Helmuth Pehlke: Israel
Helmuth Pehlke: Israel. Daten, Fakten, Hintergründe, um das Heilige Land zu verstehen, Gießen: Brunnen Verlag, 2018, geb., 320 S., € 29,–, ISBN 978-3-7655-4252-7
Ein „Sachbuch zu schreiben, das sich von einem allgemeinen Reiseführer unterscheidet“ (9), und das sich dennoch „als begleitende Lektüre auf einer Israelreise“ oder zum eigenen Bibelstudium eignet (1), war das erklärte Ziel, das der bewährte Alttestamentler Prof. Helmuth Pehlke mit diesem Buch verfolgte. Dies ist ihm gelungen. Ich selbst kenne aus der Erfahrung vieler Israel-Studienreisen und der Begleitung von Reisenden und Pilgern in Jerusalem das vom Autor beschriebene Dilemma, das die meisten aktuellen Israel-Reiseführer nicht von Bibelkennern, sondern von Journalisten oder Reiseexperten verfasst sind und daher oft nur ein geringes Interesse an biblischen Zusammenhängen oder geistlichen Fragen zeigen.
Diese Lücke wird von dem vorliegenden, handlich formatierten, Buch hervorragend gefüllt. Es ist in zwei größere Abschnitte aufgeteilt: Im ersten wird eine kompakte, aber doch detailreiche Übersicht über die Geschichte Israels von den Anfängen bis zur Gegenwart gegeben. Dabei werden zunächst Ausdehnung, Beschaffenheit und Grenzen des Landes in alttestamentlicher Zeit ausführlich anhand biblischer Angaben und außerbiblischer Quellen dargestellt. Die neuere kritische Forschung zu einer „minimalistischen“ Darstellung der Geschichte Israels kommt dabei nicht zur Sprache. Grundlage der Darstellung bildet die Schilderung der biblischen Erzählung, so dass etwa in das „imperialisierte“ Israel unter David und Salomo nicht nur die Küstenebene, sondern auch Edom, Moab, Ammon und Aram „in der einen oder anderen Form eingeschlossen“ waren (21).
Der Schwerpunkt der geschichtlichen Darstellung liegt dann allerdings auf der neutestamentlichen Zeit: So wird das erste Jahrtausend (ca. 1500–350 v. Chr.) auf knapp einer halben Seite zusammengefasst, die hellenistische und hasmonäische Zeit (350–50 v. Chr.) auf zwei Seiten und die römische Zeit (50 v.–70 n. Chr.) auf insgesamt achtzehn Seiten. Bezüge zu neutestamentlichen Texten werden hergestellt, wo es sich anbietet. Auch neuere archäologische Funde, wie etwa die Entdeckung eines monumentalen Grabes am Hang des Herodion bei Bethlehem im Jahr 2007, möglicherweise ein Grabmal für Herodes den Großen, werden in die Darstellung aufgenommen.
Die Darstellung der Geschichte Israels von 70 n. Chr. bis zur Gegenwart wird in einem Gastbeitrag von Prof. Markus Zehnder (Biola University) dargestellt. Dabei sind die wechselnden Phasen christlicher und moslemischer Herrschaft bis ca. 1800 (44–60) für den Israelreisenden vor allem in baugeschichtlicher Hinsicht von Interesse, da viele touristische Monumente immer wieder erkennbare und noch sichtbare Bauphasen aus diesen unterschiedlichen Epochen aufweisen. Die Darstellung ab dem 19. Jahrhundert bis heute (61–101) wird dann noch einmal detailreicher, weil hier bereits viele Weichen für die religiöse und politische Situation der Gegenwart gestellt werden. Die verschiedenen christlichen Konfessionen, die bis heute in Jerusalem das kirchliche Leben prägen, werden deshalb mit ihrer Geschichte und ihren wichtigsten Institutionen kurz vorgestellt (61–67).
Der Versuch, die Geschichte des israelisch-arabischen Konfliktes im 20. Jahrhundert und die Gründung des Staates Israel kurz und kompakt zusammenzufassen, ist immer ein waghalsiges Unternehmen. Nach einigen Jahren, die ich selbst inmitten dieses Konfliktes verbracht habe, und unzähligen Büchern und Artikeln erwarte ich von keinem Autor mehr eine „unabhängige“, „ausgewogene“ oder „sachliche“ Darstellung. Vielmehr gibt es hier zwei (oder mehr) deutlich unterschiedliche Sichtweisen und Darstellungen der geschichtlichen Fakten, die sich jeweils in der Auswahl der erwähnten und unerwähnten Details, sowie in der Verwendung von Signalworten und Vokabeln widerspiegeln. Ich habe mir abgewöhnt, solche Einseitigkeiten zu beklagen, und sehe sie stattdessen als Gewinn. Wie bei jedem Streit, sollte man sich beide Seiten geduldig und aufmerksam anhören und versuchen, sich gerade aus der Gegensätzlichkeit ein Bild zu machen.
