Praktische Theologie

Dietrich Korsch / Johannes Schilling (Hg.): Heilige Sprachen?

Dietrich Korsch / Johannes Schilling (Hg.): Heilige Sprachen? Zur Debatte um die Sprachen der Bibel im Studium der Theologie, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2019, Pb., 136 S., € 18,–, ISBN 978-3-374-05935-5


Zu den Standardaussagen beim Gespräch mit kirchlichen Prüfungs­ausschussmitgliedern gehörte zumindest bis zur Jahrtausendwende das humanistische Argument „ad fontes“, zurück zu den Quellen, damit wurde die Bedeutung der alten Sprachen für das Studium der Theologie verteidigt. Der allseitig gebildete Gelehrte, der in Humboldtscher Tradition selbstständig das antike Erbe adaptiert und den Quellenbezug von Bibelübersetzungen und theologischen Aussagen kritisch am Urtext überprüfen kann, war die Zielvorstellung auch der theologischen Ausbildung. Mit den drei klassischen Sprachen wurde im Studium der Theologie nachgeholt und vervollständigt, was den Abiturienten an humanistischer gymnasialer Tradition fehlte.

„Auf die alten Sprachen verzichten?“, fragte dagegen ein Beitrag mit Pro und Contra von Christian Huth (pro) und Ulrich Kronenberg (contra) in Idea-Spektrum (H. 24, 13.6.2019, S. 15). Sollten Studierende die Sprachen nicht besser freiwillig lernen, oder sollte man ihr Studium nicht besser gleich ganz aufgeben? Das mutmaßlich nur in der älteren Kirchengeschichte und Dogmatik relevante Latein würde dann als erstes gestrichen. Die hebräische Sprache des selten gepredigten Alten Testaments hätte in den zeitlich verkürzten Bachelor-Kursen keinen Platz mehr, und von Griechisch würde nur die neutestamentliche Koine übrigbleiben.

Neue Entwicklungen bahnen sich indes schon an: Der Masterstudiengang Evangelische Theologie (M. A.), den es seit 2015 an der Universität Heidelberg gibt, verlangt unter dem Thema „Studienvoraussetzungen“ das Hebraicum und „Griechischkenntnisse“ (Griechisch I). – Das Modulhandbuch des Studiengangs Master of Theology (M. Th.) der Universität Marburg informiert unter Modul 2.1: „Das Modul führt in die hebräische und die griechische Sprache und in die historisch-kritischen Methoden der Exegese ein.“ Als Qualifikationsziel soll erreicht werden: „Die Studierenden können leichte neutestamentliche Texte im Original übersetzen und hebräische Texte mit Hilfsmitteln so weit philologisch durchdringen, dass alttestamentliche Fachliteratur verstanden und deutsche Übersetzungen kritisch reflektiert werden können.“

Es wäre sinnvoll, wenn die laufende Diskussion und Veränderung der Lehrpläne das Ergebnis hätte, dass an allen Studienorten Deutschlands in gleicher Weise geltende Standards für Pfarramts- und Lehramtsstudierende definiert würden.

Allen Fragestellungen rund um das Problem der „alten Sprachen“ widmet sich das von Dietrich Korsch und Johannes Schilling herausgegeben Buch, das auf ein Gespräch eines informellen Kreises von Wissenschaftlern verschiedener Universitäten mit Vertretern von Kirchenleitungen zurückgeht (8).

Die Sprachen seien quasi als „Heiliges“ im Studium der Theologie bisher überwiegend von Studienreformen verschont geblieben, betonen die Herausgeber im Vorwort (5). Der Grund dafür sei in der „immer noch überwiegend-historischen Ausrichtung der Theologie an der Universität nach dem Muster der Geisteswissenschaften“ zu suchen (6). Da die theologischen Fächer zusammenhängen, sei als die eigene Aufgabe der Theologie „die religiöse Kommunikation in der Gegenwart zu begreifen und eine konstruktiv-kritische Funktion für die Kirchen wahrzunehmen.“ (6f), denn „Sprache und Geschichte gehören unter dem Aspekt der Genese wie der gegenwärtigen Verantwortung des Christentums zusammen.“ (7). So plädieren die Herausgeber für eine vernünftige und sachgerechte Einrichtung des Spracherwerbs in der Theologenausbildung (8).

