perspektive schreibt und einen historischen Ansatz wählt. Der zweite (65–130) stammt aus der Feder des Neutestamentlers Klaus Berger, der als katholischer Theologe einen systematischen Ansatz wählt. Ein kurzer „Dialog“ (133–138), in dem jeder Verfasser zu dem Abschnitt des anderen Stellung nimmt, schließt das Werk.

Schüngel-Straumann bietet im ersten Teil „Sprachliche Beobachtungen“ (13–19). Zur Etymologie nimmt sie die Herleitung und Verwandtschaft von ruach und rewach (Weite) an, ohne darauf einzugehen, wie aus dem Langvokal ‚u‘ bei ruach ein Konsonant ‚w‘ bei rewach geworden sei. Den Sitz im Leben des Begriffs vermutet sie in der spezifisch weiblichen Erfahrung der sexuellen Erregung und der Geburt. Doch seien in der nachexilischen Überarbeitung älterer biblischer Texte die spezifisch weiblichen Erfahrungszusammenhänge verdrängt worden.

Im zweiten Teil „Inhaltliche Aussagen“ (20–60) konzentriert sie sich auf Aussagefelder im Bereich der Prophetie, der Schöpfung und der weisheitlichen Literatur.

Die Verfasserin weist darauf hin, dass es im AT zwar sieben bekannte Prophetinnen gab (21), von denen allerdings nie gesagt ist, dass die ruach auf sie kam/fiel. Möglicherweise liege es daran, dass „eine weibliche Kraft mit einer Frau verbunden wird“ (21). – Und was ist mit den Propheten Natan, Ahija, dem Mann Gottes (1Kön 13), ein Prophet (1Kön 20,1), Uria (Jer 26,20) und anderen, von denen auch nie gesagt wird, dass die ruach auf sie kam? Offensichtlich ist der Hinweis auf das feminine Element ein Suchen in der falschen Richtung. Was besagt denn der explizite Hinweis auf ein Kommen des Geistes auf einen Propheten? Doch wohl nicht im exklusiven Sinne, dass das Fehlen der Bemerkung das Fehlen des Geistes sei. Sind analog dazu nur die Propheten/Prophetinnen geistbegabt und berufen, die eine Berufungsgeschichte vorzuweisen haben?

Unter den vorexilischen Propheten werden Elia und Elisa und als Schriftpropheten Amos, Hosea, Jesaja und Micha erwähnt. Schön hebt die Verfasserin hervor, dass „die Geistkraft nicht auf einen einzelnen Propheten/Amtsträger der Gegenwart kommt, sondern in die Zukunft weist.“

In den exilisch-nachexilischen Propheten (bes. Jes 40ff) wird ruach „fast zur Person Gottes selbst, jedoch speziell zu jener Seite Gottes, die der Erde zugewandt ist“ (25). Bei Ezechiel ist ruach „eine Kraft, die weit über das hinausgeht, was das physische Lebendigsein bedingt und auch über das, was der Mensch ethisch mit seinen Kräften leisten kann“ (31).

Unter dem Abschnitt zu ruach-elohim in Gen 1,2 (34ff) argumentiert die Verfasserin überzeugend für die Übersetzung „Geist Gottes“ im Unterschied zu einem Elativ („Gottessturm“ o. ä.). Ruach ist die „als potenziert vorgestellte Schöpferkraft Gottes“ (36).

Nachdenkenswert ist im folgenden Abschnitt zu Ps 104 die Charakterisierung der ruach als „innige Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen unten und oben“ (39).

Im dritten Unterabschnitt („Weisheitliche Literatur“) verkörpert die Weisheit „die Nähe, die Zuwendung Gottes zur Welt und zu den Menschen. So ist die Gestalt der Weisheit […] eine Mittlerin zwischen Gott und Mensch“ (48). Im Folgenden werden zwei deuterokanonische Bücher, Jesus Sirach und Sapientia Salomonis in das Themenfeld ‚Geist und Weisheit‘ einbezogen. Hier wird die sophia geradezu personifiziert. Bei ruach ist laut Zusammenfassung (60–63) erstens der dynamische, lebendig machende Aspekt zu beachten, zweitens der inspirierende, schöpferische Aspekt dieser Geistkraft, drittens die Ganzheit schaffende Wirkung. Ruach „erscheint wie eine Brücke zwischen Himmel und Erde“. Den Übergang von ruach zur dritten Person der Trinität lässt sie sehr im Dunkel der Tradition und Entwicklung bleiben. Erst die lateinische Theologie hat diese Gotteskraft in eine männliche Form gebracht und zu einer Person gemacht, was sie im AT nie gewesen ist. Die Verfasserin vermutet, dass das Aschenputteldasein der dritten Person der Trinität mit der Vernachlässigung der weiblichen Vorstellung zu tun hat. Denn „[wenn man] Gott als Person fassen [will], kommt man nicht darum herum, die Gender-Frage zu stellen.“ (62). Hier ist der (linguistische und systematische) Grundirrtum offensichtlich: Die Verfasserin setzt das grammatische Genus mit der Ontologie gleich. Das führt sie in ein letztlich mythologisches Denken. Gott ist weder männlich noch weiblich, sondern Gott. Moderne Linguistik hat im Blick, dass das Genus nur im kleinen Rahmen zur Unterscheidung des Sexus bei belebten Objekten dient. „In allen bekannten Sprachen ist die Beziehung zwischen grammatischem Genus und ‚natürlichem‘ […] Geschlecht nur in einzelnen Bereichen des Wortschatzes durchsichtig.“ (H. Bussmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, „Genus“). In linguistischer Hinsicht ist das Genus nur ein grammatisch-syntaktisches Koordinierungssystem.

Den zweiten Teil gestaltet Klaus Berger stärker systematisch, indem er von der Zukunftshoffnung Jesu her die urchristlichen Texte über den Geist interpretiert. Das geschieht in über 50 kürzeren Unterabschnitten, vorwiegend zur Gegenwart des Geistes: Der Geist ist unsichtbar und worthaft (74–76), er liegt an der Schwelle zur Wahrnehmbarkeit (77–97) und der unsichtbare Geist zeitigt wahrnehmbare Wirkungen (98–126). Dabei werden überraschend viele Aspekte beleuchtet und der Leser angeregt, über Wirkungen des Heiligen Geistes in der Zeit des NT, der Kirche und in der Zukunft nachzudenken. Die Fülle der kleineren Abschnitte ist der Systematik allerdings etwas abträglich. Ebenso die reiche Zitierung von mittelalterlichen Gebeten aus dem Corpus Orationum. Diese bezeugen zwar die Langzeitwirkung des Geistes in der Liturgiegeschichte, sie überschreiten aber den neutestamentlichen Zeitrahmen.

Das alles schmälert nicht den biblisch-theologischen Gewinn bei der Lektüre, selbst wenn man nicht von der apostolischen Sukzession oder der eucharistischen Wandlung überzeugt ist. Der Leser gewinnt mehr und mehr den Eindruck, dass der Verfasser, wenn er etwa die Trinität erwähnt, von Exorzismen als Heilungen schreibt oder vom schöpferischen Wirken in der Jungfrauengeburt, dieses von einem zustimmenden Standpunkt aus geschieht. Sollte sich der Rezensent darin nicht täuschen, hat hierin bereits der kurze Beitrag eine wohltuende Wirkung erzielt.


Dr. Manfred Dreytza, Walsrode