Eberhard Bons (Hg.): Historical and Theological Lexicon of the Septuagint
Eberhard Bons (Hg.): Historical and Theological Lexicon of the Septuagint. Volume I: Alpha – Gamma, Tübingen: Mohr Siebeck, 2020, Ln., CLXIII+1980 Sp., € 289,–, ISBN 978-3-16-161289-3
Das Historical and Theological Lexicon of the Septuagint (HTLS) ist ein Meilenstein. Als erster Teil einer auf vier Bände angelegten Reihe schließt es eine lange schmerzlich empfundene Lücke für die Erforschung des Antiken Judentums hinsichtlich seines Hauptdokuments, der Übertragung und Erweiterung der Hebräischen Bibel (HB) – besser bekannt als die Septuaginta (LXX). Seit der intensiven Beschäftigung mit den Schriften vom Toten Meer ergab sich ein immer klareres Bild hinsichtlich der Andersartigkeit der LXX gegenüber dem Bestand des Masoretischen Textes (MT). Bei genauerer Lektüre wird schnell klar, dass die Übersetzer der LXX deutlich größere Freiheit in ihrer Arbeit empfanden, die Hebräische Bibel in eine neue Zeit zu übertragen. In diesem Zuge hat die Erforschung der Septuaginta als eigenständigem Dokument mit eigenständigen Akzenten und gar einer eigenständigen Theologie in den letzten Jahrzehnten nicht nur zu einigen kritischen Übersetzungen der Septuaginta ins Französische (La Bible d’Alexandrie, 1986–), ins Englische (The New English Translation of the Septuagint, 2007) und ins Deutsche (Septuaginta Deutsch, 2009) geführt. Auch die monografische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der LXX als Bindeglied zwischen der HB und dem NT hat beträchtlich an Fahrt aufgenommen. Doch für all diese Dinge fehlte bisher das geeignete Lexikon zum (wichtigsten) Lexembestand der LXX.
Dieser erste Band deckt nun alle wichtigen Lemmata der Anfangsbuchstaben Alpha bis Gamma, also der ersten drei griechischen Buchstaben ab. Dabei bietet dieses Lexikon – wie der Name bereits sagt – weit mehr als einen ausführlicheren Wörterbucheintrag. Jedes Lemma, das das Herausgeberteam um Eberhard Bons (Straßburg) als (mehr oder weniger) spezifischen Sinn in der LXX tragend betrachtet und damit in dieses Lexikon aufgenommen hat, wird nach sechs Unterpunkten analysiert: (I) Zunächst wird dem Gebrauch des Wortes in der klassischen und hellenistischen Profangräzität Rechnung getragen. (II) Sodann wird entsprechend der Erkenntnis, dass das Griechisch der LXX überwiegend weder so recht klassisches Griechisch noch wirkliches hellenistisches Koine-Griechisch widerspiegelt, der Benutzung des jeweiligen Lemmas in den griechischen Inschriften und Papyri nachgegangen. Diese literarische Art ist wohl die nächste Parallele zum LXX-Griechisch. (III) Nach diesen beiden Vorarbeiten erhält nun sachgemäßer Weise die Verwendung des Lemmas in der Septuaginta an dritter Stelle den größten Raum, wobei hier wiederum nach drei Untergliederungen vorgegangen wird: (III.1) Statistical observations, (III.2) Hebrew equivalents, (III.3) LXX use. (IV) Daraufhin werden etwaige Gebräuche im Antiken Judentum außerhalb der LXX analysiert, bevor dann der Fokus (V) auf das Neue Testament und (VI) die frühchristliche, außerkanonische Literatur verwiesen wird. Den Abschluss macht eine kurze Listung der wichtigsten Bibliografieeinträge.
Damit wird auf wenigen Spalten ein Gebrauchsüberblick pro Lemma erarbeitet, der oftmals gut 500 Jahre überblickt. In dieser Funktion steht es neben anderen wichtigen Nachschlagewerken wie dem ThWAT und dem ThWQ, beide freilich mit einer anderen Zielsetzung. Das ThWNT wird durch dieses Lexikon in mancher Hinsicht sogar übertroffen, natürlich ganz abgesehen von seinem Fokus auf das NT. Zunächst ist zu sagen: Offensichtlich bietet das HTLS fast 90 Jahre nach der Veröffentlichung des 1. Bandes des ThWNT zu Alpha bis Gamma (1933) an vielen Stellen modernere, oftmals sogar schlicht korrektere Forschungsergebnisse. Man vergleiche nur einmal die Einträge zu ἀνίστημι / ἀνάστασις in beiden Werken. Selbstverständlich ist auch die Bibliografie auf dem neusten Stand – im Falle von ἀνάστασις sogar in angemessener Breite. Dazu kommt die Betrachtung der Papyri und Inschriften, die größtenteils zur Zeit des ThWNT noch gar nicht recht vorlagen. Die größte Unterscheidung jedoch dürfte die Vorsicht sein, in der manche neugewonnene Differenziertheit bis hin zur Unklarheit gegenüber einem historischen und methodischen Positivismus jener Tage erarbeitet wird. Dabei fällt auf, dass – anders als in ThWNT – zwischen LXX und „Judentum“ differenziert wird, dazu sind oftmals mehrere Autoren an einem Artikel beteiligt. Dies, besonders in Verquickung mit einem hochkarätig international angelegten und transdisziplinär vertretenen Advisory Boards, führt zu einem Mehraugenprinzip, das in seiner theologischen wie auch sonstigen Aussageintention ausgeglichen bleibt. Daher ist auch die Veröffentlichung auf Englisch nur konsequent und richtig.
Formal ist – wie gewohnt aus dem Hause Mohr Siebeck – die Bindung, der Satz und der Druck hervorragend. Es steht auch eine PDF-Version zur Verfügung, auf die viele Studierende und Forschende wohl durch einen Schibboleth-Zugang kostenfrei zugreifen können werden. In ferner Zukunft wäre wohl eine preisgünstigere Studienausgabe oder gar Open-Access eine wünschenswerte Erweiterung.
Was bereits aus Otto Michels Dissertation (Paulus und seine Bibel) im Jahre 1929 als Desiderat zu erkennen war, wird mit dieser Reihe nun in der nötigen Breite und Tiefe entfaltet. Es ist für jeden, der sich ernsthaft mit der Denk- und Sprachwelt des Antiken Judentums befassen möchte, ein anwenderfreundliches, philologisch wie theologisch vorzügliches Lexikon, das hoffentlich in Bälde um weitere Bände anwachsen wird.
Magnus Rabel, M.Th., Doktorand bei Prof. Dr. Jörg Frey am Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Zürich