Dass man darunter in den vergangenen Jahrhunderten Verschiedenes verstehen konnte, zeigt der Beitrag des Kirchenhistorikers Johannes Schilling aus Kiel (11–34). Er schlägt einen weiten Bogen vom Humanismus Reuchlins über Erasmus und Melanchthon hin zu Luther, für den der Sprachenerwerb mit der evangelischen Gewissheit und der Auslegung des Urtextes der Schrift als gewisser, sicherer Grundlage des Glaubens zusammenhängt (18–22). Der oft zitierte Satz von den Sprachen als „den Scheiden darin dies Messer des Geists steckt“ findet sich in Luthers Schrift an die Ratsherren von 1524 (WA 15, 38, 8f) und nicht im „Sendbrief vom Dolmetschen“, wie oft fälschlich behauptet wird.

Jakob Andreä, jesuitische Theologen, Johann Hülsemann, J. J. Spener und die Pietisten, die verstärkt an den Bibelsprachen interessiert sind, der aufgeklärte J. A. Nösselt, Schleiermacher, Herder und andere sind Zeugen für die bleibende Bedeutung des Sprachenstudiums für die Theologie als Wissenschaft und für die Spannung in der Frage nach dem Ziel theologischer Ausbildung: Gelehrter oder Prediger zum Heil? (33).

Der Marburger Systematiker Dietrich Korsch stellt das Sprachenproblem ausgehend von Lessings Kritik am transzendenten Ursprungs der Bibel in der altprotestantischen Theologie (36) dar (35–52). Korsch versteht Sprache als ein Netz von Sinngefügen, das die Welt symbolisch repräsentiert (39). Der religiöse Gehalt bzw. ihre religiöse Funktion gehört zur Sprache selbst (38, 52).

Martin Arneth unterrichtet Hebräisch und Altes Testament in München (53–81). Er betont die Wissenschaftlichkeit der Theologie, die im Umgang mit historischem Material Quellenautopsie voraussetze (70). Kenntnis der Quellensprache ist für Arneth eine notwendige, aber nicht allein hinreichende Bedingung für ein eigenständiges Urteil (71). Lektüre der griechisch verfassten Septuaginta als Bibel der Alten Kirche sei deshalb keine Lösung (74). Schließlich plädiert der Autor dafür, das einsemestrige Hebräischstudium bzw. das Erlernen im Ferienkurs beizubehalten (80). – In einem weiteren Essay (83–93) setzt sich Ulrike Rosin, Dozentin für Griechisch in Marburg, für eine solide Kenntnis von Sprache, Literatur und Kultur, die über das Neue Testament hinausgeht, ein (89f). Diese „befähigen erst zum reflektierten Übersetzen griechischsprachiger Texte“ (89).

Der Greifswalder Neutestamentler Christfried Böttrich stellt als mögliche Lösung der Diskussion um Sprachenlernen ein neues dreistufiges Modell von Grund-, Aufbau- und Vertiefungskurs vor, das besser zum modularen Studieren passt (95–112, hier 105f). Für Masterstudiengänge hält Böttrich den Grundkurs in Hebräisch und Griechisch für angemessen (108f). Das bisherige Erlernen der alten Sprachen am Anfang des Studiums werde oft als „verkappter numerus clausus“ empfunden (97). Zutreffend beobachtet er die gegenwärtige Lage: „Wir bewahren eine hohe Eingangsschwelle im Spracherwerb, kürzen hinter dieser Schwelle jedoch vieles zusammen“ (101) Die Abiturergänzungsprüfung solle nicht die einzige Form der Altsprachen-Aneignung bleiben (105). – Schließlich erörtert der Marburger Praktische Theologe Bernhard Dressler die Altsprachenkenntnisse der Religionslehrer, bei denen die Anforderungen nicht überall gleich seien (113–131). Dressler schlägt vor, die Griechischausbildung für Gymnasiallehrer auf das Neue Testament zu beschränken, dafür aber Hebräisch obligatorisch zu machen (130).

Die Beiträge des Bandes geben einen guten Überblick über die gegenwärtigen Reformbemühungen in der altsprachlichen Ausbildung. Zahlreiche Literaturhinweise in den Anmerkungen des Buchs zur Reform des Theologiestudiums seit der Reformation, aber besonders in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, belegen die Kenntnisse der Beitragenden. Die Beiträge sind der Reformation verpflichtet, indem sie die Notwendigkeit von – zumindest grundlegenden – Hebräisch- und Griechischkenntnissen betonen. Gerade diese sollten für Studierende von theologischen Masterstudiengängen nicht zu knapp bemessen sein, weil sie in der Regel nicht auf historische oder altphilologische vorangegangene Bachelorabschlüsse aufbauen können. Nach den theologischen Examina kann nur auf Freiwilligkeit in der pastoralen Arbeit mit den alten Sprachen gesetzt werden. Wer bis dahin aus dem Umgang mit den Sprachen keinen Habitus gemacht hat, wird in der Praxis kaum adäquat tiefergehende Fragen z. B. in Bibelstunden oder im Schulunterricht beantworten können.


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein