Benjamin D. Giffone: Storymaking, Textual Development, and Varying Cultic Centralizations. Gathering and Fitting Unhewn Stones
Benjamin D. Giffone: Storymaking, Textual Development, and Varying Cultic Centralizations. Gathering and Fitting Unhewn Stones,FAT II/142, Tübingen: Mohr Siebeck, 2023, Pb., 269 S., € 94,–, ISBN 978-3-16-156238-9
Benjamin Giffone (Vf.) lehrt an der LCC International University in Klaipéda, Litauen. Wie bereits der Titel anzeigt, verbindet die Monographie verschiedene Fragestellungen und Untersuchungsgegenstände. Teile davon gehen auf frühere Publikationen zurück (u. a. die Monographie „Sit at My Right Hand“, 2016, zum Stamm Benjamin in der Chronik) und werden hier in eine übergreifende Fragestellung integriert.
Vf. unternimmt es zu erklären, warum und wie in persischer Zeit bei der Editierung der Hebräischen Bibel (HB) Überlieferungen aus dem Bereich der Nordstämme bzw. des Nordreichs Israel, das seit 722 v. Chr. nicht mehr existiert, aufgenommen wurden. Im Vordergrund der Untersuchung stehen dabei Stoffe, die nicht der Theologie der auf Juda (mit Benjamin und Levi) ausgerichteten Schreiberschaft entsprachen: der Kultzentralisation in Jerusalem unter Obhut der levitischen Priesterschaft. Es geht um die früheren, meist im Gebiet der Nordstämme liegenden Kultorte (v. a. Bethel, Sichem, Schilo) und Kultpraktiken. Sie haben samt ihren Erzählungen in die HB Eingang gefunden, obwohl sie von der auf Jerusalem ausgerichteten, von D/DtrG und P/H bestimmten Theologie abweichen und ihr teils widersprechen.
Vf. geht davon aus, dass die perserzeitlichen Editoren Überlieferungen über vergangenes Geschehen aufnahmen, welche sie selbst und die empfangende Glaubensgemeinschaft als real und zuverlässig einstuften (keine späten, tendenziösen Fiktionen), und erklärt das Geschehen folgendermassen:
1. Die für die finale Formierung zuständige Schreibergemeinschaft war zwar frei, gewisse Änderungen an der Tradition in Richtung ihrer Theologie vorzunehmen, aber zugleich verpflichtet, solche, die in der empfangenen Glaubensgemeinschaft verbreitet und anerkannt war, aufzunehmen.
2. Mithilfe der narrativen Modulierung der Texte, inklusive der Benutzung von Framings und leichter Bearbeitung der Überlieferung gelingt es den Herausgebern, diese Kultüberlieferungen weithin zu integrieren unter zugleicher Modifizierung und Marginalisierung von alten Kultorten wie Bethel und Sichem. Damit behalten nordisraelitische Überlieferungen (samt denen über die Patriarchen) und frühere Formen der JHWH-Anbetung ihre Stimme und werden durch die finale Perspektive der editierenden „master scribes“ bzw. „Storymaker“ nicht einfach übertönt. „Narrativity allowed the biblical editors to present their perceived version of the past while also steering their audience into the desired destination of Jerusalem-centered centralization“ (5). Ein wichtiger, vermittelnder Schlüsseltext stellt das Altargesetz (Ex 20,22–26) dar, das eine Mehrzahl von anikonischen JHWH-Altären zulässt und insofern auch die kultischen Aktivitäten der Patriarchen legitimiert.
In mehreren Kapiteln werden die diversen Kultorte sowie die entsprechenden Erzählungen v. a. in den Büchern Josua bis Könige erörtert (eingehender behandelt werden Jos 22; 24; Ri 17–21) und durch die Linsen von unterschiedlichen „Zentralisierungen“ betrachtet, mit folgenden Ergebnissen: Vor-dtn Erzählungen werden, mit kleinen Anpassungen, bei Texten mit zentralisierender Sichtweise untergebracht. In den Vorderen Propheten kommt weithin das dtn Zentralisationsverständnis zur Geltung, wenn auch nicht vollständig. Editorische Aktivität findet sich dabei namentlich an Schlüssel- und Scharnierstellen der Bücher. Die Chronik wählt einen stärker vereinheitlichenden Weg, vermengt Vorstellungen von pluralen Altären, ikonischem Kult und Polytheismus und transformiert vor-dtn Elemente grundsätzlich. Die örtliche D- und die priesterliche P/H-Zentralisierungen werden verbunden.
Sozialwissenschaftliche Modelle der politischen Ökonomie nutzt der Vf., um strukturelle Erklärungen für die Ausbalancierung von Identitäten und Gesichtspunkten innerhalb der Texte befriedigend darstellen und erklären zu können. Dabei wird die Rezeption von Erzählungen über nicht-zentralisierte politische Instanzen (Stämme) und ihre Kultpraxis vom Vf. als Versuch verstanden, „to incorporate Samarians into the Jerusalem cult and scribal school’s sphere of influence“ (12).
Damit ist auch gesagt, dass lange nach dem Untergang des Nordreichs als politischer Grösse Israel und seine zwölf Stämme in der perserzeitlichen Gegenwart als ein „necessary component of Yehudian self-understanding“ (24) aufgefasst wurden. Ganz-Israel ist demnach keine optionale Zuschreibung, vielmehr essentiell für die JHWH-Glaubensgemeinschaft und ihre Erinnerungen. Ein Abschneiden von Israel als Land und Volk sowie eine Reduktion auf Juda/Jehud würde ihre eigene Identität beeinträchtigen: „We could not have ,Judah’s Bible‘ in its received form without the legacy of Israel embedded within it“ (28, mit Bezug auf D. Fleming, The Legacy of Israel in Judah’s Bible, 2012).
Der Vf. ist für sein insgesamt gelungenes Buch zu beglückwünschen. Das Rechnen mit zuverlässiger Überlieferung ist anerkennungswürdig. Unter Annahme einer perserzeitlichen Formierung der HB bietet er ein valables Erklärungsmodell für die Textentwicklung, insbesondere die Verbindung von Überlieferungen aus Juda/Jerusalem und den Nordstämmen. Letztere hat das Interesse des Rezensenten geweckt und zur Lektüre dieser Monographie geführt. Die auch in nachexilischer Zeit anhaltende Bedeutung der Joseph- bzw. Zehnstämme für die Gesamtheit von Jakob/Israel liesse sich durch weitere Texte (z. B. in Hos 14; Ps 78; Jer 31; Ez 37; Sach 9) unterstützen. Auch die Chronik ist nicht desinteressiert am Norden (man lese allein schon die Hiskia-Kapitel). Die Zion-Erwählung und damit Jerusalem als exklusiver Kultort ist freilich unaufgebbar, so dass ich von den Texten her keine Einladung an die Samarier – unter Beibehaltung eines Garizim-Heiligtums! – sehe (die Frage ist, was der Vf. unter „Inkorporation“ versteht). Gemeinhin wird als formative Periode der HB die persische oder hellenistische Zeit angenommen. Auf dieser Annahme basiert das Argumentarium. Sind die Zeit- und Verschriftungsverhältnisse anders gelagert, wären auch die Verbindungen von Nord- und Südüberlieferungen nochmals neu zu bedenken. Fazit: Insgesamt ein lesens- und empfehlenswertes Buch, das zu weiterführenden Überlegungen einlädt.
Beat Weber, Pfr. Dr. theol., Basel, Research Associate am Department of Ancient and Modern Languages and Cultures, Universität Pretoria, Südafrika