Praktische Theologie

Andrew Root: Church After Innovation

Andrew Root: Church After Innovation: Questioning Our Obsession With Work, Creativity, and Entrepreneurship, Ministry in a Secular Age 5, Grand Rapids: Baker, 2022, Pb., 256 S., € 27,–, ISBN 978-1-5409-6482-3


Bereits vor einigen Jahren warnte der amerikanische Kulturphilosoph James K. A. Smith die Kirchen vor einem überbordenden Fokus auf Innovation: „We cannot hope to re-create the world if we are constantly re-inventing church, because we will reinvent ourselves right out of the picture.“ Im nunmehr fünften Band seiner Reihe über die Zukunft von Kirche und Glauben in einem säkularen Zeitalter springt Andrew Root seinem Landsmann mit Nachdruck zur Seite, indem er die kirchliche „Besessenheit“ von Kreativität und Unternehmertum („Entrepreneurship“) grundsätzlich in Frage stellt. Im Kern geht es dem Vf. darum, das verbreitete Diktum „Innovation ist die einzige Hoffnung der Kirche“ zu dekonstruieren. Die Logik der Gleichsetzung von Mission und Innovation kommt in seinen Augen einer überaus gefährlichen Weichenstellung gleich.

Zunächst erläutert Root „genealogisch“, wie sich über die Zwischenschritte der protestantischen Arbeitsethik, der Industrialisierung und des Keynesianismus der Nachkriegszeit der heute vorherrschende neoliberale neue Kapitalismus herausgebildet hat, innerhalb dessen sich das Selbst immer wieder neu und authentisch kuratieren muss. Unter Rekurs auf den Soziologen Andreas Reckwitz zeigt der Vf. anschließend, wie unternehmerische Innovation, expressive Kreativität und der Zwang zu permanenter persönlicher Weiterentwicklung zu quasi unumstößlichen Heilsbringern (d. h. zu einem prägenden „Dispositiv“) der spätmodernen Vorstellungswelt geworden sind: „For those who have been shaped by this secular imagination, it`s only obvious that decline can be countered only by entering a state of permanent innovation“ (112). Letztlich will Root deutlich machen, dass es sich bei Unternehmertum und Innovation um genuin säkulare Realitäten handelt, die als „trojanische Pferde“ die falschen Götzen des Kapitalismus und des Wachstums auch in den kirchlichen Raum eingeschleust haben (so Richard Beck in seinem Klappentext). Doch, so der Vf., „we should never assume that entrepreneurship and innovation can save the church“ (63).

Roots Kulturanalyse ist (trotz stellenweiser Langatmigkeit) wie immer geschickt, spannend und erhellend. Dennoch bleibt man als Praktischer Theologe auch bei diesem Band mit einem ambivalenten Gefühl zurück (vgl. dazu auch meine Rezensionen zu Band 3 und zu Band 4). Im Blick auf die Zukunft des Gemeindeaufbaus hat Root einen wichtigen Weckruf abgesetzt: Die Schattenseiten kirchlicher Erneuerungsprozesse, die zu sehr von den unhinterfragten neo-liberalen Prämissen kreativer Selbstrechtfertigung und Innovation geleitet sind, müssten tatsächlich intensiver als bisher reflektiert werden. Andererseits weist der Vf. selbst an mehreren Stellen darauf hin, dass man auf Seiten der Kirchen viel vom gegenwärtigen Innovationsdenken und Unternehmertum lernen kann: „Innovation may be worth doing, but never flippantly. It needs far more theological reflection than weʼve given“ (156, auch 63, 72 u. ö.). Wie aber lässt sich eine „gesunde Innovation“ im kirchlichen Raum denken, die die Untiefen einer problematischen Innovationslogik zu umschiffen vermag? Und wie könnte man pastoraltheologisch auf die vom Vf. problematisierten Druckpunkte einer „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz) reagieren? Auf diese und ähnliche Fragen gibt Root m. E. nur unbefriedigende Antworten. In Anlehnung an Meister Eckhart und andere Mystiker verweist er lediglich auf die „backward power of the nothingness of the cross“ (223) und formuliert: „What will save the world is not the expressive creativity of the self [and singularly exceptional innovations] but the encounter with the living God who is ministering new life out of nothingness“ (222). Wie aber lässt sich eine solche „negative Kreuzestheologie“ und das damit in Zusammenhang stehende Warten auf Gottes ermöglichendes Handeln konkret im Gemeindeaufbau mit der von Root eben nicht gänzlich verneinten Notwendigkeit erneuernder Innovation verbinden? Hier wäre ein kritischer Abgleich der Erzählung Roots mit führenden Vertretern des „kirchlichen Entrepreneurship“ (man vgl. bspw. Michael Moynagh, Church in Life: Innovation, Mission and Ecclesiology, 2017 oder Stefan Paas, Church Planting in the Secular West, 2016, v. a. 181–241) fruchtbar und weiterführend gewesen. Bei alledem hat der Vf. ein lesens- und bedenkenswertes Alarmsignal wider die unreflektierte Innovations- und Wachstumslogik gesendet.


Dr. Philipp Bartholomä, Professor für Praktische Theologie an der FTH Gießen