Loren T. Stuckenbruck / Beth Langstaff / Michael Tilly (Hrsg.): „Make Disciples of All Nations“
Loren T. Stuckenbruck / Beth Langstaff / Michael Tilly (Hrsg.): „Make Disciples of All Nations“: The Appeal and Authority of Christian Faith in Hellenistic-Roman Times, WUNT II/482, Tübingen: Mohr Siebeck, 2019, kart.,VI+223 S., € 89,–, ISBN 978-3-16-156016-3
Die zehn Beiträge des vorliegenden Sammelbands gehen auf ein Symposium im Jahr 2014 an der Universität Tübingen zurück. Ziel der Beiträge ist es, den Hintergrund, den Kontext und die Bedeutung der urchristlichen Mission zu skizzieren. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Faktoren, die die Verbreitung der Jesus-Bewegung in der antiken Welt behindert oder motiviert haben zusammen mit deren hermeneutischen Implikationen. Die Herausgeber beginnen mit einer knappen, zweisprachigen Einleitung und Vorstellung der Beiträge („Introduction and Foreword“, 1–5), „Einleitung und Vorwort“ (7–11).
In „‚The Children of the Earth‘ and ‚Peoples‘ in Jewish Apocalyptic Expectation: A Conversation with the Gospel of Matthew“ (13–35) zeigt Loren T. Stuckenbruck die Vorgeschichte des Missionsbefehls Jesu in der nach dem Exil und im Frühjudentum weiter verbreiteten apokalyptischen Vorstellung einer universellen Erlösung, in der die Völker der Erde eine wichtige Rolle auf dem Höhepunkt des Wirkens Gottes in und durch Israel spielen (7). Daher gehört der Missionsbefehl zum heilsgeschichtlichen Rahmen, der tief in der frühjüdischen Tradition verwurzelt war. Der Autor untersucht die Vorkommen der Völker im Matthäusevangelium, die Sicht heidnischer Völker im AT und die Menschheit als Ganzes in der frühen Henochtradition. Stuckenbruck schließt: „Matthew’s story of Jesus does not so much move away from Judaism as it reconfigures older Jewish apocalyptic tradition to make sense of the definitive way God is believed to have acted in and through Jesus of Nazareth in very recent time“ (35).
Günter Stemberger skizziert in seinem Beitrag „Schüler und Jünger im rabbinischen Judentum“ (37–50) das Verhältnis von Jüngerschaft und Mission, radikale Jüngerschaft im Rabbinat, die Ausweitung der rabbinischen Bewegung sowie spätere Individualisierung und Domestizierung des Erlernens der Tora. Stemberger zeigt, dass der Auftrag Jesu, die Völker zu Jüngern zu machen (ein Begriff, der auch in der rabbinischen Literatur zu finden ist), einen restriktiven sozialreligiösen Kontext widerspiegelt, der vom Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern geprägt ist.
Von Desta Heliso stammt der Beitrag, „A Nation and the Nations: An Understanding of Mission and Authority in Matthew 28:18–20 in the Light of Ethiopian Christian Traditions“ (51–73). Heliso zeigt, dass die urchristliche Motivation zu Mission ethnische und kulturelle Grenzen religiöser Identität transzendierte, ja diese sogar grundsätzlich in Frage stellte. Sie trat für ein Verständnis Gottes ein, der die Menschheit in ihrer Gesamtheit liebt und mit ihr in den Dialog tritt (8).
Rainer Riesner („Die Mission des Paulus: Territorialität, Universalität und Heilsgeschichte“, 75–92) beleuchtet das universalisierende Wesen der Botschaft des Paulus. Er fragt nach einer jüdischen Mission vor und neben Paulus, nach röm. Territorialität als Motiv paulinischer Mission und einem möglichen universalen Horizont der paulinischen Mission. Nach Darstellung der Gründe für den universalen Missionshorizont des Paulus zeigt Riesner, dass die Überzeugung, in der Zeit der messianischen Erfüllung zu leben, Paulus und andere urchristliche Missionare entscheidend motiviert hat: „Die von den Propheten angekündigte Rettung für Israel und die Nationen ist bereits durch Jesus Christus verwirklicht und muss nun ‚bis an die Enden der Erde‘ ausgerufen werden. Es ist diese Präsenz der Eschatologie in der Verkündigung des Evangeliums, die dem jungen messianischen Glauben eine Dynamik verlieh, die in einer Vielzahl von Kontexten in der antiken Welt anziehend war“ (9). Diese Universalität hat zur Attraktivität des neuen messianischen Glaubens wesentlich beigetragen.