Die Darstellung von Markus Zehnder entspricht dabei eher der traditionell israelisch-jüdischen Sichtweise: Die biblische Verwurzelung der zionistischen Bewegung wird ebenso betont wie die lange (und reale!) Geschichte arabischer Judenfeindschaft und antijüdischer Pogrome in Israel. Die Friedenswilligkeit des neugegründeten Staates Israel wird der Aggression der arabischen Nachbarstaaten und Anführer gegenübergestellt. Arabische Gewalttaten werden als „Terrorwellen“ (87) oder „Würgegriff“ (88) bezeichnet, jüdische dagegen eher als „Sabotageakte“ (83) oder „Verteidigung“ (89). Allerdings ist auch von „Terroranschlägen“ jüdischer Gruppen (82) die Rede. Nur mit einem Satz wird angedeutet, was aus arabischer Perspektive als gravierendste Kehrseite der Staatsgründung Israels gilt: „Angesichts der jüdischen Erfolge flohen viele Araber nach Libanon und Syrien“ (88). An die Darstellung der geschichtlichen Ereignisse, die 1948 endet, schließt sich noch ein kurzer Abschnitt über den „religiösen Hintergrund des Nahostkonflikts“ an, in dem die judenfeindlichen Tendenzen in Koran und Hadith ebenso thematisiert werden wie religiöse Judenfeindschaft in heutigen arabischen Schulbüchern. Begriffe wie Dschihad (religiöser Kampf) und Dhimma (Rechtsstatus von Nichtmuslimen im Islam) werden in ihrer Bedeutung für den aktuellen Konflikt erläutert.
Wie bereits gesagt, sollte man aber diese betonte Einseitigkeit der Darstellung nicht als Nachteil ansehen, sondern eher als Gewinn. Denn sie bildet ein erfrischendes Gegengewicht gegen die meist ebenso einseitige, nur von anderer Seite herkommende, Darstellungen in neueren Tourismus-Reiseführern, seien sie für das Segment des Breitentourismus oder für alternativ reisende Rucksacktouristen geschrieben. Viele der hier von Pehlke und Zehnder zusammengestellten Fakten und Informationen wird man in anderen Reiseführern daher vergeblich suchen. Auch damit wird das Buch also dem eingangs formulierten selbstgesteckten Ziel gerecht. Wer andere Stimmen hören möchte, sollte (und kann!) andere Bücher konsultieren.
Im zweiten Teil des Buches, wieder von Helmuth Pehlke verfasst, wird zunächst das Leben im modernen Staat Israel dargestellt, wobei es kurze Einführungen zu Geografie, Bevölkerung, Religionen, den wichtigsten jüdischen Festen und einiger politischer Gruppierungen gibt. Auf Tagesaktualität oder eine Darstellung der aktuellen politischen Konstellationen und Konflikte im Land wird dabei bewusst verzichtet. Diese könnte schon in wenigen Jahren völlig überholt sein.
Der Rest des zweiten Teils widmet sich der ausführlichen Darstellung von 29 ausgewählten Orten, die der Autor für erwähnens- und besuchenswert hält. Dabei handelt es sich teilweise um biblisch bedeutsame Orte wie Bethlehem, Jericho, Kapernaum oder Beersheva, teilweise um archäologisch interessante Orte wie Massada, Arad, Hazor und Megiddo, oder um moderne Touristikziele wie Haifa, Eilat oder das Tote Meer. Dabei wird der Leser jeweils gründlich in die Geschichte des jeweiligen Ortes, in seine biblische und geistliche Bedeutung eingeführt. Hier liegt der besondere Wert dieses Buches, denn Informationen in dieser fachlichen Gründlichkeit, ergänzt durch hochwertige und aktuelle Fotografien, wird man in anderen Reiseführern selten finden. An manchen Stellen hätte man sich noch eine Aktualisierung gewünscht, etwa im Blick auf die umfangreichen neuern Ausgrabungen in Jericho oder Silo. Auch ein Orts- und Namensverzeichnis im Register wäre hilfreich, da die Orte nicht alphabetisch, sondern nach Regionen angeordnet sind. Praktische Reisetipps, wie etwa Öffnungszeiten, Wegbeschreibungen, Verkehrsanbindung o. ä. enthält das Buch nicht. Dafür sollte man einen gewöhnlichen Reiseführer ergänzend zu Rate ziehen.
Der Stadt Jerusalem ist ein besonders ausführliches Kapitel gewidmet, in dem die Geschichte der Stadt noch einmal im Einzelnen dargestellt werden. Hier werden auch der 6-Tage-Krieg von 1967 und der Beginn der zweiten Intifada kurz erwähnt, ohne dass jedoch politische Einzelheiten erörtert werden. Neuere archäologische Funde, die in den letzten Jahren für Aufsehen sorgten (z. B. am unteren Tempelberg, rund um Davidsstadt und Siloah-Teich), sind auch hier noch nicht mit in die Darstellung aufgenommen.
Alles in allem bietet das Buch dicht gedrängte und fachlich wertvolle Informationen zur Geschichte des Landes Israel und zu ausgewählten wichtigen Orten. An manchen Stellen hätte man sich bei einem gerade neu erscheinenden Buch mehr Aktualität gewünscht, zumal dieses Land sowohl politisch als auch archäologisch ständig in Bewegung bleibt. In seiner jetzigen Gestalt bildet es aber eine solide und in seiner Art einzigartige Grundlage für den Besuch des Landes und für eigenes Bibelstudium zu Hause, die bei Bedarf durch tagesaktuelle Informationen aus Zeitungen oder Internet ergänzt werden kann und sollte.
Dr. Guido Baltes unterrichtet Neues Testament am MBS Bibelseminar und ist Lehrbeauftrager für Neues Testament an der Philipps-Universität Marburg und der Evangelischen Hochschule Tabor.