Carsten Gennerich: Die Jugendlichen und ihr Verhältnis zu Glaube, Religion und Sinnsuche
Carsten Gennerich: Die Jugendlichen und ihr Verhältnis zu Glaube, Religion und Sinnsuche, Stuttgart: Kohlhammer, 2023, kt., 189 S., € 35,–, ISBN 978-3-17-030228-0
Auf dem Buchdeckel eines Buches, das den Glauben Jugendlicher untersuchte, las ich vor wenigen Jahren die in meinen Ohren euphorisch klingenden Worte „faszinierendes Portrait von Jugendlichen“. Die hier anzuzeigende Untersuchung kommt nüchterner daher; auf fast jeder Seite der Kap. 2–4 stehen Zahlen und Schaubilder. Mittels empirisch erhobener Daten soll das Verhältnis Jugendlicher zu Glaube, Religion und Sinnsuche erhoben werden. Hintergrund des Unterfangens ist – so liest man auf dem rückseitigen Buchdeckel – „die besondere Disposition Jugendlicher für Fragen des Glaubens, der Religion und des Lebenssinns.“ (umgest.).
Der Verfasser ist „Professor für Ev. Religionspädagogik … forscht zur empirischen Religionspädagogik sowie zu Werten und Lebensstilen im Kindes- und Jugendalter.“ (Buchdeckelrückseite) Nach der „Einleitung“ (I) klärt G. in II („Theorieperspektiven“) zuerst die drei Begriffe Glaube, Religion und Sinnsuche. Er tut dies nicht wie üblich nominal, sondern diskursiv, will heißen: „im Rezeptionshorizont der Subjekte“ (10); damit treten Objektivitäten zugunsten der Erfahrung und dem Erleben der Glaubenden zurück. In der zweiten, viel längeren Hälfte dieses Kap. stellt Verf. drei Theorieansätze vor, um die Religiosität Jugendlicher zu erfassen, nämlich zuerst einen sozialpsychologischen und einen entwicklungspsychologischen Ansatz, sodann drittens einen Ansatz, der seine Mitte in den Emotionen hat. Vorausgesetzt ist dabei, dass „Emotionen bei der Identitätskonstruktion Jugendlicher als Kristallisationskerne gelten.“ (41 umgestellt; vgl. 66) Leider ist es nun so, dass bei allen drei Theorieansätzen zwar eine Menge von Daten vorliegen, diese aber nicht kohärent genug sind, um zu eindeutigen Positionen zu gelangen.
III und IV vertiefen die in den beiden ersten Kap. geschaffenen Grundlagen, indem diese z. B. anhand der ersten Shell-Jugendstudie 1953 bis zur letzten (2019) analysiert werden und der Blick durch weitere Vergleiche (ALLBUS, Religionsmonitor, Kirchenmitgliedschaftsstudie der EKD 2012) geschärft wird. Besonders interessant fand ich die leider nur kurzen Ausführungen auf S. 132–135 zum Islam / Salafismus, (evangelikalen) Aussiedlergemeinden und S. 153f die Unterscheidung von vier Lebensstilgruppen: a) Humanist*innen: für Sinnfragen und interreligiös offen, jenseits organisierter Religion, Gott wird weltimmanent verstanden; b) Integrierte: „partizipieren an kirchlichen Angeboten, verstehen sich als religiös und glauben an einen persönlichen ,Gott‘…“; c) Statussuchende: betrachten ihre Religion als überlegen und grenzen sich gegenüber anderen (stark) ab; d) Autonome: deuten das Leben naturwissenschaftlich, sind hochgradig individuell, häufig atheistisch und religionskritisch.
Verf. diskutiert abschließend pädagogische Perspektiven und fokussiert auf diversen pädagogischen Interventionen; diese gipfeln in vier möglichen Sinnkonstruktionen. Ganz zum Schluss bündeln S. 169–173 neun Punkte diese informative Studie (16 S. Literaturangaben!).
Mit drei Bemerkungen zu dieser Studie möchte ich schließen: (1) Da sie Jugendliche zum Thema hat, wird man bei der Lektüre unweigerlich an die eigene Jugendzeit erinnert und reflektiert sich selber in seinem religiösen (Geworden-)Sein. (2) Wer sie lesen möchte, tue dies am sinnvollsten vom Ende her, sprich: er/sie lese zuerst ihren Schluss (169–173). Mit diesem kann man auch Fortbildungen eröffnen bzw. ihn in Kleingruppen diskutieren. (3) Abgesehen von der wissenschaftlich-pädagogischen oder beruflich betroffenen Fachwelt (für diese ist sie ein Muss), verhilft sie Otto-Normalbürgern zu einer kompetenteren Kommunikation mit Jugendlichen.
Dr. Gerhard Maier, Pfarrer i. R., Neuffen