Hans-Joachim Eckstein beschreibt „Die glaubensweckende Bezeugung des Evangeliums nach Paulus: τὸ εὐαγγέλιον εὐανγγελίζεσθαι“ (93–119). Er betont die umfassende Initiative Gottes in der Missionstheologie des Paulus. Für Juden und Heiden ist der Glaube ein göttliches Geschenk. Daher ist Glaube für Paulus weniger eine kognitive Begründung oder die Zustimmung zu bestimmten Glaubensinhalten, sondern das Vertrauen auf Gott/Christus, eben eine relationale Beziehung, die zu einer umfassenden Transformation der Glaubenden führt.
Korinna Zamfir („Eusebeia, Soteria and Civic Loyalty in the Pastoral Epistles“,121–141) beleuchtet die Vorstellung von Frömmigkeit, Heil und sozialem Respekt in den Pastoralbriefen von ihren Gegenstücken in der hell.-röm. Welt her. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der mit dem röm. Kaiserkult verbundenen Ideologie. Nach Zamfir wurden die Pastoralbriefe im Gegensatz zu anderen ntl. Büchern nicht als Kritik und Gegenprogramm zur soziopolitischen und religiösen Welt ihrer Zeit geschrieben, da sie Respekt vor einer bürgerlichen Ordnung bezeugen und für ein friedliches Leben in diesen Ordnungen plädieren. Dieses Verhalten, das Analogien zu röm. imperialer Ideologie aufweist, steht aber unter dem Vorzeichen, dass Heil allein von Gott kommt. Die sich anpassende Position der Pastoralbriefe dürfte für manche Zeitgenossen attraktiver gewesen sein als der Protest, der bei anderen frühchristlichen Autoren anklingt. Sie schließt: „It is difficult to know how far did integration go in practice, but we have no reason to doubt that a good number of Christ-believers continued to feel comfortable about their city and its religious life. Since political power was given by God, Christians continued to display eusebeia/pietas toward authorities, including the emperor, during the subsequent centuries“ (141). Daraus folgert sie: „We should therefore beware of taking the prescriptive-exclusivist discourse of other New Testament authors at face value, imagining Christians as uniformly opposed to the empire and its religious life, and persecuted for their opposition“.
Der Aufsatz von P. F. Penner, „Missionale Hermeneutik als Praxisgrundlage frühchristlicher Jüngerschaft: Lukas 24,44–49“ (143–156) bietet Auszüge aus dessen Monografie Missionale Hermeneutik – Biblische Texte kontextuell und relevant lesen (Cuxhaven: Neufeld, 2012).
Gert Steyn („Κύριος Ἰησοῦς as Mantra for Miracles: Acts 19:11–20“, 157–172) untersucht die Autorität, die in der Apostelgeschichte mit dem Titel Herr Jesus verbunden ist. Steyn zeigt, dass das Jünger-Machen in der Apostelgeschichte eng mit dem „Namen des Herrn Jesus“ verbunden ist. Dies zeigt sich im Wirken der Apostel, wenn sie etwa Zeichen und Wunder im Namen des Herrn Jesus vollbringen, die zur Bekehrung der Zeugen dieser Wunder führen. Der Name des Herrn Jesus hat Autorität und Macht. Menschen, die dieser innewohnenden Kraft begegnen, werden dazu geführt, die Göttlichkeit Jesu anzuerkennen und zu bekennen. Daher werden die Zeugen dieses Wirkens in Apg 19 von der Macht der Magie zur Macht des Herrn Jesus bekehrt. Zur Funktion des Abschnitts schreibt Steyn:
The narrative of Acts 19:11–20 thus becomes a rhetorical device to make disciples of those who were involved in magical beliefs and practices. The practice of using magical names (voces magicae) and including that of Jesus as a magical formula should be renounced. The name of the κύριος ’Ιησοῦς is considered to be a divine name on the same level as that of Yahweh. … The instruction „You shall not misuse τὸ ὄνομα κυρίου τοῦ θεοῦ“ (Deut 5:11) applies mutatis mutandis on the τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ. In fact, it was indeed God himself who made this Jesus κύριος (Acts 2:36)!
