Systematische Theologie

Jürgen Moltmann: Auferstanden in das ewige Leben

Jürgen Moltmann: Auferstanden in das ewige Leben. Über das Sterben und Erwachen einer lebendigen Seele, Gütersloh: Gütersloher, 2020, geb., 110 S., € 12,–, ISBN 978-3-579-06602-8

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Laut Verlagswerbung soll das vorliegende Taschenbuch des fünfundneunzigjährigen Theologen Lebensermutigung angesichts der Wirklichkeit des Todes vermitteln, Trost für alle, die sich mit Sterben und Tod befassen müssen und persönliche Erfahrung und Hoffnungen des bekannten Theologen aufzeigen. – Wer Jürgen Moltmann aus seinen Vorlesungen kennt und seine Bücher gelesen hat, findet manches, was ihm bekannt ist, trotz einer theologischen Retractatio (57f). Die Freude am Umformulieren klassischer theologischer Termini und an der Findung neuer Ausdrucksweisen ist dem Autor geblieben. Prägend ist auch der durchgehend starke Bezug auf den Tod seiner Frau Elisabeth Moltmann-Wendel.

Im Vorwort verweist der Vf. darauf, dass er schon mehrfach über das Thema geschrieben habe, doch „seit meine Frau Elisabeth 2016 gestorben ist, hat sich meine Perspektive verändert, ist das Thema für mich auch ein persönliches Problem geworden. Ich musste es darum noch einmal neu theologisch durchdenken“ (7). Das Ergebnis soll als „ars resurgendi“ „Eine Bereitung zur Auferstehung in die Fülle des Lebens, das wir das ewige Leben nennen“ sein: „Die ars moriendi können wir nur einmal üben, die ars resurgendi aber in unserem ganzen gelebten Leben. Jeder neue Anfang ist eine ‚Auferstehung‘“ (ebd.). Moltmann will damit Trost und Hoffnung stiften und Gewissheit in Trauergottesdiensten.

Am Anfang des theologischen Traktats stehen zwei Fragen: „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“ und „Ewiges Leben – Wonach fragen wir?“ Moltmann unterscheidet das erlebbare Sterben vom Tod, „den wir nur an anderen Menschen, die wir lieben, erfahren“ (9). Anstatt von „ewigem Leben“ will er besser von „ewiger Lebendigkeit“ sprechen (11f), denn: „Aus der Freude am geliebten und gelebten Leben fragen wir nach der ‚Fülle des Lebens‘ und nennen sie ‚ewiges Leben‘“ (11).

Die Auferstehung Jesu Christi (15–39) nimmt ihren Ausgang in der gekreuzigten Hoffnung der Jünger und im gestörten Weltvertrauen, ihrem namenlosen Entsetzen am Grab (15, 17). Durch die Begegnung mit dem Auferstandenen erschließt sich den Jüngern die neue Wirklichkeit der Auferstehung Jesu Christi, die keine Reanimation war (21–24). In der Überwindung des Todes liegt „die Kraft des Protestes gegen die gottlosen Mächte und Gewalten, die tödlich sind für die Menschheit und die Erde“ (26).

Jesu Gottverlassenheit am Kreuz bedeutet, dass er bei uns ist in unserer umfassenden Gottlosigkeit und Gottverlassenheit und sein Tod daher nicht nur als „Strafe für schlechte Taten“ verstanden werden soll (30f). Das Reich Gottes ist „das Heil der Erde und der Erdgemeinschaft alles Lebendigen“, es kommt von Gottes Welt in unsere menschliche, irdische Welt (33).

Moltmann geht davon aus, dass der nachösterliche Glaubensmut der Gruppe von Jüngern in Jerusalem nur aus ihrem Erleben begründet werden kann: „Die einzige Antwort, die mir einleuchtet, war ihre Überzeugung von der Auferstehung Jesu und von ihrer eigenen Auferstehung mit ihm“ (38). – Hier hätte man fragen können, inwiefern die vorausgegangenen Leidensweissagungen Jesu zum neuen Verständnis der eigenen Situation der Jünger beigetragen haben.

Moltmanns Vorstellung von „Unserer Auferweckung in der Todesstunde“ (41–59) ist von dem Grundgedanken geprägt, dass die Auferstehung mit dem Tod und nicht erst bei den Gräbern der Verstorbenen beginnt. Schon bei der Beerdigung soll man wissen, „dass die Seele des Verstorbenen schon auferweckt und erwacht ist“ (42). Somit fällt die Todesstunde mit dem „jüngsten Tag“ und dem „jüngsten Gericht“ als eine Art Akt der Selbsterkenntnis zusammen. „Das ‚besondere Gericht‘ ist die individuelle ‚Vorwegnahme‘ des Großen Weltgerichtes. Der Mensch wird nach seinem Sterben mit der ganzen Wahrheit seines Lebens konfrontiert und zu seinem eigenen Richter gemacht“ (49). Die Person wird durch Annahme und Heilung durch Gott und Christus zur Vollendung gebracht (50f). Nach dem Sterben beginnt das ewige Leben, wenn auch nicht als Vollendung, aber als Verheißung auf die Zukunft (57f).

Vom Sterben und Erwachen einer lebendigen Seele will Moltmann nicht in Begriffen des biblischen dualen Weltbilds wie „Himmel und Erde“ sprechen (61–91), denn: „Im Reich Gottes durchdringen sich der Himmel und die Erde. In der Freude Gottes berührt uns die Erde und öffnet sich der Himmel für uns. Der Himmel wird irdisch und die Erde wird ‚himmlisch‘“ (64). Nicht eine duale Existenz von Seele und Körper prägt die Anthropologie, sondern das Verständnis der Seele als Prinzip der Lebendigkeit (70). „Die ‚Seele‘ als die Ganzheit einer Lebensgestalt und Lebensgeschichte wird in der Gottesumgebung am Leben erhalten“ (84).

Das Buch endet mit einer theologischen Meditation über Licht und Finsternis (93–107). Das Licht des Lebens (94) steht der Finsternis des Todes (98) entgegen. Von „ewigem Tod“ wird nur als „denkbare Möglichkeit des Rückzuges Gottes von seiner Schöpfung“ gesprochen (100). Letztlich auf den Neuplatonismus zurück geht Moltmanns Annahme, dass das Reich der Finsternis ohne Substanz sei und nur in der Negation des Guten, des Lichts und des Lebens existiere (ebd.). In der Auferstehung strahlt das unerschaffene Licht in der Mitte der Finsternis und vertreibt sie, „bis wir ganz im Lichte stehen“ (107). Der Verfasser belegt seine Ausführungen mehrfach mit ausgesucht starken Zitaten aus Kirchenliedern, von Dietrich Bonhoeffer, Hermann Hesse, Marie Luise Kaschnitz und anderen. Konservative, sich bibeltreu verstehende Theologie hätte wohl lieber gesehen, dass die zahlreichen relevanten Bibelstellen umfassender berücksichtigt und diskutiert werden würden. Dann hätte sich inhaltlich manches anders dargestellt. Moltmanns Stärke bleibt auch in dieser Schrift sein kontinuierlicher Bezug auf gesellschaftliche Probleme und theologische Zeitströmungen der Gegenwart. Darin ist er sogar manchen jüngeren Kollegen noch heute voraus.


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein