Systematische Theologie

Veronika Schmidt: Endlich gleich!

Veronika Schmidt: Endlich gleich! Warum Gott schon immer mit Männern und Frauen rechnet, Holzgerlingen: SCM, 2019, geb., 254 S., € 18,99, ISBN 978-3-7751-5952-4

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„Endlich gleich!“ – was steckt hinter diesem provokanten Titel? Dass alle Deutschen vor dem Gesetz gleich sind, wissen wir. Und dass Mann und Frau in körperlicher und seelischer Hinsicht sehr verschieden sein können, ist eine physiologische und psychologische Binsenweisheit wie auch ein Stück Lebenserfahrung. Von diesem Unterschied leben Verlagswesen und Buchhandel, aber auch politische Bewegungen, die „Gerechtigkeit“ suchen.

Welches Ziel hat diese Veröffentlichung also; in welcher Hinsicht sind Menschen in diesem Land nicht gleich, werden womöglich sogar ungleich, ungerecht behandelt, so dass sie „endlich gleichgestellt werden müssen“? – Das Buch definiert sich mit der Überschrift, bei Revolutionen sei nicht „bitte“ zu sagen, als Streitschrift zu „Geschlechterrollen in der konservativen Gemeindewelt“ (15). Dabei geht sie von den Themen „Gott, Macht und Sexualität“ aus (3, unpaginiert). Hier wird der Leser vermutlich zunächst an die zahlenmäßig größten konservativen Gemeindewelten denken, die römisch-katholischen und die orthodoxen Kirchen. In diesen ist vielleicht die intensivste Diskussion nötig, siehe Maria 2.0! Doch offensichtlich soll die engagiert geschriebene Publikation nur das konservative freikirchlich-pietistische Milieu auf den Weg der Frauenbefreiung bringen.

Ausgangspunkt der Autorin ist ihre beratende Tätigkeit, in der aus ihrer Sicht „unakzeptable“ Rollenbilder artikuliert werden (17). Gottes Ziel mit Mann und Frau sei jedoch „bedingungslos gleichgestellte Partnerschaft“ (21) – Nun ist schon der „Rollen“-Begriff für das Mann- und Frausein bzw. Vater- und Muttersein in biblischer Perspektive eher problematisch. Der Begriff „Rolle“ stammt etymologisch aus der Theatersprache (Grimm, DWb 14,1137). Es ist ein Unterschied, ob ich Vater bin oder auf der Bühne eine Vaterrolle einnehme. Juristisch gesehen ist es etwas anderes, ob ich als Busfahrer durch leichtsinnige Fahrweise andere Menschen zu Schaden bringe, oder ob ich die Rolle des Busfahrers im Theater spiele. Hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem: Die Verfasserin beherrscht in ihrer Beratungspraxis das therapeutische Fachvokabular und berät kompetent ihre Klienten. In der Theologie hingegen zeigt die Lektüre empfindliche Lücken auf.

Es wäre müßig, dem Inhaltsverzeichnis des Buchs entlangzugehen und kritisch Einzelheiten zu erörtern. Inhaltliche Grundaussagen kehren in allen Teilen wieder und werden mal hier, mal da stärker vertieft.

Die erste Schwierigkeit der Veröffentlichung ist methodischer Art. Die Verfasserin lässt keine Differenzierung biblisch-theologischer, historischer, psychologischer, soziologischer und weiterer Zugänge erkennen. Sie „belegt“ eine biblische Aussage mit einer naturwissenschaftlichen Erkenntnis, kritisiert Bibelstellen von modern-soziologischer Warte aus usf. Dabei zitiert sie ebenso wenig differenziert liberale und konservative Theologen, Schriftsteller, Psychotherapeuten und Politiker, gespickt mit eigenen biographischen Erfahrungen (74f). Der theologische Primat der Heiligen Schrift als Maßstab für Lehre und Leben der Kirche wird nicht deutlich, auch wenn die Autorin an einer Stelle für die Irrtumslosigkeit der Bibel plädiert (140). Insgesamt wirkt die Art der Bibelverwendung eher illustrativ als konstitutiv. 1Tim 2,11–15 wird in seinem biblischen Zusammenhang mit den grundlegenden Aussagen über Schöpfung und Fall aller Menschen nicht ernstgenommen (65–81). Dafür wird in klassisch liberaler Manier Gal 3,28 auf die Ämterfrage bezogen (z. B. 126), die Paulus im Zusammenhang dieser Stelle aber nicht diskutiert. Wer das „Haupt“-Sein des Mannes in Eph 5,23.28f nicht von der christologischen Analogie der Liebe Christi zur Gemeinde her liest, sondern in das Schema „Patriarchat“ einordnet, hat die Größe dieser Aussage wohl kaum verstanden bzw. verstehen wollen. Spätestens wenn Aussagen fallen wie „Jesus möchte starke Frauen“ und „Jesus kann gar nicht anders, als Feminist zu sein“ (87, 91), wird der Ruf nach einer Fortschreibung der Leben-Jesu-Forschung laut. Stärker kann man nicht seine eigenen zeitgeistigen Voraussetzungen in einen biblischen Text hineinlesen. Drastische Rhetorik mag heute zwar hier und da als notwendig erscheinen, um in der Menge an Literatur überhaupt noch wahrgenommen zu werden, kann eine biblisch-theologische Argumentation aber dennoch nicht ersetzen.

Das zweite Problem der Publikation ist sein konstitutiv einbezogener biographischer Ausgangspunkt (z. B. 30f, 34, 141, 171f, 180, zur Kritik des Zehnten 197f). Negative Lebenserfahrungen und erschütternde Lebensführungen von Christen, denen sie in ihrer therapeutischen Praxis begegnet (z. B. 109f), verbinden sich bei der Verfasserin zu einer leider auch emotional aufgeladenen Polemik gegen evangelische Kreise, in denen Glaube und Christsein nicht so zeitgenössisch gelebt werden, wie sie selber es für richtig hält und praktiziert. Eine solche Argumentation übergeht den alten, wenn auch in seiner Herkunft nicht belegten Grundsatz abusus non tollit usum, sed confirmat substantiam („Missbrauch hebt den richtigen Gebrauch nicht auf, sondern bestätigt das Wesen“). An vielen Stellen argumentiert die Verfasserin vom Abusus männlicher „patriarchaler“ Vorrangstellung und Macht aus und sieht andererseits die „Rettung“ darin, das Christentum zu modernisieren. Das Historische wird fast ausschließlich im Spiegel der Probleme gesehen, die das Christentum – in weitestem Sinne verstanden – hervorgebracht hat. Die erstrebte Transformation dagegen glänzt im Licht der positiven Effekte, die man von ihr erwartet, wobei deren Schwächen übersehen werden.

Diese Strategie holt für den freikirchlich-pietistischen Raum nach, was in den westlichen evangelischen Kirchen in den letzten 200 Jahren seit Schleiermacher, aber besonders seit den 1960er Jahren geschehen ist und noch geschieht. Die alleinige biblische Basis kirchlichen Handelns wird damit jedoch nicht wiedergewonnen. Schmidt sieht offensichtlich keinen Ermessensspielraum dafür, dass Gemeinden und Kirchen in Amts-, Ordnungs- und Leitungsfragen aufgrund der Bibel unterschiedliche Entscheidungen treffen und auch noch heute dabei bleiben wollen, weil sie deren Biblizität und auch das Gute, nicht nur Problemfälle ihrer Positionen sehen. An die Stelle der von Schmidt problematisierten, weil durch Verfehlungen fragwürdig gewordenen Leitungsstrukturen setzt sie eine Art Lehramt der Humanwissenschaften. Damit wird das klassische Problem des Verhältnisses von Hl. Schrift und Tradition, Gotteswort und Menschenmeinung berührt, welches bereits in der Augustinus zugeschriebenen Aussage auf den Punkt gebracht wird: „In ecclesia non valet: Hoc ego dico, hoc tu dicis, hoc ille dicit, sed: Haec dicit Dominus“ („In der Kirche gilt nicht: Dies sage ich, dies sagst du, dies sagt jener, sondern: So spricht der Herr“).

Die Hauptschwierigkeit der Abhandlung liegt allerdings darin, dass sie die Geschichte im Sinn des feministischen Paradigmas überwiegend als Historie der Fehler von Männern und Diskriminierung von Frauen deutet und die problematischen geistesgeschichtlichen Hintergründe des Feminismus in allen seinen Schattierungen nicht sieht oder nicht benennt. (Carl R. Trueman hat in The Rise and Triumph of the Modern Self. Cultural Amnesia, Expressive Individualism, and the Road to Sexual Revolution, Wheaton: Crossway, 2020, diese Geschichte aufgearbeitet). Das zeigt sich u. a. an den nicht sehr klaren Voten zu den Fragen von Abtreibung und Ehescheidung (182f, 188f). Kirchengeschichtliche Fakten werden im Buch gelegentlich positiv rezipiert, wenn sie durch den Filter „starke Frauen“ passen (mittelalterliche Klosterkultur und Frauenbewegung seit Beginn des 19. Jh.). Dabei wird die historische Hochschätzung von Eva (trotz des Sündenfalls!) und Maria (als „Gottesmutter“) allerdings nicht genannt. Die Beauftragung von Frauen im Kontext der Heiligungsbewegung und ihrer Glaubensmissionen (Hudson Taylor u. a.) wird überwiegend positiv gesehen, obwohl deren fragwürdige eschatologische Motivation (drängende Naherwartung) hier in die Überlegungen mit einbezogen werden müsste.

Das Problem des heutigen Mannseins bestimmt Schmidt mit der soziologischen Kategorie des „Systems“ gesellschaftlicher und kirchlich-gemeindlicher Strukturen (37), nicht aber – wie es eine biblische Anthropologie verlangen würde – in der Sünde und kontinuierlichen Anfechtbarkeit durch den Teufel. Zustimmend zitiert Schmidt: Feminismus ist ein Kampf „gegen Zwänge und für mehr freie, eigene Entscheidungen …  ,Was für ein Mensch willst du sein?‘“ (98). Das ist durchaus nachvollziehbar im Sinne des berühmten Diktums von Immanuel Kant zur Aufklärung. Dennoch wäre aus theologischer Sicht die biblische Grundlage der vernünftigen Bemühung vorzuordnen. Wer das Buch zur Seite legt, sollte nach Meinung des Rezensenten anschließend zum Vergleich eine biblisch-theologische Abhandlung zur christlichen Sexualethik lesen, zum Beispiel das im gleichen Verlag erschienene Werk des Gießener Neutestamentlers Joel White Was sich Gott dabei gedacht hat (2021). Schmidts Veröffentlichung macht deutlich, dass heute dringender denn je zwei Dinge geklärt werden müssen: Wenn ein junges christliches Paar heiraten will, muss es angesichts potentieller Konflikte durch verschiedene Ehemodelle vorher einig geworden sein, welche Art der Partnerschaft in Arbeit und Familie beide nach der Hochzeit verwirklicht sehen wollen. Und: Gemeinden müssen heute klarer denn je den Gemeindegliedern und nach außen kommunizieren, welche Leitungsstrukturen sie haben und welche sie ablehnen.


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein