H. H. Hardy / M. Daniel Carroll R. (Hg.): The State of Old Testament Studies
H. H. Hardy / M. Daniel Carroll R. (Hg.): The State of Old Testament Studies. A Survey of Recent Research, Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2024, Pb., XIX+485 S., € 44,83, ISBN 978-1540963659
Es ist nun bereits 25 Jahre her, dass David W. Baker und Bill T. Arnold mit ihrem Sammelband The Face of Old Testament Studies. A Survey of Contemporary Approaches einen Überblick über damals aktuelle Themen, Methoden und Entwicklungen der alttestamentlichen Wissenschaft gegeben haben. Seitdem hat sich in der bibelwissenschaftlichen Forschung Grundlegendes verändert: neue Fragen und Ansätze werden diskutiert; neue Unterdisziplinen sind entstanden; interdisziplinäres Arbeiten hat zugenommen; und die eigenen Auslegungstraditionen und -kontexte werden hinterfragt (xxi). H. H. Hardy II, Professor of Divinity an der Beeson Divinity School, und M. Daniel Carroll R., Professor für Bibelwissenschaften und Pädagogik am Wheaton College, nehmen dies zum Anlass, einen erneuerten Drohnenflug über die aktuelle Landschaft zu unternehmen. In ihrem Sammelband The State of Old Testament Studies haben sie dafür ein breites Spektrum von renommierten Forschern zusammengeführt, die die Leser in 32 Kapiteln – aufgeteilt in drei übergeordnete Themenbereiche – durch die vielschichtigen und teilweise neuen Forschungsgebiete des Alten Testaments leiten.
Im ersten Teil „Ancient Linguistic and Cultural Context“ behandeln die Autoren Fragen rund um den historischen und kulturellen Kontext der Bibeltexte. Die ersten drei Kapitel setzen sich dabei mit der Sprache und dem Text der hebräischen Bibel (Hardy und Fresch), textkritischen Ressourcen und Methoden (Tully) und dem aktuellen Stand der Qumran-Forschung (Longacre) auseinander. Darauf folgen vier Beiträge, die sich mit den archäologischen Befunden zur Geschichte des Alten Vorderen Orients auseinandersetzen: Späte Bronzezeit bis Eisenzeit I (Hawkins), Eisenzeit II (Shafer-Elliott und Fulton), neobabylonische und persische Periode (Silverman) und die hellenistische Periode (Ryan). Abhandlungen zur israelitischen Religion (Hess), zur Rolle biblischer Ikonografie (Strawn) und zur Prophetie im Alten Vorderen Orient (Hilber) runden diesen Buchabschnitt ab.
Der zweite Teil „Old Testament Scripture“ widmet sich den einzelnen Büchern und Gattungen des Alten Testaments. Hierbei werden sowohl Einleitungsfragen wie auch hermeneutische und thematische Schwerpunkte besprochen, die im Moment Gegenstand der Forschungsbemühungen sind. Nach einem einleitenden Kapitel zum Kanon (Dempster) stellen die Autoren die neuesten Entwicklungen in den verschiedenen Textgruppen vor: der Pentateuch (Boyd), Josua, Richter und Ruth (Lamb), Samuel-Könige (Gilmour), die Chroniken (Ristau), Esra-Nehemia und Esther (Buster), die Psalmen (Grant), Weisheitsliteratur (Kynes), die großen Propheten (Kelle), die kleinen Propheten (Timmer) und apokalyptische Literatur (Cook).
Im dritten Teil „Interpretive Approaches“ findet sich eine facettenreiche Sammlung von verschiedenen thematischen-kulturellen Schwerpunkten, hermeneutischen Ansätzen und theologischen Perspektiven, die in den letzten Jahrzehnten die alttestamentliche Forschung bestimmt haben. Die Aufsätze behandeln dabei Studien zur Ideologie (Brett), zur Ethik des Alten Testaments (Carroll R.), sowie ökologische (Richter), literarische (Longman), kontextuelle (Lim) und soziologische (Coomber) Auslegungsansätze. Darüber hinaus finden sich Kapitel zu Gender und Sexualität (Davis), innerbiblische Exegese (Dell) und Migrationsstudien (Strine). Abgeschlossen wird das Buch durch zwei Kapitel zur theologischen Interpretation (Thomas) und zur Theologie des Alten Testaments (Chapman).
Es ist zugegebenermaßen ein Mammutprojekt, die so weit verzettelte und vielschichtige wissenschaftliche Arbeit rund um das Alte Testament in einem 450-Seiten-Werk prägnant und doch umfassend zu repräsentieren. Hier prallen die Komplexität des Forschungsfeldes, die Notwendigkeit einer klaren Struktur und Präsentation sowie die Erwartungen der Leser aufeinander und lassen sich nicht immer miteinander vereinbaren. Im übergeordneten Sinn ist es den beiden Herausgebern gelungen, den Lesern einen Überblick über die sich immer weiter entwickelnde Landschaft rund um das Alte Testament zu verschaffen und diese angemessen zu navigieren. Für einen Einstieg in die Welt der alttestamentlichen Wissenschaft ist dieses Werk empfehlenswert. Auf der konkreten Ebene blieben bei der Lektüre allerdings auf verschiedenen Ebenen Fragen zurück.
So konnte ich die konkrete Auswahl der Themen und Schwerpunkte der einzelnen Kapitel nicht (immer) nachvollziehen. Obwohl ich den Herausgebern sicherlich zustimme, dass die archäologische Forschung in den letzten 25 Jahren große Meilensteine beschritten hat, war ich doch überrascht, dass sich knapp ein Viertel des Buches mit diesen Entwicklungen beschäftigt hat, während dem großen Themenfeld zur Theologie des Alten Testaments lediglich ein Kapitel gewidmet wurde. Ebenso verwundert war ich, dass das doch eher kleine Forschungsgebiet der Migrationsstudien in einem eigenen Aufsatz abgehandelt wurde, wohingegen die literarischen Ansätze, die in den letzten Jahrzehnten in den Bibelwissenschaften an Breite und Tiefe gewonnen haben, auch nur in einem Aufsatz besprochen wurden. Hier hätte ich mir eine etwas ausführlichere Einleitung mit zwei inhaltlichen Aspekten gewünscht: Zum einen wäre es gut gewesen, Organisation und Schwerpunkte des Buches sowie die Auswahl der Themen und ihrer Vertreter auf mehr als einer Seite zu erläutern (xxii). Zum anderen wäre es hilfreich gewesen, zu Beginn einige übergeordnete Entwicklungen der alttestamentlichen Wissenschaft nachzuzeichnen, in die man die einzelnen Themenbereiche einordnen kann.
Darüber hinaus war die Qualität der einzelnen Beiträge – wie in jeden Sammelband – sehr unterschiedlich. Die Herausgeber beschreiben die Aufgabe der einzelnen Autoren folgendermaßen: „Each chapter surveys the subfield, presents different points of view, and gives proportional coverage to a diverse range of issues, including contemporary trends in research and ongoing controversies. Key bibliography is provided along with hospitable analysis of critical questions, major disputes, and methodologies” (xxii). Dies ist vielen Autoren exzellent gelungen. Sie verschaffen den Lesern einen Überblick über das Forschungsgebiet und diskutieren die damit einhergehenden Fragestellungen in einer ausgewogenen Weise. Leider gab es allerdings auch einige Beiträge, die methodisch und/oder thematisch einseitig waren oder den Aufsatz als Plattform genutzt haben, lediglich ihre eigenen Positionen voranzubringen. So hätte ich mir zum Beispiel neben den literarkritischen Entwicklungen auch einen Überblick über theologische Fragestellungen der Pentateuchforschung gewünscht. Genauso bin ich darüber gestolpert, dass im Kapitel zur Weisheitsliteratur nur die Gattungsfrage besprochen wurde, obwohl es hier in den letzten Jahrzehnten viele neue literarische, theologische und ethische Perspektiven gab.
Im Großen und Ganzen ist dieser Band ein hilfreiches Werkzeug, um die sich so rasant verändernde Forschungslandschaft rund um das Alte Testament zu überblicken, die verschiedenen Ansätze richtig einzuordnen und die vielschichtigen Ressourcen und Fragestellungen angemessen zu navigieren. Für jeden, der in diesem Bereich auf dem neuesten Stand sein möchte, lohnt es sich, dieses Werk durchzuarbeiten.
Eva Dittmann, PhD (Wheaton College), Kairos Affiliate Professorin und Dozentin für Bibelwissenschaften am Theologischen Seminar Rheinland