Historische Theologie

Schneider, Hans-Otto (Hg.): Glossar zum Frühneuhochdeutschen, unter besonderer Berücksichtigung theologischer und kirchenpolitischer Texte aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Schneider, Hans-Otto (Hg.): Glossar zum Frühneuhochdeutschen, unter besonderer Berücksichtigung theologischer und kirchenpolitischer Texte aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Controversia et Confessio 11, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht / Brill, 2024, Hb., 176 S., € 69,–, ISBN-13 978-3-525-50086-6


Für Leser frühneuhochdeutscher Texte gibt es schon seit vielen Jahrzehnten brauchbare Wörterverzeichnisse (Glossare) und Lexika. Häufig wird das „Kleine frühneuhochdeutsche Wörterbuch“ von Christa Baufeld benutzt (Tübingen: Niemeyer, 1996). 2012 veranlasste W. de Gruyter in Berlin einen Nachdruck; der Text ist auch als E-Book und als Online-Ressource zugänglich. — Schon erheblich länger wird das „Frühneuhochdeutsche Glossar“ von Alfred Götze konsultiert, seine erste Auflage erschien 1912 (KlT 101, Berlin: de Gruyter, 7. Aufl. 1967) Götzes Wörterverzeichnis wurde 2014 und öfter neu aufgelegt, es ist ebenfalls als E-Book und online benutzbar. — Speziell auf den Wortschatz Martin Luthers ist das „Frühneuhochdeutsche Glossar“ von Hans-Ulrich Delius und Michael Beyer zugeschnitten. Es erschien 1999 bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig als erster Teil des sechsten Bandes der Martin-Luther-Studienausgabe (7–192). Die im gleichen Verlag erschienene „Deutsch-Deutsche Studienausgabe“ wichtiger Werke Martin Luthers (hg. v. Dietrich Korsch, Johannes Schilling, Hellmut Zschoch u. a., Leipzig: EVA, 2012, 2015 und 2016) gibt ein lebendiges Beispiel sorgfältiger Übertragung der frühneuhochdeutschen Luthertexte in heutige Sprache. — Weitere große Online-Wörterbücher zur deutschen Sprache, unter anderen das „Deutsche Wörterbuch“ von Jacob und Wilhelm Grimm, können über das Online-Portal „Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache“ (DWDS) oder auf der Internetseite des „Frühneuhochdeutschen Wörterbuchs“ fwb-online.de abgefragt werden.

            Angesichts der Fülle von Nachschlagewerken wird sich der geneigte Leser fragen, weshalb das vorliegende Glossar überhaupt herausgegeben wurde. Schneiders Wörterverzeichnis legt als Quellen – wie schon der Titel sagt – besonders theologische und kirchenpolitische Texte aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zugrunde. Der Begriff des „Frühneuhochdeutschen“ wird allgemein für die deutsche Sprache von 1350 bis etwa 1600/1650 verwendet. Mittelalterliches und barockes Deutsch markieren die Grenzen der Bezeichnung. Innerhalb dieser Epoche sind speziell theologische und kirchenpolitische, aber auch allgemeine Begriffe der zehn Textbände von „Controversia et Confessio“ (C&C) aufgenommen worden, darüber hinaus auch Wörter, die in den neu herausgegebenen „Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche“ (BSELK, 2014) und in zeitgenössischen Kirchenordnungen (EKO, hg. v. Emil Sehling) verwendet werden.

            Ein weiterer Grund für die Veröffentlichung des Glossars ist das Editionsprinzip der Reihe C&C, nach dem „sprachliche Erläuterungen zu einem bestimmten Wort grundsätzlich nur einmal pro ediertem Text angebracht worden [sind], meist beim ersten Auftreten in der entsprechenden Bedeutung“. Außerdem bündelt das Glossar „die zur Erläuterung verwendeten Synonyme, bietet insofern weitere Verständnishilfen und Übersetzungsalternativen“. (Vorbemerkungen, *5) Als Spezialwörterbuch hilft das Glossar zum besseren Verständnis der genannten und ähnlicher Texte zwischen 1550 und 1600. Der verzeichnete Wortschatz ist allerdings viel umfangreicher als das erfasste theologisch-kirchliche Vokabular, weshalb das Glossar auch für die Arbeit mit anderen frühneuhochdeutschen Texten und Themen verwendet werden kann.

            Zum Aufbau der Wörterliste ist zu bemerken, dass die Lemmata nicht normalisiert wurden. So ist beispielsweise das Wort „rhw“ (sic!) ebenso aufgenommen wie „rug“ – beide werden im Gegenwartsdeutsch mit „Ruhe“ wiedergegeben (106f). Anders als in germanistischen Wörterbüchern („B“ und „P“ unter „B“, „C“ unter „K“ oder „Z“, „D“ und „T“ unter „D“ usw.) werden bis auf die Buchstaben I, J und Y (75–77) phonetisch verwandte Buchstaben nicht zusammen behandelt.

            Missverständliche oder nicht verständliche Originalbegriffe belegen den Zweck des Glossars. Wer viele frühneuhochdeutsche Texte gelesen hat, wird die hier aufgeführten Beispiele schon kennen: „fast“ heißt nicht nur „beinahe“, sondern auch „durchaus“ oder „sehr“; „fromm“ bedeutet „rechtschaffen“; „frommen“ ist „Nutzen“, „Vorteil“, „Wohl“. Der „Kasten“ (Kasse, Schrank, Zehntscheuer) ist zwar nicht aufgeführt, aber der „Kastner“ als Verwalter der Einkünfte und Ausgaben, heute auch noch „Kämmerer“. „Hoffarbe“ ist die „Farbe eines Fürsten, die auch die Personen seines Hofes als Zeichen ihrer Zugehörigkeit tragen“ (73). „gemein“ bedeutet nicht nur „boshaft“, sondern allgemein, öffentlich, und „vergnügt sein“ nicht „fröhlich“, sondern „zufrieden sein“, „es genug sein lassen“. Das „kreuz“ meint nicht nur das römische Todeswerkzeug, stattdessen „Leiden (als Teil eines Lebens in der Nachfolge Christi)“ und „Belastung“ (81). Der „nobis krug“ ist ein Synonym für „(Wirtshaus der) Hölle, Vorhölle“, und „Enturlaubung“ bedeutet „Entlassung“.

            „Policey“ ist nicht „dein Freund und Helfer“, sondern „Regierung“, „Verwaltung“ und „Ordnung“. Ein „rewekauf“ hat nichts mit Einkaufen im Supermarkt zu tun, sondern bezeichnet einen „(Vertrag über eine) Konditionalstrafe“, die im Fall eines Rücktritts vom Vertrag (Reue) fällig wird (auch: „reukauf“). Der Begriff „fron“ wird knapp als „herrlich“ erklärt. Besser wären die beiden Bedeutungen, die man in anderen Wörterbüchern findet: „Abgabe“, „Herrendienst“ (ahd. „frô“ – Herr) und „erhaben“, „göttlich“, „heilig“, „den Herrn betreffend“ (vgl. „Fronleichnam“). Ein „Stockmeister“ ist der Gefängnisaufseher, der bei Festgenommenen „Füße in den Stock legen“ muss. Aus alten Berufsbezeichnungen wie „Kretzschmer“ („Schenke“, „Wirtshaus“) oder Momper („Sachwalter“) wurden im Lauf der Zeit Familiennamen.

            Immer wieder begegnen dem Leser heute nicht auf Anhieb verständliche Begriffe aus der Lutherbibel, auch solche, die in den neueren Revisionen (1984, 2017) getilgt oder horribile dictu wieder eingeführt worden sind. Manche der im Wörterverzeichnis erwähnten Ausdrücke werden im Gedächtnis blitzschnell mit Chorälen des 17. Jahrhunderts oder mit Kantatentexten von Johann Sebastian Bach verlinkt („Ich bin ,vergnügt‘ mit meinem Glücke“, BWV 84).

            Das von Hans-Otto Schneider besorgte Glossar ist eine würdige und praktische Ergänzung der in „Controversia et Confessio“ veröffentlichten Auswahl theologischer Kontroverstexte. Die vorzügliche Edition des Werkes lässt gerne zu dem schmalen Band greifen. Man könnte sich die Wortliste in einer späteren erweiterten Auflage auch außerhalb der Reihe gut als separates frühneuhochdeutsches Wörterverzeichnis vorstellen.


Pfarrer Dr. Jochen Eber