Raanan Eichler: The Ark and the Cherubim
Raanan Eichler: The Ark and the Cherubim,FAT 146, Tübingen: Mohr Siebeck, 2021, Ln., XV+391 S., € 134,–, ISBN 978-3-16-155432-2
Bei der vorzustellenden Monografie des in Israel (Bar-Ilan Universität, Ramat Gan) lehrenden Verfassers handelt es sich um die Überarbeitung einer an der Hebräischen Universität in Jerusalem 2015 unter Baruch Schwartz geschriebenen Dissertation (PhD). In ihr geht es um die „(Bundes-)Lade“ und die mit dieser verbundenen Keruben. Die beiden Leitfragen sind: 1. Welche Form und Funktion haben diese Gegenstände gemäß den biblischen Autoren? 2. Welche Beziehungen ergeben sich zu vergleichbaren Objekten des Alten Orients?
Die verwendete Methodik lässt sich als materialgeschichtlich charakterisieren (Eichler selbst bezeichnet seine Studie als „evidence-oriented“). Unter breitem Einbezug der Forschungsgeschichte (inklusive rabbinischer Quellen) wird eine detailgenaue Auswertung der biblischen Belege vorgelegt. Darüber hinaus werden im Sinne visueller Vergleiche eine Vielzahl an archäologischen Grabungs- und Fundgegenständen dokumentiert (Abbildungen) und in die formale und funktionale Bestimmung einbezogen. Literarhistorische Fragestellungen und damit Theorien zur Entstehung des Pentateuchs (und weiterer Schriften) werden vermieden bzw. die Ergebnisse offengehalten für unterschiedliche Einordnungen. Inhaltlich widmen sich die ersten sechs Kapitel der Lade (ארון), eines ihrer Deckplatte (כפרת) als Ort der Sühnung und fünf den Keruben (כרבים). Dem gut erschlossenen Band sind neben der Bibliografie eine große Zahl von Abbildungen (schwarz-weiß, einige farbig) sowie Stellen-, Namen- und Sachregister beigegeben.
In den Kapiteln zur Lade wird diese zunächst insgesamt (mit ihren Bezeichnungen) behandelt. Anschließend werden Details zu ihrer äußeren Gestalt, ihrem Tragwerk, ihrem Inhalt und ihrer Funktion erörtert. Am häufigsten (mehr als 25-mal) findet die Lade in den Büchern Samuel, Chronik, Josua und Exodus Erwähnung (keine Belege in Weisheitsschriften, selten in den Prophetenbüchern und im Psalter). Der aus Akazienholz gefertigte und mit Gold überzogene Behälter hat die Form einer Truhe („chest“) mit den Ausmaßen (Länge/Breite/Höhe) ca. 125 × 75 × 75 cm. Sie hat vier Füße und an den schmaleren Unterseiten vier goldene Ringe, in denen einziehbare Tragstangen angebracht sind. Es handelt sich um das wichtigste kultische Objekt im alten Israel, stellt aber keinen Modell- oder Miniaturtempel dar. Was die Gestalt angeht, hat sie erstaunliche ägyptische Parallelen, insbesondere unter den Grabfunden des Pharaos Tutanchamun (14. Jh. v. Chr.). In der Lade befanden sich allein (1Kön 8,9) die beiden Steintafeln mit dem Dekalog als Bundesurkunde (nach Hebr 9,4 waren zudem ein Krug mit Manna und der grünende Stab Aarons in, gemäß Ex 16,33f bzw. Num 17,25 jedoch vor der Lade). Sprechen dtn (beeinflusste) Texte von der Lade des „Bundes“ (ברית), so priesterliche vom „Zeugnis“ (עדות). Für Behälter mit inschriftlichen Steintafeln werden altorientalische Belege angeführt. Bei der nur in priesterlichen Texten bezeugten Deckplatte handelt es sich um eine dünne, rechteckige Goldplatte (mit denselben Maßen wie die Lade). Auf ihr und zugleich mit ihr verbunden befinden sich auf den beiden schmalen Seiten zwei stehende, humanoide Gestalten mit Flügeln (anstelle der Arme). Ihre Gesichter sind einander zugewandt, und die leicht erhobenen, ausgestreckten Flügel sind ebenfalls aufeinander hin orientiert. Die Annahme von theriomorphen Wesen (Sphinxen u. a.) wird abgewiesen. Im salomonischen Tempel befindet sich ein weiteres Kerubenpaar (vgl. 1Kön 6,23ff). Derartige (himmlische) Wesen erscheinen in der Bibel erstmals nach der Vertreibung des Menschenpaars aus dem Garten Eden (Gen 3,24). Unter Beizug targumischer Texte sowie der Umvokalisierung von hi zu qal und der Interpretation von את als Präposition liest Eichler וישכן … את־הכרבים „He settled … with the cherubim“ (215, Kursivsetzung RE). JHWH verlässt Eden ebenfalls und lagert sich in dessen Osten, um zusammen mit den Keruben den Eingang zu bewachen. Die Keruben haben ihren Ort ansonsten in Theophanien. Dabei spielt das Verständnis von 2Sam 22,1 // Ps 18,11 eine besondere Rolle: „Er ritt/fuhr auf einem Keruben …“ Eichler hält die Vorstellung von JHWH als reitend auf einem Cherub für einen „scribal error“ und emendiert zu: „He rode on a cloud and flew / He swooped in on the wings of the wind“ (195, Kursivsetzung RE). Das gemeinhin als „Kerubenthroner“ übersetzte Epitheton (7-mal im AT) bezeichnet ein Wohnen unter („among“) Keruben. Dies entspricht der Vorstellung der beiden Lade-Keruben. Ihre Flügel beschützen Lade und Deckplatte und markieren die göttliche Präsenz. JHWH wohnt im Raum unter bzw. zwischen ihnen; diese formen allerdings keinen Gottesthron.
Mit der in der Stiftshütte, später im salomonischen Tempel befindlichen Lade verbindet sich die anikonische Präsenz Gottes. Ein JHWH repräsentierendes Kultbild befand sich nie in oder bei der Lade. Ein solcher „empty-space aniconism“ ist ohne Parallele im Alten Orient. Die häufig vertretene Vorstellung der Lade als Thron(sitz) oder Fußschemel wird von Eichler in Abrede gestellt; vielmehr sei die Gottesthron-Vorstellung mit dem Zionstempel als Ganzem bzw. dem Tempelberg (oder dem Himmel) verbunden. „Thus, the focus of the cultic system endorsed by the Bible is not an empty throne, but an empty frame, formed by the wings of the cherubim, together with their bodies and the כפרת (in the priestly account) or with the walls and floor in the cella (in Kings and Chronicles).“ (305, Kursivsetzung RE).
Die Monografie bietet eine detaillierte Darstellung der biblischen Aussagen zum wichtigsten Gegenstand im alten Israel, der mit der Präsenz JHWHs verbunden ist. Dabei ergibt sich in den verschiedenen Textstrata ein recht einheitliches Bild von Lade, Sühnedeckel und Keruben. Die Vergleiche mit ägyptischen Gegenständen (v. a. Sarkophage) sind weithin erhellend. Eichler geht von der „Realität“ einer solchen Lade aus und nimmt entsprechend alle ihre Details ernst. Darin liegt die Stärke der Studie. Denn wird die Lade nicht als „Realie“, sondern im Licht ihrer Überlieferungen untersucht und als (fiktive) Retroprojektion beurteilt, werden die materialen Dimensionen weniger in den Blick genommen. Diskussionsbedarf ergibt sich hinsichtlich der Funktion der Lade, insbesondere betreffend der von Eichler bestrittenen Gottesthronvorstellung. Die Annahme von Gottes Wohnen/Thronen (Partizip) unter/zwischen den Keruben überzeugt; die Änderung zum „Reiten/Fahren“ auf einer Wolke (statt einem Keruben) ist von der Parallelzeile her naheliegend, allerdings mit einer Textemendation in 2Sam 22,11 // Ps 18,11 erkauft. Es stellt sich gleichwohl die Frage – nicht zuletzt aufgrund vieler Psalmenaussagen –, wie königstheologische Vorstellungen und Aussagen von Gottesbegegnung und -schauung zu denken sind und woran diese „haften“. Ergibt sich ein Bezug von der Lade zum „Schauen des Angesichts JHWHs“ im Rahmen einer Thronaudienz vor dem Königsgott? (vgl. F. Hartenstein, Das Angesicht JHWHs, FAT 55, Tübingen 2008, unter besonderer Beachtung von Ps 27). Mit Lade und Keruben verbinden sich Gottes Machterweis, sein Lichtglanz sowie Zuflucht und Rettung/Gericht, wie u. a. Aussagen asaphitischer Psalmen (levitische Ladeträger?) anzeigen (vgl. Ps 80,2f, auch Ps 50,1–3; 81,2–6, ferner Ps 78,60f und der in diesem Psalm anklingende Ladeverlust, dazu 1Sam 4). Schließlich hätte ich gerne noch etwas über Ort und Funktion der zur Seite (מצד, vgl. auch 1Sam 6,8) der Lade gelegten Tora-Rolle (Dtn 31,26 – die letzte Lade-Erwähnung im Pentateuch!) gehört. Insgesamt: Eine gute Studie, die Beachtung verdient.
Beat Weber, Pfr. Dr. theol., Basel; Research Associate am Department of Ancient and Modern Languages and Cultures, Universität Pretoria, Südafrika