Praktische Theologie

Christiane Moldenhauer: Praktische Theologie der Bibel

Christiane Moldenhauer: Praktische Theologie der Bibel. Exemplarische Felder des Bibelgebrauchs in kirchlich-gemeindlicher Praxis, Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung 25, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018, Pb., XIV+524 S., € 60, –, ISBN 978-3-7887-3216-5


Mit dem vorliegenden, Werk wurde Christiane Moldenhauer 2017 an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald promoviert, wo sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Michael Herbst arbeitete. Seit 2019 ist sie als Pfarrerin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz tätig.

Ausgangspunkt ihrer Praktischen Theologie der Bibel ist die Beobachtung, dass von Seiten der Kirchen der Bibel eigentlich zwar eine Mittelpunktstellung für das kirchliche Handeln zugedacht wird, dies aber im praktischen Vollzug nicht eindeutig zu erkennen ist (1). Diese Diskrepanz führt Moldenhauer zu dem Anliegen, „die ‚Mittelpunktstellung‘ der Bibel […] im praktisch-theologischen Horizont neu zu reflektieren und zur Geltung zu bringen sowie für den Gebrauch der Bibel in Kirche und Gemeinde fruchtbar zu machen“ (10). Dieses doppelte Anliegen spiegelt sich auch im Aufbau des Werkes wider.

In einem ersten Hauptteil legt Moldenhauer das theologische Fundament, indem sie die „Grundlinien eines evangelischen Schriftverständnisses in praktisch-theologischer Perspektive“ darstellt und reflektiert (15–145). In umsichtiger und ausführlicher Weise begründet sie zunächst unter Rückgriff auf Luther ihren Standpunkt, dass Theologie nicht „ohne Bezug zum biblischen Wort zu denken ist“ (23), und stellt dann in einem kirchengeschichtlichen Überblick die Geschichte des evangelischen Schriftverständnisses dar. Die weiteren Kapitel dieses ersten Hauptteils sind hermeneutischen und dogmatischen Überlegungen gewidmet, die den Leser umfassend in die Fachliteratur einführen und differenziert die verschiedenen Aspekte der Bedeutung der Bibel sowohl für die persönliche Spiritualität wie auch für die gemeindliche Praxis beleuchten.

Im zweiten Hauptteil, der mit 341 Seiten den größten Teil des Buches ausmacht, geht es Moldenhauer um den praktischen Umgang mit der Bibel in verschiedenen Teilgebieten der Praktischen Theologie. Die Auswahl der Bereiche fällt exemplarisch auf Spiritualität, Liturgik, (Gemeinde-)Pädagogik und Medientheologie. Jedes dieser Kapitel kann in sich als eine eigenständige Zusammenfassung „praktisch-theologischer Konkretionen gelesen werden“ (151) und liefert dem Leser eine detaillierte Darstellung des jeweiligen Feldes, wobei sich die Recherchen in erster Linie auf Literatur aus dem deutschsprachigen Raum erstrecken und vornehmlich die landeskirchliche Praxis in den Blick nehmen.

In Abschnitt A: „Evangelische Spiritualität als Bibelspiritualität“ (153–252) wird das Lesen der Bibel „als eine wesentliche Grundform christlicher Spiritualität entfaltet, welche es zu üben gilt“ (155). Diesen Standpunkt belegt sie anhand verschiedener Theologen, die evangelische Spiritualität eng mit einer Bibelspiritualität verbinden (wie Dietrich Bonhoeffer, Manfred Seitz, Gerhard Ruhbach oder auch Richard Foster und John Ortberg). Danach stellt sie die wenigen vorhandenen Befunde empirischer Untersuchungen zum Thema Bibelspiritualität in Deutschland dar und zieht die Schlussfolgerung: „Dass dieses Verständnis von (Bibel-)Spiritualität nun allerdings in der Praxis nur begrenzt Verwirklichung findet, ist folglich theologisch nicht beliebig (248).“

In Abschnitt B untersucht Moldenhauer den Umgang mit der Bibel im Gottesdienst. Ihr Ziel ist dabei, herauszufinden „wie der Umgang mit der Bibel im Gottesdienst die Bibelspiritualität Einzelner wie auch der Gemeinde fördern kann (251).“ Nach einer theoretischen Grundlegung untersucht sie die Perikopenordnung des Evangelischen Gottesdienstbuches (268–304) und gibt Vorschläge zur möglichen Weiterentwicklung (305–320). Dass Moldenhauer konkret an einer möglichst weitreichenden Wirkung der Bibel im Gottesdienst gelegen ist, machen ihre Anmerkungen zur konkreten Gestaltung biblischer Lesungen im Gottesdienst deutlich (321–346). Auch wenn hier vornehmlich der landeskirchliche Kontext reflektiert wird, liefern diese doch auch für den freikirchlichen Gottesdienst hilfreiche Einsichten.

In der dritten praktisch-theologischen Konkretion (C) werden von Moldenhauer verschiedene Bibelkurse für Erwachsene analysiert und bewertet („Stuttgarter Bibelkurs“, „Expedition zum ICH“, „Lebensthemen. Grundkurs biblische Theologie“, „Emmaus – auf dem Weg des Glaubens“, „e100. Entdecke 100“ und die Online Ressource www.die-bibel.de/) sowie neun verschiedene Glaubensgrundkurse auf das Vorkommen des Themas „Bibel“ hin untersucht (349–423). Während in den letzten Jahren Glaubenskurse in der Gemeindepraxis aber auch in der praktisch-theologischen Auseinandersetzung verstärkt Beachtung erfahren haben, ist dies für Bibelkurse nicht der Fall, was für Moldenhauer „angesichts des theologischen Ideals von mündigen im biblischen Wort gegründeten und einen lebendigen Umgang mit der Bibel pflegenden Christinnen und Christen (351)“ eine Diskrepanz darstellt. Sie versucht mit ihrer Darstellung eine Lücke in der bisherigen Diskussion zu schließen. Als Herausforderung sieht sie u. a., bestehende Materialien an die Mediengewohnheiten der Menschen heute anzupassen und aufzubereiten (422).

In der vierten Konkretion (D) geht es Moldenhauer um „Überlegungen zur medialen Gestalt des biblischen Wortes“ (428–485) und sie weist damit auf den grundlegenden medialen Wandel hin, der sich gegenwärtig vollzieht. Auch dieses Kapitel liefert sorgsame theologische Erwägungen, die den Leser in die Diskussion einführen und auf bestehende Herausforderungen aufmerksam machen, wie z. B. die Veränderung des Leseverhaltens durch die zunehmende Digitalisierung (460–466). Offen bleibt für den Leser in diesem Kapitel die Frage, warum der BasisBibel als „Bibelübersetzung für das Zeitalter der digitalen Medien“ einzig ein Abschnitt gewidmet wird (467–476), und nicht z. B. auch der BibleApp YouVersion, verschiedenen Bibelverfilmungen oder Bibelübersetzungen.

Möchte man eine Kritik an diesem insgesamt fundierten und sorgfältig recherchierten Werk äußern, dann vielleicht am ehesten diese, dass die Gründe für Auswahl der besprochenen Felder für den Leser nicht immer zu erkennen sind und ein ausführliches Schlusskapitel fehlt. Insgesamt besticht diese Arbeit durch gründliches Zusammentragen auch entlegener Quellen zu diesem Thema und differenzierten Beurteilungen. Geht man davon aus, dass jede Erneuerungsbewegung der Kirche untrennbar mit einer Hinwendung zur Bibel verbunden ist, so ist das vorliegende Werk gerade in heutiger säkularer Zeit von großer Relevanz. Es wäre wünschenswert, dass es trotz seiner hohen Seitenzahl, der ausführlichen theologischen Darstellungen und des Preises, doch von einer breiten Leserschaft aufgenommen wird und dazu beiträgt, die Bibel zu einer (neuen) Mittelpunktstellung innerhalb der kirchlichen Praxis zu führen.


Judith Hildebrandt, M. Th., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, FTH Gießen