Hermann Lichtenberger („Das Spottkruzifix vom Palatin und die Inattraktivität des Christentums in der hellenistisch-römischen Welt“, 173–188) beleuchtet die Fakten, die der Verbreitung des christlichen Glaubens im römischen Reich im Wege standen. Lichtenberger untersucht das frühe Christentum im Urteil der hell.-röm. Welt, das wiederum in seiner Selbstdarstellung auf diese Verachtung reagiert. Dazu gehören mehrere Graffiti und Karikaturen, die den neuen Glauben und seine Anhänger verunglimpften. „Dazu gehören eine Darstellung des christlichen Glaubens (neben dem Judentum) als ‚Aberglauben‘ und nicht als ‚Religion‘, der gekreuzigte Jesus als Esel (der auch Assoziation des christlichen Glaubens mit dem Judentum aufgreift). Der Gegensatz zwischen hell.-röm. Schönheitsidealen und christlichen Vorstellungen, der sich in Darstellungen von paganen Gottheiten und der Darstellung eines blutigen und nackten Jesus am Kreuz zeigt, Verbote, sich zu treffen (Asozialität, verbotene Zusammenkünfte und Mähler) und die Verbindung von Christen mit Gottlosigkeit, Hass auf andere und soziale Instabilität und die allgemeine Abneigung der antiken Gesellschaft gegenüber den Christen. Nicht nur bei den antiken Historikern ist die Ablehnung des Christentums evident und Programm. Sie zeigt sich auch in der sich bei diesen Autoren spiegelnden Volksmeinung, nach der der christliche Glaube ohne jedes Ansehen ist, da er gegen alle religiösen und gesellschaftlichen Normen verstößt (186). Abschließend beantwortet er die Frage, warum das Christentum angesichts dieser Lage überlebt und sich ausgebreitet hat:
Der Historiker würde hier auf die soziale Funktion hinweisen, die das frühe Christentum in der antiken Welt auszeichnete: Gemeinschaft aller mit allen, ohne Ansehen des Standes (Sklave, Freier, Freigelassener, römischer Bürger etc.), die Offenheit und Öffentlichkeit der Verkündigung, eine Botschaft für alle, und gewiss auch bestimmte historische Bedingungen. Theologisch müsste man anders argumentieren, so etwa mit Paulus, Gal 4,4: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn …“. Man müsste wohl auch von providentia Dei sprechen, und sich dessen bewusst sein, dass das Christentum unter denkbar schlechten Voraussetzungen in die Welt trat (188).
Im Aufsatz „Monastic Movement as a Driving Force in Syriac Christian Missions along the Ancient Silk Road“ (189–198) skizziert Li Tang die Verbreitung der frühen syrisch geprägten monastischen Bewegung, die von der Gründung von Klöstern bestimmt war, analysiert Beschreibungen monastischen Lebens und verschiedene Übersetzungsprojekte (syrische Liturgie in einheimische Sprachen), die mit Klöstern verbunden waren und Missionsbestrebungen und deren teilweise beachtlichen Erfolge bis weit nach China. Ferner beschreibt Tang das kulturelle und religiöse Umfeld für die Ausbreitung der syrischen monastischen Bewegung bis in den Fernen Osten. Tang schließt:
Syriac monasticism became prevalent in Mesopotamia and Persia during the first five centuries. As this tradition moved eastwards, Syriac monks also employed a missionary strategy that adapted to local culture and environment. Adaptation, inculturation and contextualization were the methods used by East Syrian missionaries, most of them monks and bishops. They learned the local languages, translated Syriac works and liturgy into local tongues, and engaged in dialogues with rulers and other religious communities. In times of trial, they were ready to die as martyrs. Syriac monks were the main actors in these activities and Syriac monasticism was one of the driving forces in Christian mission along the Silk Road (198).
Bei interessanten Einsichten und Beobachtungen im Detail werden die in der Einleitung treffend zusammengefassten Tendenzen in der neueren Forschung zur urchristlichen Mission und die daraus entfalteten Thesen und Forschungsaufträge (8–9) leider nicht konsequent aufgegriffen und systematisch entfaltet. Darin hätte der Band unter dem halben Dutzend neuerer Sammelbände zur urchristlichen Mission ein klares eigenes Profil gewinnen können, vgl. etwa R. Hvalvik / D. E. Aune (Hg.), The Church and Its Mission in the New Testament and Early Christianity: In Memory of Professor Hans Kvalbein, WUNT 404, Tübingen: Mohr Siebeck, 2018, und C. K. Rothschild / J. Schröter (Hg.), The Rise and Expansion of Christianity in the First Three Centuries of the Common Era, WUNT 301, Tübingen: Mohr Siebeck, 2013.
Prof. Dr. Christoph Stenschke, Dozent der Biblisch-Theologischen Akademie, University of South Africa, Pretoria