Historische Theologie

Herrnhuter Wörterbuch. Kleines Lexikon von brüderischen Begriffen

Herrnhuter Wörterbuch. Kleines Lexikon von brüderischen Begriffen, erw. u. überarb. Ausgabe, hg. von Paul Peucker, Herrnhut: Unitätsarchiv, 2023, Pb., 133 S., € 12,90, ISBN 978-3-945933-30-5


Der Wortschatz des deutschen Pietismus von August Langen (Tübingen: Niemeyer, 1954, 2. Aufl. 1968, XLVIII+526 S.) ist ein unverzichtbares Arbeitsinstrument für alle, die sich mit Texten vom Ende des 17. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts beschäftigen. Aus dem Bereich der Brüdergemeine hat Langen Gesangbücher ausgewertet, außerdem von Zinzendorf die „Teutschen Gedichte“, Tagebücher 1716–1719, die zweiunddreißig „Gemein-Reden“ 1744–1746 und „Die ältesten Berichte über sein Leben, seine Unternehmungen und Herrnhuts Entstehen“ (s. Langen, 489).

„Wir haben es in Europa so weit gebracht, dass wir eine ganz neue Sprache haben“, zitiert Herausgeber Peucker am Anfang seines Vorworts zur ersten Ausgabe im Jahr 2000 den Reichsgrafen von Zinzendorf (Z. in Philadelphia, 29.12.1742, Büdingische Sammlung III, 245) Dieser besondere Ausdruck Herrnhuter Frömmigkeit ist besonders für Erstleser Herrnhutischer Literatur nicht immer direkt zugänglich. Deshalb hat Paul Peucker die in erster Auflage 62 Seiten umfassende Broschüre jetzt um fast 600 Begriffe erweitert neu herausgegeben. Er benutzt für seine Begriffserklärungen verschiedene Quellen: Die Wörter sind Synodalverlässen, Synodalprotokollen und Kirchenordnungen entnommen. Weitere Grundlagentexte sind das sogenannte „Zeremonienbüchlein“ (hg. von David Cranz), Spangenbergs Zinzendorf-Biographie, der „Summarische Unterricht“ von 1753 [1755] sowie weitere moderne Sekundärliteratur, überwiegend Nachschlagewerke (Peucker, 8f). So soll das Wörterbuch „eine Dokumentation der historischen Terminologie der Brüdergemeine und eine Hilfe beim Studium historischer Texte aus dem Umfeld der Herrnhuter Brüdergemeine sein“ (7).

In der zweiten Auflage wurden vermehrt Namen einzelner Gemeinden und Missionsstationen, die bis 1940 existierten, aufgenommen. Stärker selektiv geht Herausgeber Peucker beim Wortschatz der sogenannten „Sichtungszeit“ vor: „Viele der kreativen Wortschöpfungen und Komposita der 1740er Jahre“ wurden nicht aufgenommen, weil „[…] es sich dabei meist um Kreationen für einen kurzlebigen Effekt handelt“ (ebd.).

So findet der Leser von Zinzendorfs Schriften und Herrnhuter Literatur im Allgemeinen Erläuterungen zu bekannten und noch mehr unbekannten Begriffen, die oft schlaglichtartig einen speziellen Aspekt brüderischer Glaubenspraxis einsichtig machen. Hier seien einige Beispiele genannt: Der „Abräumtag“ (13) ist für Mitarbeiter der Gemeine die Gelegenheit, sich offen untereinander auszusprechen. „Anbeten“ (16) ist die Praxis der Prostration im Gebet. Die „Banden“ (19f) sind kleine, nach Geschlechtern getrennte Gruppen, in denen vertraulich über persönliche Glaubensangelegenheiten gesprochen wurde. In „Chöre“ (27f) wurden die Gemeindeglieder nach Geschlecht und Familienstand aufgeteilt. „Klassen“ (64) wiederum definieren Gruppen nach Geschlecht und Grad des geistlichen Fortschritts. „Emmauntisch“ (37) bezeichnet eine dem Emmaus-Ereignis vergleichbare Glaubenserfahrung. Eine kurze Versammlung wird „Gelegenheit“ (42f) genannt. Durch Gottes „Gnadenwahl“ (50) wird ein Mensch zur Seligkeit bzw. auch zur Mitgliedschaft in der Brüdergemeine bestimmt. „Heimküssen“ (55) bedeutet „sterben lassen“.

Das „Kreuzluftvögelein“ (65) ist eine Metapher für „den erlösten Gläubigen, der freudenvoll und ohne Sorge in der Luft um Jesu Leichnam am Kreuz herumfliegt.“ Der Friedhof bzw. Gottesacker wird „Laboratorium“ (66) genannt: „Wie im Labor Stoffe verwandelt werden, soll die Seele im Grab auf die Ewigkeit vorbereitet werden.“ Zu einem „Liebesmahl“ findet sich die Gemeine zusammen, wenn in einer freien liturgischen Versammlung Tee, Kaffee, Schokoladenmilch und Brötchen gereicht werden (69). Es wird in der Absicht gefeiert, „mehr zum frölich und voll Geistes werden, als sich zu sättigen“. „Talar“ (99f) kann auch ein Taufgewand genannt werden, und natürlich darf auch der 1820 erstmals erwähnte Herrnhuter Stern nicht fehlen (96).

Dem lexikalischen Teil sind wichtige Beilagen hinzugefügt, die die Orientierung in der Brüdergeschichte erleichtern (112–133): Eine Liste der Synoden und Synodalkonferenzen der Zinzendorfzeit; eine Liste der Generalsynoden und Unitätssynoden seit 1764; ein Verzeichnis der Orte, an denen die Unitätsleitung bis 1899 residierte; Abkürzungen und Symbole, die man in Herrnhuter Texten findet; schließlich eine Übersicht der wichtigsten Lebensdaten, Stationen und Reisen Zinzendorfs. Der Rezensent wünscht diesem praktischen lexikalischen Werk, dass es weite Verbreitung findet: Ein Muss für jeden Pietismusforscher!


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Steinen