Gene Daniels / Warick Farrah (Hg.): Margins of Islam
Gene Daniels / Warick Farrah (Hg.): Margins of Islam. Ministry in Diverse Muslim Contexts, Littleton: William Carey, 2018, Pb., XIX+220 S., US $ 15,99, ISBN 978-0-87808-066-3
Es gibt „den“ Islam nicht, auch wenn immer wieder vom Islam als einer einheitlichen Größe gesprochen wird. Außerdem hält sich die Überzeugung bei vielen Menschen scheinbar unerschütterlich, dass sich „der“ Islam mit einem bestimmten (aber damit eben auch begrenzten) Zugang erschließt oder man „die“ Muslime versteht. Diese Perspektive hat immer wieder etwas mit der eigenen Geschichte oder Prägung zu tun. In protestantischen Kreisen spielt das „sola scriptura“ eine mehr oder minder große Rolle und da sitzt immer wieder die Überzeugung sehr tief, dass man mit der Lektüre des „einen“ heiligen Textes, im unserem Falle des Korans, bei der Beschäftigung mit einer Religion gut bedient ist. Es ist das besondere Verdienst des vorliegenden Buches, dem Leser einen Einblick in die komplexe Wirklichkeit des Phänomens „Islam“ und der Menschen zu geben, die davon geprägt sind oder dieses mitprägen und gestalten. Der Titel des Buches macht die Vielfalt des Islams sowie die Ränder und auch mögliche Grenzen zum Thema. Das trifft die Sache gut.
Alle Beiträge stellen sich dabei der Herausforderung fünf Aspekte zu behandeln: eine gute Beschreibung ihres Kontextes; eine Untersuchung dessen, was der Kontext mit dem klassischen Islam gemeinsam hat und was nicht; ein Nachdenken darüber, was der jeweilige Kontext für eine Missionsstrategie bedeutet; sowie Fragen zum Nach- und Weiterdenken (xix). Diese strukturelle Gemeinsamkeit, die vergleichbare Länge der einzelnen Kapitel von je ca. 10 Buchseiten und nicht zuletzt die Fragen zum Nach- und Weiterdenken sind eine Einladung, das Buch im Unterricht zu gebrauchen.
Den Herausgebern ist es gelungen für diesen Sammelband eine große Bandbreite an Perspektiven mit den einleitenden Kapiteln, dreizehn Fallstudien und zwei abschließenden bzw. auswertenden Kapiteln zusammenzutragen. In den letzten beiden Kapiteln wird über die Bedeutung für Mission nachgedacht. Eine „adaptive missiology“ stellt sich angemessen auf den Kontext ein und begreift sich als reflektierender Prozess, der bei aller Komplexität nach evangeliumszentrierten Antworten sucht (196). Die Bandbreite der dreizehn Beiträge fordert die Leser heraus, insbesondere wenn man auf der Suche nach verbindenden Elementen ist. Vielleicht gibt es einen Gedanken, der seine Bedeutung in allen Beiträgen implizit entfaltet. Auf jeden Fall hat sich bei mir der Gedanke verfestigt, dass Fragen der Identität und der Zugehörigkeit von zentraler Bedeutung sind, wenn man Muslime verstehen will (egal ob sie nun religiös sind oder ihre Religion nicht praktizieren). Muslim sein bedeutet eben auf grundlegende Weise Teil einer großen Gemeinschaft zu sein, Teil der umma (vgl. xvii–xviii).
Viel wichtiger aber scheint es, dass dieses Buch helfen kann, gute und wichtige Fragen zu identifizieren, um Muslime unterschiedlicher Prägung und Herkunft zu verstehen und das Evangelium angemessen zu kommunizieren. Die Sammlung kann als großartige Horizonterweiterung dienen – wenn dem Leser die Vielfalt des Islams noch nicht vor Augen steht. Sie dient der Vertiefung und ist ein bereichernder Baustein im weiterführenden Hören und Lernen, wenn man bereits ein grundlegendes Wissen mitbringt. Für alle Leser hält der Sammelband immer wieder interessante Beobachtungen, anregende Reflexionen und weichenstellende Fragen parat. Er ist also im besten Sinne ein inspirierendes Buch.
Der Beitrag von Michael A. Kilgore zu einigen Aspekten des Islam in Indonesien ist sehr wertvoll. Ihm gelingt es nicht nur besondere Merkmale herauszuarbeiten, sondern die Vielfalt in Indonesien selbst zur Sprache zu bringen. So bekommen die Leser einen guten Einblick in wichtige Dynamiken im bevölkerungsreichsten islamischen Land unserer Welt. An vielen Stellen werden sehr hilfreiche Fragen aufgeworfen, wenn etwa der Verfasser dieses Beitrages über das Verhältnis von traditionellen Elementen auf Java und islamischen Elementen nachdenkt (112). Wenn traditionelle Elemente dominieren und islamische nur hinzufügt werden, wie kann es gelingen, dass das Evangelium nicht auch nur einfach zu dem Bestehenden hinzufügt wird?
Die Vielfalt des Islam ist immer wieder – explizit und implizit – mit persönlichen Geschichten und einem Einblick in die größere Geschichte von Muslimen im Land verknüpft, wie das der Beitrag von Alan Johnson zu Muslimen in Thailand (159–170) beispielsweise veranschaulicht. Beachtenswert sind auch einige Perspektiven seiner Auswertung. So spricht er von einer steilen Lernkurve, die denen bevorsteht, die Einheimischen zur Seite stehen wollen, wenn sie ihren Weg suchen, wie Nachfolge Jesu in ihrem Kontext gelebt werden will (169). Faszinierend ist auch der kurze Einblick in die „glokale“ Welt der muslimischen Jugend (Arthur Brown; 183–194). Das beginnt bereits bei der Frage, was man in verschiedenen Teilen der islamischen Community als Jugend begreift. Vielfach wird das Ende der Jugendzeit durch die Heirat markiert. Darüber hinaus wird anhand der kurzen Fallbeispiele und der übergreifenden Perspektiven auch die Frage angerissen, was die Zukunft für den Islam bringen mag und mit welchen Fragen diejenigen konfrontiert sind, die in ihrem Alltag Muslimen begegnen.
Die Vielfalt der lokalen Umstände und Dynamiken sowie der damit einhergehenden Perspektiven lädt ein, über grundlegende Fragen von der Bezeugung des Evangeliums auf seine unterschiedlichste Art und Weise und manche Aspekte von Kontextualisierung nachzudenken. Patrick Brittenden zitiert in seiner Beschäftigung mit dem nordafrikanischen Berberkontext den amerikanischen Missiologen Charles Van Engen:
„Contextualization or inculturation is not the goal but rather an epistemological process of seeking to know God in context“ (Kontextualisierung oder Inkulturation ist nicht das Ziel, sondern ein epistemologischer Prozess mit dem Ziel, Gott kontextuell zu kennen, 128, Übersetzung auch im Folgenden HW). Wer unter dem Eindruck dieser Vielfalt und der an vielen Stellen kaum zu übersehenden Widersprüchlichkeit die Frage zulässt, was nun dann „der“ Islam ist und wie man Muslime (theologisch) beschreiben kann, dem mag das Zitat von Kenneth Cragg helfen, das Brittenden seinem Beitrag voranstellt: „A Muslim is what Islam tells them to be and Islam is what a Muslim tells you it is“ (Ein Muslim ist was der Islam sagt, dass sie sein sollen und Islam ist was ein Muslim dir sagt, dass er ist, 119). Genau dort gilt es einzusetzen, um den Menschen gerecht zu werden, mit denen man unterwegs ist (vgl. 200). Warrick Farah spitzt dies zu, wenn er schreibt: „Biblically based ministry in the Islamic world is not about engaging Islam per se, but rather about engaging Muslims“ (Wenn man Menschen in der islamischen Welt im biblischen Sinne dienen möchte, geht es nicht um den Islam an sich, sondern um Muslime, 201).
Wer sich auf dieses Buch und auf die vielfältigen Beiträge einlässt, wird einer bunten, eindrücklichen und herausfordernden Breite und Tiefe begegnen, die zum Nach- und Weiterdenken anregt. Dieses Buch will zeigen, dass „Kontext“ auch in einer globalisierten Wert immer noch von Bedeutung ist (209), sowie eine Aufgabe für das Verstehen von und die Begegnung mit Muslimen darstellt. Vor allem aber ist es eine Einladung, über den Kontext, in dem man selbst steht, nachzudenken, das Arbeitstempo zu verlangsamen und zu entdecken, was Gott schon tut oder tun will (vgl. 219).
Heiko Wenzel, Ph. D. (Wheaton College), Professor für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen